Kirchheim

„Nichtiges Geplänkel“ führt zu Messerstichen

Amtsgericht Alkoholisierter Täter erhält wegen gefährlicher Körperverletzung zwei Jahre Haft auf Bewährung.

Kirchheim. Ein 26-Jähriger ist im Kirchheimer Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden, weil er im Streit mit einem Taschenmesser auf seinen 27-jährigen Mitbewohner eingestochen hatte. Außerdem muss er 120 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten und eine Suchtberatungsstelle aufsuchen.

Der Alkohol wird in der langen Verhandlung vor dem Schöffengericht immer wieder als Auslöser für die Tat genannt. Sogar das Opfer sagt über den Angreifer: „Er war ja betrunken. Er hat das gar nicht ernst gemeint. Wenn er nicht betrunken ist, ist er nämlich ganz anders.“

Entstanden war der Streit am Abend des 17. Mai in einer Asylbewerberunterkunft aus Nichtigkeiten heraus. Es ging um eine Zigarette, die sich der Angeklagte genommen hatte, obwohl sie nicht ihm gehörte. Das spätere Opfer nahm ihm die Zigarette aus dem Mund und warf sie zu Boden. Nach heftigen Beschimpfungen endete der Streit vorläufig dadurch, dass der Angeklagte zum Supermarkt radelte, um dort mutmaßlich Bier zu kaufen.

„Mutmaßlich“ ist ein wichtiges Stichwort, weil es in der Verhandlung immer wieder Sprachprobleme gibt. Die Aussagen des Angeklagten und seiner eritreischen Landsleute im Zeugenstand sind trotz Dolmetschers meistens zu vage für das Gericht sowie für Staatsanwalt und Verteidiger. Die einzige wirklich präzise Aussage fällt bei der Frage nach dem Grund, warum der Angeklagte Asyl beantragt habe: „Ich muss den Antrag stellen, weil ich sonst keine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bekomme.“

Schwierig ist die Kommunikation auch wegen kultureller Unterschiede: So sagt eine Betreuerin aus, dass es in Eritrea offenbar nicht üblich sei, offen über Konflikte zu reden. Auch die Forderung nach möglichst exakter Schilderung des Tathergangs kann keiner wie gewünscht erfüllen. Es fallen immer nur dieselben Stichworte wie „Alkohol“, „Zigarette“, „Messer“, „Blut“.

Das Gericht muss sich den Hergang nach der Wahrscheinlichkeit erschließen. Demnach gingen die verbalen Attacken nach der Rückkehr des Angeklagten weiter. Als es in eine körperliche Auseinandersetzung überging, zückte der 26-Jährige das Taschenmesser, das eigentlich als Flaschenöffner dienen sollte, und stach damit seinem Kontrahenten in den Nacken sowie in den unteren Rücken. Die Behauptung, er habe sich gewehrt, weil ihn der andere mit Bierflaschen beworfen habe, erklärt das Gericht zur reinen Schutzbehauptung. Die Flaschen habe das Opfer wohl erst geworfen, nachdem es zu den beiden Stichen gekommen war.

Juristisch ist die Frage zu klären, ob es sich um eine gefährliche Körperverletzung handelte oder ob ein Tötungsvorsatz gegeben war. Da der Angeklagte nicht noch einmal zugestochen hatte und sofort auf sein Zimmer geflüchtet war, wird dies letztlich zu seinen Gunsten als Rücktritt vom Tötungsversuch gewertet.

Nur deshalb kommt er mit der Strafe von zwei Jahren davon, die sich noch zur Bewährung aussetzen lässt. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hatte zweieinhalb Jahre Freiheitsstrafe gefordert, die dann auch zum größten Teil zu verbüßen gewesen wäre.

Der Alkoholisierungsgrad des Täters, der zwei Stunden nach der Tat noch 1,57 Promille aufwies, sprach zwar für eine gewisse Enthemmung, nicht aber für eine verminderte Schuldfähigkeit. Immerhin hatte er noch völlig unauffällig Rad fahren können.

Richterin Hannah Okonnek spricht dem geständigen und reumütigen Angeklagten noch einmal ins Gewissen: „Ein Messerstich in den Hals geht gar nicht – erst recht nicht wegen so einem nichtigen Geplänkel.“ Bleibt zu hoffen, dass der 26-Jährige sich das auch zu Herzen nimmt. Zur Kenntnis genommen hat er jedenfalls, dass er das Gericht nach einem halben Jahr Untersuchungshaft nun als freier Mann verlassen kann. Noch ist das Urteil allerdings nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat keinen Verzicht auf Revision erklärt.Andreas Volz