Kirchheim

Holpriger Start ins Jubiläumsjahr

Konzert Die Aufführung der „Missa gantz teudsch“ von Michael Praetorius in der Kirchheimer Martinskirche zum Reformationsjubiläums kann nur teilweise überzeugen. Von Ernst Leuze

Das Gute zuerst: Bezirkskantor Sach ist wieder voll im Einsatz: als Sänger, Organist, Generalbassspieler, Dirigent, Organisator und Inspirator. Am vergangenen Sonntag war es zu erleben in der Kirchheimer Martinskirche beim dritten Chorkonzert dort im November.

Fünfhundert Jahre Reformation, da liegt es nahe, dass sich die evangelische Kirchenmusik auf ihre Wurzeln besinnt. Dass der kreative Kirchenmusiker Ralf Sach sich nicht damit begnügen würde, den Luther mit der Laute auftreten zu lassen, war zu erwarten. Einmal mehr setzte er wertvolle Musik aufs Programm, die in Kirchheim noch nie erklungen und auch sonst wo kaum zu hören ist. Es sei denn, das Reformationsjubiläum hätte es ermöglicht. Plakatiert war die „Missa gantz teudsch“ von Michael Praeto­rius alias Schulze. Dieser seltsame Titel musste neugierig machen. Doch wer eine deutsche Messe, im Sinne von Franz Schubert etwa, erwartet hatte, musste sich eines anderen belehren lassen. Er fand sich wieder in einer evangelischen Abendandacht mit zweifelhaften lateinischen Überschriften. Eine Mogelpackung! Im Programm kein einziger Hinweis auf das Wie und Warum, und was es mit der sonderbaren alten Musik auf sich hat. Darüber zu referieren, kann aber in einer Rezension nicht nachgeholt werden. Und wenn aus dem Plakat nicht hervorgeht, dass zu einem Gottesdienst eingeladen wird mit konzertanter Kirchenmusik, dann muss ausnahmsweise auch ein Gottesdienst rezensiert werden.

Was sich in diesem, sonst geschützten Raum, abspielte, war mehr als dilettantisch. Keine teudschen sondern meist lateinische Überschriften: Ingressus, gehört zum Stundengebet, Präambulum, altertümliche Bezeichnung eines Vorspiels, Salutatio statt Votum, Kollektengebet, versteht niemand, hat jedenfalls nichts mit der gar nicht stattgefundenen Kollekte zu tun. Epistel für die Vorlesung eines Evangeliumtextes, Evangelium für die Verlesung eines Episteltextes, Graduale – ach was, wer es bis dahin ausgehalten hatte, freute sich auf die Predigt – endlich auf Deutsch – trotzdem schwer verständlich: ein theologisches Seminar über die Rechtfertigungslehre Luthers, zwar gewohnt feinsinnig und einfühlsam gehalten von Dekanin Kath, aber nur für Insider verständlich, die sich im Namen Luthers wohl gegen dieses unzeitgemäße Implantat innerlich gewehrt haben dürften.

Kleinliche Krittelei das alles? Sprechen wir deshalb von den wirklichen Ärgernissen. Wenn in jedem der drei gemeinsam gesungenen Liedern vom Chor eine andere Melodiefassung gesungen wird, weil die Praetorius-Versionen nicht mit den Gesangbuchskopien der Gemeinde übereinstimmen, dann fragt man sich: Sollte es ein Test sein für die, übrigens bewundernswerte, Standfestigkeit der bildungsbürgerlichen Gemeinde, oder Hinweis auf die chaotischen kirchlichen Zustände nach der Reformation? Egal! Noch viel deprimierender war, dass alle neun Verse des Lutherliedes „Vater unser im Himmelreich“ von Chor und Gemeinde ohne jede Abwechslung heruntergesungen werden mussten. Das war Folter!

Dann die Auswahl des Instrumentariums: Stilgerecht wären zwei kontrastierende vierstimmige Instrumentalensembles gewesen, denn sämtliche Chorsätze waren doppelchörig. Auch wenn der Chor an der Martinskirche solche achtstimmige Prachtmusik ohne Weiteres darstellen kann, sollte man es den Sängern nicht unnötig schwer machen! Zu jedem Teilchor gehört wenigstens ein eigenes Generalbassinstrument – Orgel und Cembalo stehen ja in der Kirche – und jedes Instrument braucht seinen eigenen Spieler!

Zwar ist es imponierend, wie Ralf Sach mit der rechten Hand dirigiert, seine Linke die Orgelakkorde greift, doch der Sache dienlich ist es nicht. Genauso wenig, wie die äußerst reduzierte Instrumentalbesetzung von zwei Violinen, Cello und Kontrabass, gespielt von Katharina Kefer, Margarete Zeuner-Schwarz, Jochen Kefer und Ralf Zeranski. Sie spielten durchweg auf modernen Instrumenten mit modernen Saiten und modernen Bögen. Wenigstens bemüht, historisch orientiert zu spielen, waren sie technisch auch genügend versiert. Was gestört hat, waren die deplatzierten Instrumente selbst. Ein fetter Orchesterbass, dem auch der beste Virtuose keinen schlanken Ton abgewinnen könnte; Cello als Ersatz für Gambe, eine Zumutung für den Spieler. Bei den Geigerinnen engagierte Zurückhaltung der ersten, entsprechend klang es auch, mehr Vertrautheit mit der barocken Gestik bei der zweiten. Warum spielt sie nicht Barockgeige? Also, da sind wir in Kirchheim doch anderes gewöhnt!

Zurück zum Anfang: Wie Ralf Sach das Choralvorspiel von Andreas Neuhaber (1603 – 1663) „Ich ruf zu dir Herr Jesu Christ“ spielte, war schlichtweg sensationell. Auf solchem Niveau hätte der Abend weitergehen sollen.