Kirchheim

Von der Teck an den Mount Everest

Auslandsaufenthalt Was in Deutschland selbstverständlich ist, lernte Charlotte Winkler in Nepal zu schätzen. Ein halbes Jahr lang ist sie in einem Waisenhaus und hilft Kindern in der Schule und im Alltag.

Von der Teck an den Mount Everest
Von der Teck an den Mount Everest

Die Kirchheimerin Charlotte Winkler zog es nach dem Abitur in die Ferne. Nicht nach Asien oder Neuseeland wie so viele Abiturienten, sondern nach Nepal. In der Hauptstadt Kathmandu hilft sie ein halbes Jahr in einem Kinderhaus. Mit Voll- oder Halbwaisen verbringt sie ihren Alltag und hilft beim Lesen, Schreiben oder spielt mit den Jungen und Mädchen. Hier teilt sie ihre Erfahrungen mit:

„Chito, chito“ – „Schnell, schnell“ schallt es über den Hof, die Kinder sind gerade von der Schule zurückgekommen und tauschen ihre Schuluniformen gegen Trainingsanzüge. Die Kinder, das sind 130 Jungen und Mädchen im Alter zwischen vier und 16 Jahren, die im „Haus der Hoffnung“ in Nepals Hauptstadt Kathmandu ein neues Zuhause gefunden haben. Vor fast 20 Jahren hat die Deutsche Ellen Dietrich das Kinderhaus gegründet. Damals waren es nur eine Handvoll Kinder, inzwischen besteht das Kinderhaus aus zwei getrennten, randvollen Häusern. Die meisten der Kinder sind Voll- oder Halbwaisen. Einige stammen aber auch aus so bitterarmen Verhältnissen, dass ihre Familien sie nicht versorgen konnten.

Nach wenigen Minuten sind alle Kinder umgezogen, haben etwas Obst gegessen und beginnen mit ihren Hausaufgaben. Der zehnjährige Kishwor wartet bereits auf mich. Mindestens zwei Stunden am Tag helfe ich ihm seit seiner Ankunft vor einigen Wochen, mit den Schulaufgaben. Ob mir kalt ist, fragt er. Und das, obwohl ich einen dicken Schal und Wollsocken anhabe, während er bei 10 Grad Celsius barfüßig ist. Ob er froh ist, hier zu sein, frage ich und bekomme prompt ein Lächeln und ein „Ja“ als Antwort.

Genau wie für Kishwor hier vieles am Anfang neu war, war es das auch für mich. Seit Anfang Oktober verbringe ich als Praktikantin ein halbes Jahr im Haus der Hoffnung. Nach dem Abitur wollte ich einmal etwas anderes sehen und Nepal hatte mich schon vor einigen Jahren in seinen Bann gezogen. Noch immer bin ich beeindruckt von Nepals natürlicher Schönheit, aber auch von dessen Armut.

Nach einem kurzen Aufenthalt in einem kleinen Dorf, sehe ich inzwischen kaltes, fließendes Wasser als Luxus. Trotzdem scheinen die Menschen glücklich, laden mich zum Tee in ihre Ein-Zimmer-Hütten ein und zeigen mir stolz ihre neue Autobahn, die in Deutschland gerade so als Wanderweg durchgehen würde. Nun können sie ohne einen dreistündigen Fußmarsch nach Kathmandu gelangen. Und das, obwohl dieses Dorf nur etwa 30 Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegt. Der Großteil von Nepals Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft und ernährt sich dementsprechend einfach, hauptsächlich vom nepalesischen Nationalgericht, Dal Bhat. Es besteht aus Reis mit Linsensoße und Gemüse.

Auch bei uns im Kinderhaus gibt es dieses Gericht zweimal am Tag. Bei einigen der neuen Kinder ist die Freude deutlich sichtbar, wenn sie zum ersten Mal merken, dass sie so viel zu essen bekommen, wie sie möchten. Für mich etwas Selbstverständliches, für sie jedoch teilweise etwas völlig Neues.

Vor allem aber ermöglicht das Haus der Hoffnung den Besuch einer Privatschule. Da die staatlichen Schule in Nepal einen extrem niedrigen Standard haben, ist das wichtig, um den Kindern eine einigermaßen gute Bildung zu ermöglichen. Da Bildung ihre einzige Chance ist, der Armut zu entkommen, finden die Zehntklässler neben Schule und Lernen selten mehr als fünf Stunden Schlaf am Tag. Da merkte ich zum ersten Mal wie gut ich es eigentlich in Deutschland in der Schule hatte.

Die einzige Ausnahme zu dieser Schulroutine sind die Samstage und die Ferien, denn der Sonntag ist in Nepal ein ganz normaler Wochentag. An diesen Tagen sind wir Praktikanten für die Unterhaltung der Kinder zuständig. In den vergangenen Wochen veranstalteten wir Völkerball-, und Basketballturniere, studierten Tänze und Theaterstücke ein oder halfen dabei Einradfahren zu lernen.

Zwei Höhepunkte meines Aufenthaltes waren die beiden nepalesischen Feiertage Dashain und Tihar. Diese sind vergleichbar mit Weihnachten in Europa. All die Kinder halfen begeistert beim Schmücken der Häuser und am Ende sahen die Lichterketten und Mandalas auch wunderschön aus. Leider konnte ich die Begeisterung der Kinder über das Ziegenfleisch, das es zur Feier des Tages zum Essen gab, nicht teilen. Es stammte nämlich von zwei Ziegen, die zuvor in unserem Hof geschlachtet und verarbeitet worden waren.

Genau wie wir von den Kindern viel über die nepalesische Kultur lernen, erfahren sie auch einiges über deutsche Gewohnheiten. Ein Adventskalender hat unseren Essensraum geschmückt und an Weihnachten selbst haben die Kindern die Weihnachtsgeschichte vorgespielt.

Wie in Deutschland durfte es natürlich auch hier an Weihnachtsgeschenken nicht fehlen. Dieses Jahr bekam jedes Kind ein Paar Stricksocken, damit ihre Füße während dem Lernen nicht mehr ganz so kalt sind.cw

Von der Teck an den Mount Everest
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