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„Zieglersche“ feiern HundertjährigesZahlen und Fakten rund um die „Zieglerschen“

Jubiläum „Wir müssen weg von Zuständigkeiten, hin zu Verantwortlichkeiten“

Kirchheim/Wilhelmsdorf. Die Zieglerschen haben in Wilhelmsdorf das 100-jährige Jubiläum ihrer Vereinsgründung gefeiert. Die Festrede hielt der baden-württembergische Minister für Soziales und Integration, Manfred Lucha. Dabei wurde nicht nur zurückgeschaut, sondern vor allem nach vorne: Die Frage nach der künftigen Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips in der sozialen Arbeit und nach der gesellschaftlichen Rolle von Politik und Trägern sozialer Dienstleistungen standen im Mittelpunkt der Veranstaltung.

„Die Zieglerschen sind aus dem sozialen Engagement einzelner Menschen entstanden, die sich nicht mit den gesellschaftlichen Verhältnissen abfinden wollten“, mit diesen Worten begrüßte Oberkirchenrat Werner Baur, Aufsichtsratsvorsitzender der Zieglerschen, die Gäste beim Festakt in der „Kirche am Weg“ der Suchtfachklinik Ringgenhof. „Heute wird unsere Arbeit vom Engagement vieler Menschen getragen“, stellte Baur fest und spannte damit den Bogen auf, der die Veranstaltung prägte: Es wurde zum einen der Blick zurückgeworfen in die fast 180-jährige Geschichte der diakonischen Arbeit der Zieglerschen, die vor genau 100 Jahren von der „Privatanstalt“ der Familie Ziegler in einen gemeinnützigen Verein überführt wurde. Zum anderen nahmen die Festredner, der baden-württembergische Sozialminister Manfred Lucha und der Vorstand der Zieglerschen Rolf Baumann die aktuelle Sozialpolitik und die Rolle von Politik und freigemeinnützigen Trägern als gesellschaftliche Akteure in den Fokus.

Rolf Baumann, kaufmännischer Vorstand der Zieglerschen, hielt ein eindrückliches Plädoyer für das Subsidiaritätsprinzip in der sozialen Arbeit. Dass diese nur dann direkt vom Staat erbracht wird, wenn Einzelne, Gruppen oder freigemeinnützige Träger sie nicht aus eigener Kraft leisten könnten, sei ein wichtiges Kennzeichen einer demokratischen Gesellschaft: „Demokratie braucht Bürgerinnen und Bürger, die sich für soziale Belange engagieren.“ Baumann äußerte sich besorgt darüber, dass Überregulierung, Ideologisierung und Sparzwänge das Subsidiaritätsprinzip bedrohten, weil sie die Entfaltungsräume für privates oder bürgerschaftliches Engagement einengten.

Sozialminister Manfred Lucha bekräftigte in seiner Festrede, dass man im Spannungsfeld zwischen zu viel Kontrolle und zu gutmütigem Vertrauen im Verhältnis zwischen Politik und Leistungserbringern einen Mittelweg finden müsse. Die Partnerschaft, die sich im klassischen sozialwirtschaftlichen „Dreiecksverhältnis“ zwischen den Menschen mit Unterstützungsbedarf, der Politik und den Trägern sozialer Dienstleistungen ausdrücke, sei das, was man auch in Zukunft anstreben solle. „Wir müssen weg von Zuständigkeiten, hin zu Verantwortlichkeiten“, mahnte Lucha. Gerade vor dem Hintergrund des stärker werdenden Rechtspopulismus sei es wichtig, die Bürger als Anwälte in eigener Sache mit ihren Problemen ernst zu nehmen und in gemeinsamer Verantwortung an Lösungen zu arbeiten. „Es geht nicht darum, wer Recht hat. Ich lade Sie ein: Lassen Sie uns das Land gemeinsam gestalten“, betonte Manfred Lucha zum Abschluss seiner Rede. Zieglersche-Vorstand Rolf Baumann dankte ihm mit den Worten: „Das Angebot nehmen wir an!“

Die Historikerin Inga Bing-von Häfen ordnete die Gründung des „Zieglersche Anstalten e.V.“ in den historischen Kontext ein. Am 11. November 1916, mitten im ersten Weltkrieg, war die Satzung für den neuen Verein zu Protokoll gegeben worden. Im 19. Jahrhundert sei es durchaus üblich gewesen, soziale Einrichtungen als Privatanstalten zu führen. Damit hingen diese jedoch gänzlich von der Person des jeweiligen Leiters ab. Die Überführung in den Verein, die der 1907 verstorbene Johannes Ziegler in seinem Testament verfügte, machte die „Anstalten“ unabhängig von Einzelpersonen.

Prälatin Gabriele Wulz von der Evangelischen Landeskirche stellte in ihrer Andacht die Risikobereitschaft und das Engagement der Gründerväter in den Kontext des Gleichnisses vom Kaufmann, der für das Reich Gottes all seinen sonstigen Besitz aufgibt.pm

„Die Zieglerschen“ sind einer der größten Träger sozialer Dienstleistungen in der Region: Über 3 000 Mitarbeitende betreuen an über 50 Standorten in Baden-Württemberg, darunter das Kirchheimer Henriettenstift, rund 6 500 Menschen pro Jahr auf Grundlage des christlichen Leitbilds der Zieglerschen.

Begonnen hat die diakonische Arbeit der Zieglerschen im Jahr 1837: Der Taubstummenlehrer August Friedrich Oßwald eröffnete in der pietistischen Siedlung Wilhelmsdorf im Landkreis Ravensburg zunächst eine „Taubstummenanstalt“, einige Jahre später kam ein Internat für Knaben hinzu. Johannes Ziegler, ebenfalls Lehrer und verheiratet mit Oßwalds Tochter Mathilde, übernahm 1873 die Geschäfte seines Schwiegervaters und baute in den folgenden Jahrzehnten die diakonische Arbeit aus. Viele Angebote, die bis heute das Profil der Zieglerschen prägen, gehen auf ihn zurück: so zum Beispiel die Arbeit mit Menschen, die zusätzlich zu einer Hör-Sprach-Behinderung auch eine geistige Behinderung haben, oder die überregional renommierten Fachkliniken für Menschen mit einer Suchterkrankung.pm