Kirchheim. Daniela S. hatte sich vor sieben Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Florian schweren Herzens dazu durchgerungen, die Schwangerschaft vorzeitig zu beenden: Ihre Tochter Laura wäre mit schwersten Behinderungen zur Welt gekommen. Ausschlaggebend für den Schwangerschaftsabbruch war vor allem die Tatsache, dass das Mädchen mit großer Wahrscheinlichkeit noch im Mutterleib gestorben wäre. Kaltherzigkeit oder mangelnde Liebe zum kranken Kind kann man den Eltern nicht vorwerfen: Bis heute trauern sie um ihre Tochter und besuchen das Grab in Kirchheim – gemeinsam mit den beiden Jungs, die sie inzwischen haben. Der eine ist drei Jahre alt, der andere wird bald sechs.
Vor wenigen Wochen hat sich aber am Ritual des Friedhofsgangs etwas Entscheidendes geändert: Das Gemeinschaftsgrab, in dem seit 15 Jahren tot geborene Kinder bestattet werden, war plötzlich leergeräumt. An der einen Seite wächst jetzt eine dichte Hecke, und die ganze Grabfläche ist neu bepflanzt worden. Persönliche Gegenstände, die die Eltern dort abgelegt hatten, fehlten.
Daniela S. reagiert darauf mit völligem Unverständnis: „Sieben Jahre lang hat sich keiner darüber beschwert“, sagt sie. Und jetzt sei von einem Tag auf den anderen alles abgeräumt worden. „Wir haben gleich nach der Beerdigung einen Engel auf das Grab gestellt. Der ist jetzt weg, ohne Vorankündigung.“ Zwar habe der Engel keinen besonderen materiellen Wert gehabt, dafür aber einen großen ideellen Wert. Er war eine wichtige Verbindung zur toten Tochter.
Die Gegenstände, die die vielen Eltern auf dem Grab niedergelegt hatten, seien zwar in zwei Boxen gekommen, und jeder habe seine eigenen Erinnerungsstücke mitnehmen können. Aber Daniela und Florian S. haben ihren Engel nicht mehr gefunden, die Verbindung zu Laura ist damit ein Stück weit abgerissen.
Auf telefonische Nachfrage bei der Stadtverwaltung hat Daniela S. erfahren, dass die Stadt das Grab kostenlos zur Verfügung stelle und dass da nicht jeder einfach alles so machen könne, wie er wolle. So sehr sie das grundsätzlich versteht, kann sie es doch für sich nicht nachvollziehen: „Wenn was kaputt war, was wir da draufgestellt haben, dann haben wir es selber wieder weggeräumt – auch verwelkte Blumen oder abgebrannte Lichter.“
Einen weiteren Hinweis, den sie beim Telefonat erhalten hat, kann sie überhaupt nicht nachvollziehen: „Es hieß, dass ich mein Kind ja in einem Einzelgrab hätte bestatten lassen können. Da hätte ich dann draufstellen können, was ich wolle. Aber das wäre gar nicht möglich gewesen. Ich habe damals ja keinen Totenschein bekommen, und ohne Totenschein gibt es auch kein eigenes Grab.“
Daniela S. will nicht undankbar erscheinen. Sie freut sich, dass es überhaupt ein Grab gibt, an das sie gehen kann. Noch heute erinnert sie sich gerne zurück an die Bestattungsfeier, für alle Kinder aus Kirchheim und Umgebung, die im Jahr 2008 tot zur Welt gekommen waren. Die würdevolle Zeremonie hat sie beeindruckt. Und das wirkt bis heute nach: „Man hatte das Gefühl, die Kinder werden richtig wertgeschätzt.“
Manche Eltern gehen nicht mehr so oft an das Grab. Für andere aber, wie eben Daniela und Florian S., ist der Friedhofsbesuch auch nach sieben Jahren ein wichtiger Teil des Lebens. Zwei Termine sind sogar obligatorisch jedes Jahr: Lauras Geburtstag, der gleichzeitig ihr Todestag war, und der Jahrestag der Bestattung.
Doch nun ist ihnen die Wertschätzung abhandengekommen. Sie hätten sich mehr Information gewünscht, bevor alles weggeräumt wird. Beispielsweise durch ein Hinweisschild am Grab, das ein paar Wochen vorher schon auf die anstehende Änderung aufmerksam gemacht hätte. Und für die Zukunft wünschen sie sich, dass wenigstens noch eine kleinere Stelle übrig bleibt, an der sie Blumen niederlegen oder eine Kerze aufstellen können – wenigstens an den beiden wichtigen Jahrestagen.