Weilheim · Lenningen · Umland

Nichts geht über einen gepflegten schwäbischen AnschissInfo

Gastkolumne: Liebeserklärung einer Schwäbin auf Zeit an Kirchheim, sein Fachwerk und den Süd-Dialekt

Kirchheim oder Wolfenbüttel? - Kirchheim! - Aber Fachwerk gibt es hier wie dort.Foto: Jean-Luc Jacques
Kirchheim oder Wolfenbüttel? - Kirchheim! - Aber Fachwerk gibt es hier wie dort.Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Manchmal schimpfe ich auf Schwäbisch. Ich, die ich aus einer Gegend stamme, die sich

rühmt, das reinste Hochdeutsch zu sprechen. Ich, die ich nach zwei Jahren in der Region Stuttgart nun wieder dort wohne, in Wolfenbüttel, Niedersachsen.

Ich kann nichts dafür. Kaum etwas klingt für meine niedersächsischen Ohren hübscher als ein gepflegter schwäbischer Anschiss. Auf Verständnis stoße ich damit hierzulande nicht gerade, der Süd-Dialekt rangiert in meinem Umfeld auf der Negativ-Liste direkt hinter Sächsisch. Immerhin der Rest meiner Wahlheimat auf Zeit ist aus Wolfenbütteler Sicht einwandfrei.

Es ist schließlich beinahe das gleiche. Fachwerk gibt es hier wie dort, mein Heimatstädtchen hat nur etwa 10 000 Einwohner mehr als Kirchheim unter Teck, und der baden-württembergische Harz ist burgenreicher und nennt sich Schwäbische Alb. Die Diskussionen um Schwimmbäder-Neubauten sind die gleichen, die Qualen der Kommunen mit der Schulpolitik des Landes ähneln sich. Kommunalpolitische Sitzungen dauern viele Stunden, egal, ob im Süden oder Norden der Republik, und mancherorts blitzt auch hier bei Ober- und Bürgermeistern ein Matt-Heideckerscher Moment auf.

Bei meinem ersten Spaziergang durch Kirchheim fiel mir aber vor allem eines auf: Bei allen Gemeinsamkeiten schien mir das Städtchen an Lauter und Lindach etwas heller zu leuchten als jenes an der Oker. Wolfenbüttel kämpft mit Leerständen in der Innenstadt, kein größeres Geschäft zieht mehr die Menschen in die Fußgängerzone. Wer einkaufen will, fährt 20 Minuten und ist in Braunschweig. Auch unterhalb der Teck ärgert man sich über leer stehende Ladenlokale, doch der Weg nach Esslingen oder Stuttgart scheint sich für viele Kirchheimer zu erübrigen – das meiste bekommt man schließlich vor Ort.

Auch das kulturelle Angebot, Freizeitmöglichkeiten in der Stadt und im Umland und die reiche Natur haben mich beeindruckt. In einer Region, die so dicht besiedelt ist, wo nur wenige Kilometer weiter die nächste kleine oder größere Stadt um die Aufmerksamkeit der Bürger und Touristen buhlt, ist es ein großes Glück, sich behaupten zu können.

Im vergangenen Sommer hat in Wolfenbüttel das neu erbaute Allwetterbad – man kann das Dach im Sommer wie bei einem Cabrio einfahren – eröffnet. Kirchheim, liest und hört man, tut sich mit einer Entscheidung noch schwer. Wer Kultur will, kann bei uns aus zwei Kinos, Theater, Konzerten, Museen und einer weltberühmten Bibliothek wählen. Wie hell eine Stadt leuchtet, kommt vor allem darauf an, ob man unter einer Laterne steht oder nicht.

Eines allerdings wird Kirchheim Wolfenbüttel immer voraus haben: die Wörter, mit denen die Menschen dort schimpfen.

Die Journalistin Christina Balder lebt nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Landkreis Esslingen seit Kurzem wieder in ihrer Heimatstadt Wolfenbüttel.