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Schwäbische Gaumenfreuden

40. Notzinger Dätscherfest – Der mit Reisig angeheizte Holzofen sorgt für das herzhafte Aroma der begehrten Hefeteigfladen

Das einstige Arme-Leute-Essen ist heute eine heiß begehrte Spezialität: Beim Notzinger Dätscherfest wurden am Wochenende wieder
Das einstige Arme-Leute-Essen ist heute eine heiß begehrte Spezialität: Beim Notzinger Dätscherfest wurden am Wochenende wieder Hunderte von Hefeteigfladen mit Rahm, Speck, Kümmel und Schnittlauch belegt und im Holzofen gebacken.Foto: Daniela Haussmann

Notzingen. Was in Stuttgart „Deie“, auf der Alb „Dennetle“, in Oberschwaben „Dinnette“ oder in Hohenlohe „Blooz“ heißt, ist in Notzingen der „Dätscher“. Der mit Rahm,

Speck, Kümmel, Schnittlauch oder beispielsweise auch Mohn belegte Hefeteigfladen ist ein schwäbisches Traditionsgebäck. Die regionaltypische Spezialität kommt aus der armen bäuerlichen Küche vergangener Jahrhunderte und war eine beliebte Abwechslung in der meist eintönigen Speisenfolge. „Wobei der Belag im Verlauf der Zeit, abgesehen vom Rahm, einen Wandel erfahren hat. Denn den Speck konnte sich die arme Bevölkerung damals nicht leisten“, wie Margit Frank, Vorsitzende des Fördervereins des Musikvereins Notzingen-Wellingen betonte.

An seiner Beliebtheit hat das einstige Arme-Leute-Essen bis heute nichts eingebüßt, wie das 40. Dätscherfest des Musikvereins Notzingen-Wellingen und seines Fördervereins am Wochenende einmal mehr unter Beweis stellte. Seit 1975 erfreut es sich stets hoher Besucherzahlen, denn der im lokalen Backhäusle gegarte Hefefladen ist für viele ein ganz besonderes Geschmackserlebnis. „Es macht eben einen Unterschied, ob die Dätscher im Holzofen, der mit Reisig angeheizt wird, gebacken werden oder nicht“, berichtete Matthias Frank, für den damit ein charakteristisches und herzhaftes Aroma entsteht, welches das Gebäck erst zur Gaumenfreude macht.

Schon am Freitag hatten er und seine Vereinskollegen für das zweitägige Dätscherfest den Holzofen bei circa 300 Grad kräftig vorgeheizt. Die optimale Temperatur, bei der die Dätscher bereits nach wenigen Minuten goldbraun gebacken sind. „Wenn es zunehmend länger dauert, bis die Hefefladen fertig sind, müssen wir wieder Reisig einschieben“, erklärte Frank. „Deshalb ist es von Vorteil, dass der Ofen zwei Backkammern hat. Während die eine wieder auf Temperatur gebracht wird, kann in der anderen weitergebacken werden.“ Anders ließen sich die mehreren Hundert Dätscher, die am Samstag und Sonntag über den Verkaufstresen wanderten, kaum produzieren. Schätzungsweise sechs Kubikmeter Reisig sorgten laut Jochen Nießner am vergangenen Wochenende für die notwendige Hitze im Ofen.

Willi Ruff, der zusammen mit Hannelore Kirchmann am Freitag begonnen hatte, Schnittlauch zu schneiden, erinnerte sich, dass er vor fünf Jahren noch rund zehn Kilogramm von dem Würzkraut zerkleinerte, wohingegen es heute rund achtzehn Kilo sind. „Daran wird deutlich, dass wesentlich mehr Besucher zum Fest kommen und Dätscher kaufen oder Bestellungen aufgeben, die wir in begrenzter Zahl annehmen“, berichtete Ruff. Am Samstag und Sonntag begannen die Mitglieder des Musikvereins Notzingen-Wellingen um sechs Uhr in der Frühe, den Hefeteig zuzubereiten. „Ein Bottich enthält rund 20 Kilo Teig“, wie Margit Frank erzählte, deren Blick über zahllose Behälter wanderte, die unter den Arbeitsflächen lagerten.

Unabhängig davon lebt für Jochen Nießner beim Dätscherfest ein kulturelles Erbe auf, das über traditionelles Backhandwerk und Liedgut die regionale Identität fördert. „Natürlich rücken alle Helfer über das, was sie im Rahmen des Festes leisten, enger zusammen“, sagt Nießner. „Ich denke aber, dass sich das auch auf die Besucher auswirkt, denn die Veranstaltung ist ein sozialer Treffpunkt, der Begegnungen schafft und den Austausch fördert.“ Eine Tradition, die auch dem lokalen Backhäusle innewohnt. Gemeinschaftlich genutzte Backhäuser gab es zwar schon im 14. Jahrhundert, eine große Verbreitung erfuhren sie allerdings drei Jahrhunderte später, da in zahlreichen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches Hausbacköfen wegen der Brandgefahr und des steigenden Holzverbrauchs hoheitlich untersagt wurden.

Was folgte, waren Gemeinschaftsbackhäuser, in denen die Dorfbewohner an Backtagen Teigwaren herstellten. Das förderte den Austausch, die Interaktion und die Gemeinschaft. „Und das findet auch beim Dätscherfest statt“, sagt Jochen Nießner. „In gewisser Weise lebt dieses Stück Kulturgeschichte am Wochenende wieder auf.“

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