Weilheim · Lenningen · Umland

Smartphones sind kein Luxus

Für Flüchtlinge ist das Handy Navi, Übersetzer und Verbindung zur Heimat

Pa Modou guckt erwartungsvoll auf sein Handy. Tippt einmal aufs Display. Ändert nichts – keine Nachricht. Seine Datenverbindung ist seit gestern aufgebraucht. Whatsapp schweigt. Mit seiner Familie hat der Gambier das letzte Mal vor neun Tagen gesprochen.

Kein ungewohntes Bild: Viele Flüchtlinge besitzen Smartphones. Mit Luxus hat das wenig zu tun. Foto: Jean-Luc Jacques
Kein ungewohntes Bild: Viele Flüchtlinge besitzen Smartphones. Mit Luxus hat das wenig zu tun. Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim/Weilheim. Pa Modou lädt jeden Monat 15 Euro Guthaben auf, bleiben 310 für Essen und alles andere. Telefonieren sei sehr teuer: Für zehn Euro könne man gerade mal zwanzig Minuten mit Gambia sprechen. Um teure Roaming-Gebühren zu umgehen, braucht er das Internet. Telefonieren mit Apps wie Skype und Viber ist viel günstiger. Und auf herkömmlichen Handys unmöglich. Er war eineinhalb Jahre unterwegs von der gambischen Hauptstadt Banjul nach Kirchheim. Mit dem Bus über Land nach Libyen, dann auf dem Seeweg nach Italien. Familie und Freunde hat er wie vieles andere in Gambia zurückgelassen. Sein Handy ist der Draht in die Heimat.

Wer flieht, tut dies nicht mitsamt gesammeltem Hausstand. Wer illegal reist, bewegt sich selten auf bequemen Routen. Umso wichtiger ist es, alles an einem Flecken zu haben: Auf der Flucht ist das Smartphone längst nicht nur ein Handy – es ist Navigationsgerät, Übersetzer, Fotoalbum, Verbindung in die Heimat und ins Zielland. Das Smartphone haben viele schon vor Europa – zum einen ist es in vielen afrikanischen und einigen asiatischen Ländern günstiger, zum anderen der Mobilfunk oft viel besser ausgebaut als Festnetzverbindungen.

Fedaa Hanoun kommt aus den Trümmern Damaskus‘. Seine Eltern und zwei Schwestern sind noch da. „Überall sind Krieg und Bomben“, sagt er. „Nur beim Präsidenten nicht“, ergänzt er und kann sich ein zynisches Lachen nicht verkneifen. Er macht sich große Sorgen um seine Familie, kann nachts oft nicht schlafen. Am liebsten würde er sie nachholen. Neulich war er im Krankenhaus. Sein Herz mache den ganzen Kummer nicht mehr mit, meint er. Ein- oder zweimal die Woche ruft er seine Familie an, obwohl die Verbindung nach Syrien sehr schlecht sei. Dafür hortet er fünf verschiedene Sim-Karten – für jeden Zweck hat der 27-Jährige die günstigste Variante bereit.

„Der Kontakt in die Heimat und zu Flüchtlingen in anderen Städten ist ganz wichtig“, weiß auch Jochen Ziegler vom AK Asyl in Weilheim. Ebenso wichtig ist es, schnell im neuen Land Fuß zu fassen. Die Zuständigen von der AWO haben nicht die Möglichkeit, jedem Einzelnen den Weg zu zeigen, und die Sprachkurse wollen auch erst organisiert sein. Das Smartphone sorgt in der Zwischenzeit für ein Minimum an Verständigung. „Viele benutzen die Übersetzungsfunktion von ihrer Heimatsprache ins Deutsche“, sagt Ziegler. „Man kann sich die Wörter dort auch vorsprechen lassen.“ Google Maps hingegen hilft, eigenständig den Weg zu finden. „Wenn ich in die Stadt wollte, hab ich nie gewusst, wohin“, erklärt Pa Modou aus Gambia. Auch in den Supermarkt ließ er sich von dem Gerät leiten. Ähnlich läuft es bei anderen Angelegenheiten. „Wenn wir Fragen haben und jemanden sehen, gehen wir natürlich zu den Ehrenamtlichen“, berichtet Pa Modou. „Wenn keiner da ist, gucken wir im Internet nach.“ Zu Besuchen sind die helfenden Hände in der Dettinger Straße einmal die Woche.

Weil die Helfer in Kirchheim und Weilheim wissen, welche Rolle die Smartphones für die Geflohenen spielen, gibt es hier wie dort Diskussionen darüber, einen WLAN-Zugang einzurichten. Bislang allerdings ohne Ergebnis. „AK Asyl, Stadt und Landkreis sind in Weilheim dabei, WLAN zu organisieren, aber da liegt noch nichts in trockenen Tüchern“, verrät Jochen Ziegler. Die Datentarife findet er fürchterlich teuer. Weil die Flüchtlinge kein dauerhaftes Bleiberecht haben, kriegen sie auch keine richtigen Verträge. Die wären wiederum bezahlbarer. In Weilheim gibt es das Café Wesley‘s, das Flüchtlinge sogar dazu einlädt, seinen Internetzugang zu nutzen. „In Kirchheim kenne ich keinen Platz“, sagt Pa Modou.

Smartphone - Handy - Flüchtlinge - Asyl - Asylant - AsylbewerberDas Mobiltelefon ist dabei der letzte Draht in die Heimat, zu Fa
Smartphone - Handy - Flüchtlinge - Asyl - Asylant - AsylbewerberDas Mobiltelefon ist dabei der letzte Draht in die Heimat, zu Familie und Freunden.Auf der Flucht werden sie überlebenswichtig.
Smartphone - Handy - Flüchtlinge - Asyl - Asylant - AsylbewerberDas Mobiltelefon ist dabei der letzte Draht in die Heimat, zu Fa
Smartphone - Handy - Flüchtlinge - Asyl - Asylant - AsylbewerberDas Mobiltelefon ist dabei der letzte Draht in die Heimat, zu Familie und Freunden.Auf der Flucht werden sie überlebenswichtig.

Frei funken

Frei funken
Frei funken

Freifunk hat schon mehrere Flüchtlingsunterkünfte im Raum Stuttgart ausgestattet – Steckt da drin auch ein wenig eigenes Herzblut?

THOMAS RENGER: Wir finden es wichtig, dass alle Leute mit Internet versorgt sind. Die Flüchtlingsunterkünfte sind ein guter Anfang. Viele Flüchtlinge können sich tatsächlich keinen eigenen Zugang leisten. In den Facebook-Kommentaren wird darüber oft Unmut geäußert. Nach dem Motto: Warum kriegen die das und wir nicht? Aber das stimmt nicht: Wir machen das für alle, die wollen.

. . . weil Internetzugang ein Grundbedürfnis ist?

RENGER: Der Internetzugang ist heute definitiv eine wichtige Versorgungsaufgabe – vergleichbar mit Wasser oder Elektrizität. Das klappt nicht so richtig, wenn man sie gewinnorientierten Konzernen überlässt. Viele Städte wollen jetzt flächendeckendes WLAN einführen, doch meistens muss man dort seine Daten angeben und kurz darauf ist das Volumenlimit abgelaufen. Wer weiter surfen will, muss einen Vertrag mit dem Anbieter abschließen – die müssen schließlich auch ihr Brot verdienen. Dabei ist genug Internet für alle da.

Und das wollen Sie für jedermann kostenlos zugängig machen?

RENGER: Ja, die Idee dahinter ist es, ein großes, erstmal vom Internet unabhängiges Netzwerk aus WLAN-Routern aufzubauen, die in direkter Umgebung sind und untereinander kommunizieren können. In Berlin gibt es schon Gegenden, wo sich die Router „sehen“ können und Passanten Zugriff auf ein großes, zusammenhängendes Netz haben. In Stuttgart muss man noch gezielt danach suchen. Wenn man so ein Netz erstmal aufgebaut hat, kann dort im zweiten Schritt jeder ganz einfach ins Internet.

Wie entsteht dieses Netz?

RENGER: Die Router werden meist von Privatpersonen in Eigenregie aufgebaut und anderen zur freien Verfügung gestellt. Wer ein Teil vom Freifunk-Netzwerk werden will, muss sich einfach ein entsprechendes Gerät zulegen und unsere Software runterladen. Wir kommen auch gerne zu Besuch, wenn es Probleme bei der Installation gibt. Unser Traum ist, dass es Freifunk irgendwann überall gibt. Der Vorteil bei dem System ist, dass durch die Vernetzung egal ist, wenn eine Verbindung zum Internet mal ausfällt. Hauptsache ist, dass genügend andere funktionieren.

Das klingt alles schön und gut, aber gibt es mit dem Projekt keine rechtlichen Probleme?

RENGER: Überhaupt nicht. Erst mal sind die Privatpersonen oder Restaurants, die die Router anbieten, vollkommen aus dem Schneider, weil der Verkehr auf unsere Server umgeleitet wird. Das heißt, in den IP-Adressen tauchen die privaten Anschlüsse gar nicht mehr auf. Wenn jemand in unserem Netz etwas Illegales macht, sind wir selbst in der Verantwortung. Wir unterstützen dann die Behörden im Rahmen unserer technischen Möglichkeiten. Was wir allerdings nicht tun, und zum Glück auch noch nicht tun müssen, ist Daten auf Vorrat zu speichern.

Zurück zum Fall der Flüchtlingsunterkünfte: Wie kommen die Router in die Unterkünfte?

RENGER: In Stuttgart und Umgebung haben wir schon sechs Heime versorgt. Die Geräte für das Projekt werden zum Beispiel durch Spenden vom Freundeskreis der Unterkünfte finanziert, aber den Rest erledigen wir. Schwierig ist es manchmal, einen Internetanschluss zu finden – den gibt es nämlich nicht überall. Oft beteiligen sich dann Nachbarn und teilen ihr eigenes Netzwerk von zu Hause.