Lokale Kultur

Eine Königin tanzt Tango

14. Kirchheimer Orgelnacht in Sankt Ulrich wurde mit tosendem Beifall gewürdigt – Konzerte im Stundentakt als Erfolg

Kirchheim. Die Orgelnacht ist aus dem Kirchheimer Kulturleben nicht mehr wegzudenken. Rechtzeitig zu Beginn der Veranstaltung hatte sich der Himmel wieder seine Schleusen

geschlossen. So stand dem „Eventcharakter“ unter freiem Himmel, nichts mehr im Wege.

In seiner Begrüßung hob der rührige Spiritus Rector der Orgelnacht, Dekanatskirchenmusiker Thomas Specker, die großartige Resonanz der bisherigen Konzerte hervor. Dies spreche für die Konzeption von vier Konzerten im Stundentakt, unterbrochen von kulinarischen Pausen.

Den Auftakt bildete die Kombination Orgel und Orchester mit dem Schwäbischen Kammerorchester Kirchheim unter der Stabführung von Matthias Baur sowie dem „Hausherren“ an der Orgel. Schon im einleitenden „Marche Elégiaque“ op.74 des französischen Komponisten Alexandre Guilmant zeigte sich die ausgewogene Balance von Orgel- und Orchesterklang. Nach ruhigem, verhaltenem Beginn blühte das Werk expressiv auf und fand einen zart ausklingenden Schluss. Die verschiedenen Register des Streichorchesters zeigten sich klanglich ausgewogen und in beachtlicher Intonation – angesichts einer Raumtemperatur von 26 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 60 Prozent eine klasse Leistung.

Mit dem „Konzert in g-moll“ für Orgel, Streichorchester und Pauken von Francis Poulenc erwartete die Zuhörer im vollen Kirchenschiff ein erster Höhepunkt. Wuchtige, monolithische Akkordblöcke demonstrierten zu Beginn, des als Hommage an Johann Sebastian Bach entstandenen Opus, die ganze Klanggewalt der Göckelorgel. Die Antwort des Orchesters war entsprechend. So entspann sich ein fast barockes Konzertieren, ein Wetteifern der beiden Klangkörper. Trotz der schwierigen akustischen Verhältnisse auf der Orgelempore meisterten Orgel und Orchester ihre immensen Anforderungen hervorragend. Thomas Specker registrierte „sein Instrument“ perfekt abgestimmt auf die Musik und sein Pendant, das Orchester, und ließ es mal zurückhaltend zart, dann wieder elegisch aufblühend oder solistisch auftrumpfend erklingen. Das Schwäbische Kammerorchester gefiel durch zarte Kantilenen, schwärmerische Streicherfarben sowie schnelles Reagieren auf Temposteigerungen und Dynamikänderungen. Ein Sonderlob gebührt dem Paukisten, der die Pauke virtuos in allen Bereichen zu spielen wusste und als „dritter Klangkörper“ instrumentale Glanzlichter aufsetzte. Matthias Baur hatte das Orchester sehr gut vorbereitet und behielt auch in den Klangmassen der Fortissimopassagen den Überblick.

Paul Theis, Organist und freischaffender Musiker, stellte die „Königin der Instrumente“ im zweiten Teil solistisch in ein strahlendes Licht. Bei allen Orgelwerken stand als Bearbeiter Giacomo Stachelbeer Pate. Als Auftakt erklang ein „Concerto in d“ von Johann Sebastian Bach, zusammengesetzt aus Werkausschnitten anderer Bachscher Werke unterschiedlicher Provenienz. In der Satzfolge: schnell – langsam – schnell erklangen das Vorspiel zur Ratswahlkantate BWV 29, der zweite Satz aus einem Brandenburgischen Konzert, sowie der letzte Satz aus dem Klavierkonzert BWV 1054. Theis wusste die Sätze durch seine stupende Technik und hohe Musikalität, gepaart mit adäquaten Registrierungen zu einem schwungvoll musizierten Gesamtwerk zu verbinden. Das aparte „Rondo D – Dur“ von Mozart, zum Teil als „Flötenuhrstück“ registriert, leitete über zu einigen Orgeladaptionen aus Peter Tschaikowskys Nußknacker – Suite. Hier brachte Theis die Orgel zum ersten Mal zum Tanzen. Die reiche Farbenpalette nutzend und mittels seiner spielerischen Fähigkeiten gelang es ihm, die bekannten Preziosen in ein passendes Orgelgewand zu kleiden und der Orgel orchestrale Nuancen zu entlocken. Dann erklang Ravels „Bolero“ auf der Orgel. In bezwingender Manier entfaltete der Organist das Thema auf dem weltbekannten, grundierenden Bassostinato mit stetiger, grandioser Steigerung bis zum gewaltigen Schluss.

Nach dieser Klangdemonstration von „Orgelklang pur“ war wieder Zeit für eine Partnerschaft. Das Blockflöten-Ensemble der Universität Hohenheim unter der Leitung von Daniela Schlüter bildete die Partnerin der Orgel. Die jungen Damen spielten in wechselnden Zusammensetzungen. Der einleitende Bachsatz, aus dem Brandenburgischen Konzert, arrangiert für siebenstimmiges Blockflötenorchester und Basso Continuo, erfüllte das Kirchenschiff mit warmem, vollen Klang und zeigte die Ausgewogenheit der Flötenregister, die von der Diskantlage bis hin zu Großbasstiefen reichten. Der prägnante, klar zeichnende Klang wurde auch im nächsten Stück von Giovanni Taeggio hörbar. Das im Dialog zwischen Flöten und Orgel angelegte Stück gefiel durch Tempiwechsel und tänzerischem Gestus mit sehr guter Intonation der Flötistinnen. Nach einem Orgelstück von Carl Philipp Emanuel Bach, bei dem sich Rudolf Hendel, nicht nur als einfühlsamer Orgelbegleiter sondern auch als versierter Solist zeigte, gruppierte sich das Flötenorchester vor den Altar. John Dowland, berühmter englischer Lautenist und Komponist des 16. Jahrhunderts, wurde mit einem Klangstück geehrt. Im folgenden Opus von Steve Marshall, einem zeitgenössischen Musiker, stand er Pate für ein Thema. Das jazzorientierte Stück mit wechselnden Passagen und Registern leitete über zu einem ebenfalls von der Jazzharmonik beeinflussten Orgelwerk von Bob Chilcott, inspiriert vorgetragen von Rudolf Hendel. Dass Flöten keineswegs „out“ sind oder sich mit barockem Repertoire begnügen müssen, wurde im letzten Stück des dritten Blocks offensichtlich. Glen Shannons „Jazzy Prelude and Fugue bot nochmals den Musikerinnen und ihrer mitspielenden, engagierten Leiterin Daniela Schlüter, Gelegenheit, ihr Können zu zeigen.

Dann kam der Jazz höchstpersönlich „zu Wort“. In Person von Benjamin Engel, (Sopran- und Altsaxofon sowie Bassklarinette) und Nikolai Gersak, (Kirchenorgel und Fender-Rhodes- Piano) waren ausgewiesene Spezialisten am Werk. Die immer noch zahlreichen Zuhörer wurden von einer schwungvollen Intrada für Orgel und Altsaxofon, einem Standard von Bobby Hebb nachempfunden, in die Welt des Jazz eingeführt. Schien die Orgel zunächst fast zu mächtig, löste sich das Saxofon immer mehr von der Klangdominanz und entwickelte sich zum musikalischen Partner auf Augenhöhe. Im Folgenden entfalteten die beiden Protagonisten ein Feuerwerk musikalischer Ideen und perfekter Improvisationen auf der Grundlage von Jazzstandards von Keith Jarrett, Charlie Mariano und anderer. Benjamin Engel führte dabei seine Instrumente sowohl in höchste Lagen, als auch in abgrundtiefe Register und konnte einerseits bei ausgedehnten Soli als auch bei seinen gefühlvollen Interpretationen der Standardmelodien sein Können eindrucksvoll zeigen. Nikolai Gersak, ausgebildeter Kirchenmusiker, ließ die Zuhörer vergessen, dass eine Orgel primär zur Gestaltung kirchlicher Musik konzipiert wurde und machte sie zu einem „Jazzinstrument“. Auch am Fender-Rhodes-Piano zeigte er sich als kongenialer Partner. Sehr beeindruckend das „blinde“ Verständnis zwischen den beiden Künstlern.

Den großartigen, mitreißenden Abschluss der 14. Orgelnacht bildete der „Libertango“ von Astor Piazolla, einem Stück mit „Ohrwurmqualitäten“, das die Interpreten nochmals zu Höchstleistungen antrieb. Riesiger Schlussbeifall und Vorfreude auf die nächste Orgelnacht.