Lokale Kultur

Rock und Pop in unterhaltsamen Anekdoten

SWR 1-Moderator Günter Schneidewind präsentierte im Kirchheimer Stadtkino wahre Schätze miterlebter Musikgeschichte

Für zwei kurzweilige Stunden sorgte SWR 1-Moderator Günter Schneidewind am Sonntagabend vor versammelter Fangemeinde. Foto: Marc
Für zwei kurzweilige Stunden sorgte SWR 1-Moderator Günter Schneidewind am Sonntagabend vor versammelter Fangemeinde. Foto: Marcus Brändli

Kirchheim. Weltstar David Bowie rettete ihn, als er in der Aufregung seines ersten Live-Interviews vergessen hatte, den sich leer drehenden Plattenteller zu belegen. Joan Baez

verriet ihm, dass Hillary Clinton „einen guten Mann abgeben“ würde und Madeleine Albright oder Condoleezza Rice für sie „ein Albtraum“ seien.

Deep-Purple-Sänger Ian Gillan, den er gerade live als „Überraschungsgast“ vorgestellt hatte, verriet den Hörern gut gelaunt, dass sie doch gerade schon nebeneinander in der Toilette gestanden hätten.

Eher schlecht gelaunt waren dagegen Paul McCartney und seine damalige Frau Heather bei der gemeinsamen Begegnung. Beatle Paul glaubte noch „I have control over this woman“. Sie wusste es besser und sagte voraus: „You will pay for all that later.“ Dass diese Scheidung dann rund 30 Millionen Pfund kostete, ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass Günter Schneidewind immer alles gut abspeichert und nichts vergisst ebenfalls . . .

Eine kurzweiligere und anekdotenreichere Führung durch Jahrzehnte hautnah miterlebter Musikgeschichte hätte sich das begeisterte Publikum jedenfalls kaum wünschen können, doch das überraschte nicht. Immerhin gab sich im Kirchheimer Stadtkino ja der legendäre „große Schneidewind“ die Ehre.

Der eher für seine Bodenständigkeit und Bescheidenheit bekannte SWR-1-Moderator nutzte dabei zunächst einmal im Kreis seiner versammelten Fan-Gemeinde die gute Gelegenheit, mit dem möglichen Verdacht aufzuräumen, dass er irgendwann einmal doch die Bodenhaftung verloren und sich zu Höherem berufen gefühlt habe. Das „wandelnde Lexikon in Sachen Rock- und -Geschichte“ war insgesamt schon vier Mal als Telefon-Joker für Musikfragen bei Günter Jauch „nominiert“ worden, hatte aber immer rechtzeitig eine passende Ausrede gefunden, um sich nicht den drohenden Gefahren dieses „Ehrenamts“ und der „Chance“ des Scheiterns aussetzen zu müssen. So viel Klugheit im Vorfeld hätte seinem Moderatorenkollegen Waldemar Hartmann viel Häme ersparen können, der sich – in der Überzeugung „Born to be Waldi“ zu sein und damit alles zu wissen – ja kürzlich schwer in die Nesseln gesetzt und sich keinen Gefallen getan hatte.

Großer Verantwortung musste sich aber auch Günter Schneidewind stellen, den ein folgenschwerer Gag seines Kollegen Thomas Schmid in Bedrängnis brachte. Kaum hatte der nämlich während der SWR 1-Hitparade ein paar Mal den Eindruck erweckt, als würde er sich in kniffligen Situationen einfach von Patrick Neelmeier einen großen Folianten von Nachschlagewerk namens „Der große Schneidewind“ herüberreichen lassen, um darin die Wahrheit zu erfahren, wurden Begehrlichkeiten geweckt nach einem Buch, das es gar nicht gibt. Als dann auch noch ein Verleger merkte, dass manche realen Bände wie Blei in den Regalen liegen, insistierte auch er, dass diese schon erkennbare Nachfrage so bald wie irgend möglich bedient werden müsse. Es wurde eng . . .

Was als Scherz begonnen hatte, entwickelte sich zur Marke, die Günter Schneidewind geradezu überrollte und bescherte letztlich aber allen am Thema Musik Interessierten ein kurzweiliges Buch, eine gut zusammengemischte CD „Schneidewind on Air“ mit O-Tönen der interviewten Stars, die wiederum gut übersetzt von prominenten und gut erkennbaren SWR-1-Kollegen gelesenen werden und nicht zuletzt eine mit interessanten Videoclips aufwartende Multivisionsshow im Stadtkino.

Der Fall der Mauer hatte Günter Schneidewind, der schon während seines Anglistik- und Germanistikstudiums immer wieder nebenbei als Moderator jobbte, vor eine schwere Entscheidung gestellt. Sein überzeugender Auftritt bei der ersten deutsch-deutschen Hitparade „Top 2000 D“ brachte ihm das verführerische Angebot ein, seinen Lehrerjob in der brandenburgischen Provinz an den Nagel zu hängen, um ab sofort in der Metropole des Wilden Südens als freier Mitarbeiter auf Honorarbasis engagiert zu werden.

Ein Moderationsplan versprach eine das Überleben garantierende Grundsicherung, zusätzliche Initiativen gaben Gelegenheit, diese Basis entsprechend aufzustocken.

Günter Schneidewind war in der Leistungsgesellschaft angekommen, die er immer gewollt hatte. Er hat es in den vergangenen 23 Jahren nie bereut und offensichtlich auch die Chance genutzt, ein Buch zu schreiben, das sich in der westlichen Welt schon großer Nachfrage erfreute, bevor es überhaupt auf irgend einem Plan stand.

Was er aus vergangenen DDR-Zeiten zu erzählen hatte, war sehr unterhaltsam und aufschlussreich. Bis ein Hit als Platte vorlag, konnten – wie beim lange vorauszuplanenden Trabbi-Kauf – schnell einmal 17 Jahre vergehen. Auf der Hülle waren dann allerdings auch wohlformulierte Warnungen vor dem zu erwarten „brandneuen“ Musikgenuss festgeschrieben.

Aktuelle Platten etwa von „Uriah Heep“ konnten nur durch den Dealer des Vertrauens für aberwitzige 250 Mark erworben werden, was in etwa Schneidewinds monatlichem Stipendium entsprach. Um rund 50 Prozent günstiger als diese staatsbedrohende Schmuggelware konnte er „Abraxas“ von Santana deshalb günstiger beziehen, weil die Platte im unverdächtigen Cover von Ravells „Bolero“ steckte, während Pink Floyds „Dark Side of the Moon“ beim Grenzübertritt so tun musste, als wäre sie Beethovens 9. Sinfonie. Beide Raritäten hat Günter Schneidewind noch heute in dieser originellen Zusammenstellung zu Hause parat.

Dass er auch im heimischen DDR-Handel oft die Nase vorn hatte, wenn es galt, eine der wenigen überhaupt auf den Markt kommenden Platten zu erwerben, verdankt er seinem Feldstecher. Er beobachtete nicht Bewegungen an der Grenze, sondern die überschaubaren Warenlieferungen im gegenüberliegenden Plattenladen. Dadurch konnte er sich dann sofort eine der gerade eingetroffenen fünf Deep-Purple-Platten für eine Stadt in der Größe Kirchheims sichern, bevor sie nach wenigen Minuten schon wieder ausverkauft waren. Das geschah oft schneller, als die wenigen Exemplare unter dem Ladentisch zwischengelagert und dann als echte „Bückware“ an ausgewählte Feinschmecker verkauft werden konnte.

Mit gut ausgewählten Einspielern der den gebundenen Erstauflagen noch beigelegten äußerst hörenswerten Best-of-CD konnte Günter Schneidewind im Stadtkino weit über das hinausgehen, was eine herkömmliche Lesung bietet. Dass Mick Jagger nichts falsch daran findet, dass seine Band-Kollegen bei der Auswahl der Titel eines Konzert praktisch kein Mitspracherecht haben, klingt noch viel perfider, wenn man ihn gut übersetzt und auch im Originalton sprechen und dann auch noch vergnügt-diebisch darüber lachen hört.

Bei Jaggers Ex-Geliebten Marianne Faithfull gibt allein schon die rauchig-kratzige Stimme so viel Zusatzinformationen, dass man nicht unbedingt nur an ein ruhiges und gutbürgerliches Leben denkt – auch wenn sie von den Höhen und vor allem Tiefen ihres Lebens dann doch nicht allzu viel preisgeben wollte.

Was Günter Schneidewind auf seiner Live-Tournee, in seinem Buch und auf seiner CD alles erzählen kann, findet sich so jedenfalls in keinem der vielen Pop-Lexika. So wird verständlich, dass die Nachfrage in diesem Fall schon vor dem Buch da war und vielleicht sogar dazu beitrug, dass die Weichen richtig gestellt wurden. Vielleicht kann ja genügend Vorab-Nachfrage auch noch für einen Folgeband „Schneidewind für Fortgeschrittene“ sorgen . . .