Lokale Kultur

Zerknautscht und näselnd verbeult

SonARTrio spielte in der Kirchheimer Stadthalle Neue Musik auf höchstem Niveau

Kirchheim. Der Klassik des 20. und 21. Jahrhunderts eilt der Ruf voraus, kompliziert zu sein. Das mag wohl stimmen; allerdings sei Neue Musik

Brigitte Gerstenberger

der Begriff einer Epoche, die nichts über einen Konzertstil aussage – so begrüßte Simon Kluth (Violine) das Publikum in der Kirchheimer Stadthalle.

Die sympathischen Musiker von SonARTrio mit Till Marek Mannes (Bajan) und Benedict Brodbeck (Violoncello) leiteten die Zuhörer geschickt an, den raumgreifenden Klangerkundungen zu folgen, die Facetten und unterschiedlichen Tonsprachen der Werke zu ergründen und, wenn möglich, nicht nur die Ohren, sondern auch die Seele für die „aktuelle“ Musik zu öffnen. Dieser charmanten Aufforderung, sich aus den bisherigen Hörgewohnheiten zu verabschieden und damit die Fesseln musikalischer Konventionen und akademischer Verkrustungen aufzulösen, kam eine neugierige wie interessierte Zuhörerschaft gerne nach.

Es war ein wilder, sich rasant entwickelnder Satz als Einstieg in das Werk von Bernhard Cavanna, „Trio avec accordèon“ (1996) – musikalische Einlassungen, die auseinanderdriften, um „den Karren dann an die Wand zu fahren“. Geradezu provozierend das raue Spiel am Steg. Bewegte Klänge im Raum, Akkordeonklänge, die maschinelle Charakterzüge annehmen. Ihnen stehen im langsamen Satz „Lent“ sphärische, metaphysische, geradezu melancholische Klänge aus den unendlichen Weiten des Weltalls gegenüber. Atmosphärisch völlig anders geartet ist das Stück des Koreaners II-Ryun Chung, „Hinter dem dunklen Weg“ (1996). Fernöstliche Volksmusik, verbunden mit den Klangcollagen der europäischen Neuen Musik. In sechs szenischen Abschnitten lässt II-Ryun Chung seine Kindheitserinnerungen, die geprägt wurden durch die ängstliche Verweigerung, den unheimlichen Weg hinter dem elterlichen Haus zu beschreiten, geradezu in einem visuellen Sinngefüge wieder aufleben.

Die Stille als immer wiederkehrender Bestandteil im Konzert geradewegs provokativ und lustvoll vom SonARTrio eingesetzt, nur vom Lüftungsgebläse der Stadthalle konterkariert, wurde vom Publikum mit geneigter Konzentration honoriert. Und so gelangten die Zuhörer beim Stück von Wolfgang Rihm „Am Horizont“ (1991) an die Grenzen des Wahrnehmbaren. Till Marek zeigte dabei, dass sein Bajan, eine osteuropäische Variante des Knopfakkordeons, fast identische Töne mit denen der Geige hervorbringen kann. Rihm, einer der bekanntesten zeitgenössischen Komponisten, setzt häufig die Räumlichkeit mit ein. Aus dem Halbrund heraus drangen feinste Akkordeonklänge kaum wahrnehmbar in die Gehörgänge. Verschwindend leise, anhaltende Töne von Bajan und Violine – ein Bravourstück in lautstarken Zeiten.

Vor der Pause folgte Astor Piazollas wilder Tango „La muerte del angel“, den nur „ein toter Engel wohl unfallfrei tanzen könnte“. Es war einmal mehr ein wunderbarer Beweis für die meisterhafte satztechnische Vielfalt, in der sich Piazollas Ruhm, dem Begründer des Nuevo Tango, widerspiegelt.

Nach der Pause war ein weiterer Tango von Hans-Joachim Hespos, „Zerango“ (1985) zu hören – unvorstellbar selbst für Engel, auf dieses zerrissene Stück tänzerisch zu reagieren. Hespos sogenannte Notenschrift gleicht mehr Interpretationsanweisungen wie zerknautscht, näselnd verbeult, trockene Stille, vermanscht oder spuckig. „Aus diesen „emotionalen Gebrauchsanweisungen machen wir Noten“, ließen die Musiker schmunzelnd wissen. Was die erstklassigen Musiker aus den kryptischen Anweisungen machten, sorgte für Belustigung im Publikum. Aus dem wilden, verzweifelten und zuweilen in stummen Bewegungen verharrendem Spiel mit eigentümlichen Klangfarben entstand eine gar ironisch anmutende Improvisation, der die Zuhörer herzhaft und heiter applaudierten.