Lokale Kultur

Goethe machte die Frauen unsterblich

Werner Haubrich referierte über „Goethes Frauen in seinen Gedichten“

Owen. Die Ankündigung war besonders attraktiv, so ganz maßgeschneidert für den Referenten Werner Haubrich. Er ist Germanist und Rezitator. Er kann Dichtungen frei vortragen und hat das fundierte Wissen,

sie zu erläutern – was er schon bei Schillers „Lied von der Glocke“ im Max-Eyth-Haus unter Beweis gestellt hatte. Mit „Goethes Frauen“ war er auf Einladung der Kirchengemeinde Owen im Evangelischen Gemeindehaus zu Gast.

Ganz kompromisslos stellte er anfangs klar: Goethe war in Bezug auf Frauen ein Kind seiner Zeit. In der Poesie („Heideröslein“) wie in theoretischen Äußerungen, zum Beispiel im Gespräch mit seinem Sekretär Eckermann, gibt er kund: Frauen sind nicht anziehend durch ihren Verstand, sondern „wir lieben an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge . . .“. Ihnen ist das Gefühl zugeordnet, vor allem das Feingefühl, wie sie dem Mann am besten dienen können. Dabei hat Goethe Frauen viel zu verdanken. Er ist von Frauen geprägt, durch seine Mutter, der er nach eigenem Bekunden „die Lust zu fabulieren“ verdankt, und einer Susanne von Klettenberg, einer Pietistin, die ihm nach seiner ruinösen Leipziger Jugendzeit in Frankfurt wieder Kraft und Halt gegeben hat.

Und zum Dichter gemacht hat ihn auch eine Frau: Friederike Brion. Mit ihr beginnt die Reihe der „Frauen als Frauen“, wie Haubrich formulierte. Der 21-jährige Goethe hielt sich in Straßburg auf, um Jura zu studieren. Dabei lernte er Friederike kennen, die im nahegelegenen Sesenheim wohnte, und besuchte sie öfter, was in der damaligen Zeit einer Verlobung gleichkam. Goethe enttäuschte diese Hoffnung. Er wollte sich nicht binden. Doch das Ergebnis dieser Begegnung war, dass Goethe eine neue Art von Lyrik niederschrieb, Erlebnislyrik. Sie ist nicht von einer festen Form geprägt, sondern von der Empfindung und der Sprache des Herzens. Anhand der Gedichte „Mailied“ und „Willkommen und Abschied“ konnten sich die Zuhörer von dem richtungsweisenden Sturm- und Drang-Stil überzeugen.

Nach diesem Muster liefen die weiteren Begegnungen zwischen Goethe und den Frauen ab. Goethe war von Natur aus überaus liebesfähig. Er entbrannte lichterloh, doch er scheute vor einer festen Verbindung und er ergriff die Flucht, um sich gegebenen Falles gleich wieder zu begeistern. Nachher produzierte er Dichtungen, in denen er die Begegnungen verarbeitete. So brachten Goethes Liebschaften eine Fülle von Liebeslyrik hervor. Die Gedichtgruppen bringen jedes Mal einen anderen Ton hervor, jauchzend bei den Sesenheimer Liedern, leicht und formvollendet bei den Liedern um Lili Schönemann, einer Frankfurter Bankierstochter, mit der Goethe sogar verlobt war („Neue Lieder, neues Leben“). Eine besondere Stellung nahm Charlotte von Stein in Weimar ein. Die Beziehung zu ihr, einer siebenfachen Mutter, war von längerer Dauer und vielleicht nur auf geistiger Ebene („Warum gabst du uns die tiefen Blicke“). Goethe flieht aus Weimar nach Italien, wo er mit einer „Faustina“ erotisch erfüllte Nächte verbringt, nachzulesen in den für die damalige Zeit sehr freizügigen „Römischen Elegien“.

Nach der Rückkehr kam das einfache Mädchen Christiane Vulpius in sein Gartenhaus. Er behält sie gleich da („Gefunden“). Sie haben ein Kind miteinander, den unglücklichen August. Erst 50-jährig hat Goethe seine von der Gesellschaft meist nicht akzeptierte Christiane geheiratet. Die Beziehung zu ihr hielt ihn aber nicht ab, in eine kurze Beziehung zu Marianne von Willemer, die ihm auch literarisch gewachsen war, einzugehen. Ergebnis: die Suleika- und Ginkobaumgedichte.

Gegen Ende seines Lebens musste Goethe noch als Liebhaber eine schwere Niederlage hinnehmen, die man als ausgleichende Gerechtigkeit empfinden kann. In Marienbad lernte er als alter Mann die 19-jährige Ulrike von Levetzow kennen. Er macht ihr sogar einen Heiratsantrag, der abgelehnt wird. In der „Marienbader Elegie“ verarbeitet Goethe seine Depressionen. Martin Walser hat in seinem Roman „Ein liebender Mann“ die Problematik dieser Altersliebe beschrieben.

Hat Goethe sich an den Frauen, unter denen er, so Haubrich, die „Urfrau“ suchte, versündigt? Er selbst anerkannte keine Schuld. Thomas Mann hat in seinem Roman „Lotte in Weimar“ eine Antwort versucht. Er lässt den alten Goethe mit der alten Lotte, Werthers Lotte, ein Gespräch führen. Der Goethe Thomas Manns gebraucht ein Bild, um sein Verhältnis zu den Frauen zu beschreiben. Die Frauen sind auf ihn geflogen wie Motten in ein Kerzenlicht. Sie sind verbrannt, doch sie haben Dichtungen angeregt, die sie unsterblich machten. Aber auch die Kerze hat dabei ihre Energie verbraucht.

Werner Haubrich hat die Erwartungen an diesem Abend voller Poesie, gesteigert durch wertvolle Erläuterungen, in vollem Umfang erfüllt.