Nürtingen. Eine der erfolgreichsten Sportlerinnen, die der VfL Kirchheim jemals hervorbrachte, war Maria „Mizzi“ Wawra: In ihrer zehnjährigen Glanzzeit zwischen 1972 und 1982 hebelte die Ausnahme-Judoka in der Schwergewichtsklasse fast jede Gegnerin aus. In Baden-Württemberg hatte sie in dieser Zeit überhaupt keine Konkurrentin zu fürchten – acht Landesmeisterschaften holte sie nach Kirchheim. Darüber hinaus hat sie als Judo-Lebensleistung noch eine süddeutsche Meisterschaft, einen Vizetitel und vier dritte Ränge bei deutschen Meisterschaften sowie wenige Länderkampfeinsätze zu Buche stehen.
Auf das Jahr 1975, als sie in Koblenz deutsche Vizemeisterin wurde, blickt sie besonders gerne zurück. Dort schaffte sie „meinen größten und wichtigsten Erfolg“ – ein Erfolg, von dem sie bis heute zehrt. Allerdings kreuzten sich schon damals die Wege mit ihrer ungeliebten Dauer-Rivalin Christiane Kieburg. Wawra, ein paar Kilogramm leichter als die spätere Dreifach-Europameisterin, verlor regelmäßig Kämpfe gegen sie – der Grund dafür, weshalb letztlich die Berlinerin und nicht die Schwäbin meistens Einladungen zu den Länderkämpfen erhielt. Auch die ehemalige Weltmeisterin Barbara Claßen (JC Grenzach-Wyhlen) war eine Dauer-Rivalin von ihr. Immerhin schaffte die VfL-Wurfkünstlerin den Sprung in den B-Kader des Deutschen Judo-Bundes (DJB).
Wegen der fast in Stein gemeißelten nationalen Kämpferinnen-Hierarchie gab der Verband Wawra einmal die ernst gemeinte Empfehlung mit auf den Weg, doch besser abzuspecken und in die leichtere Gewichtsklasse zu wechseln – dort würden für sie bessere Nationalmannschafts-Chancen bestehen. Einen Trainingsplan bekam das Kadermitglied von der damaligen DFB-Frauenbeauftragten Wibke Miebach gleich mit: Einen, der ihr verschärftes Lauftraining abverlangte. Doch der DJB-Vorschlag erreichte die falsche Frau: Wawra („ich habe Judo immer nur zum Spaß betrieben und war trainingsfaul“) wollte sich zusätzlich zum wöchentlichen Mattentraining nicht auch noch über harte Betonstraßen oder holprige Waldwege quälen, zumindest nicht regelmäßig. Körperliche Schinderei war nichts für die Schwergewichtlerin mit Hauptjob Technische Zeichnerin in einem Nürtinger Architekturbüro. Also verwarf sie den DJB-Übungsplan ganz schnell wieder – und ließ damit auch eine womöglich noch erfolgreichere Karriere platzen.
Ohne jegliches Bedauern blickt die Ex-Sportlerin heute auf das Jahrzehnt als VfL-Judosportlerin zurück. In Deutschland die Nummer zwei (oder drei) und im Ländle der gefeierte Star ihrer Gewichtsklasse zu sein, das genügte ihr. Dass sie Schweiß treibende Konditionsbolzerei scheute wie der Teufel das Weihwasser, hat ihrem Ruf bis heute nicht geschadet. „Historisch gesehen war Maria Wawra sicherlich die beste VfL-Judoka aller Zeiten“, sagt ihr ehemaliger Trainer Stefan Molitor (66) über sie, „so lange wie sie hat sich keine andere Sportlerin aus der VfL-Judoabteilung in der absoluten Spitze gehalten.“ Auch nicht Gabi Krause, die 1982 internationale deutsche Meisterin wurde und nach ihrer Heirat später mit Nachnamen Deuringer hieß. Krause hielt sich rund zwei Jahre an der Spitze.
„Stefan Molitor hat mir damals viel beigebracht“, sagt Maria Wawra. Der Trainer, der selbst erfolgreicher Kämpfer und ein ausgewiesener Experte war – er war ihr Erfolgsgeheimnis. „Denn ein Naturtalent war ich ebenso wenig wie ein Konditionswunder.“ Molitor brachte der ehemaligen Schwimmerin der TG Nürtingen bei den bis zu drei Mal pro Woche stattfindenden VfL-Übungseinheiten in der Alleenschulturnhalle sämtliche wichtigen Würfe bei und formte aus ihr schließlich eine deutsche Spitzenjudoka. Ein Kuriosum bleibt: Jenes, dass Molitor bei Wawras Wettkämpfen nicht anwesend sein durfte – auf Direktive der Kämpferin. „Ich war mit meinen Kommentaren an der Matte damals zu kritisch, das kam nicht immer gut bei ihr an“, erinnert sich Molitor an das Auftritts-Verbot als Wawra-Coach.
1982, nach elf VfL-Erfolgsjahren, trat Maria Wawra 33-jährig vom Leistungssport zurück, wonach sie bis 1995 VfL-Jugendtrainerin blieb. Danach nabelte sich die Nürtingerin komplett vom VfL Kirchheim ab – auch weil ihr der neue Job als Hausmeisterin in einem Rossdorfer Hochhaus ihr immer weniger Freizeit ließ. Kontakt zu ihrem Ex-Verein hält Wawra („ich halte mich mit Radfahren, Tennis und im Fitnesstudio in Form“) aber immer noch: Mindestens einmal im Jahr trifft sie sich mit alten Kamerad(inn)en in Kirchheim zu Kaffee und Kuchen. Das ein oder andere alte Judo-Histörchen wird dann auch schon mal erzählt, „aber meistens drehen sich die Gespräche in der Seniorenrunde darum, wer gerade welches Wehwehchen hat“, sagt Stefan Molitor und schmunzelt.