Lokalsport

Am Sonntag ist der Papa Küchenchef

Sport-Geschwister (4): Im Alltag von Pia, Moritz und Felix Pohl ist das Turnen Taktgeber und Lebensschule in einem

Sie sind das Herz des Turnsports in Kirchheim. Nicht nur wegen ihrer sportlichen Erfolge. Im Hause Pohl gedeiht ein selten gewordenes Pflänzchen. Pia, Moritz und Felix Pohl leben eine Urform des Sportgeists in dritter Generation. Mit sympathischer Lockerheit und eisenharter Disziplin.

Felix Pohl , TurnenVFL Kirchheim
Felix Pohl , TurnenVFL Kirchheim

Kirchheim. Der erste Seitschwung des Tages ist der schwierigste und zählt zum Pflichtprogramm. Wenn um 5.30 Uhr der Wecker klingelt beginnt ein Tag, der wenig Leerlauf, dafür nicht selten 15 Stunden hat. Schule, Hausaufgaben, Training – jede Minute wird genutzt, ob in der Unterrichtspause, in der Halle oder bei der Fahrt in Bus und Bahn. Spätestens um halb neun zum Abendessen sitzen im Hause Pohl alle gemeinsam um den Tisch. Ein Ritual, das allen heilig ist, weil dann die Uhr für kurze Zeit langsamer tickt.

Wenn leistungsorientiertes Training den Charakter eines Menschen beeinflusst, dann ist Turnen mehr als nur Sport. Eine harte Lebensschule, die eiserne Disziplin und Willen abverlangt. Wer hier erfolgreich sein will, für den sind Ausreden tabu. Erfolgreich sind die Pohl-Geschwister alle drei. Die Titelsammlung von Pia, Moritz und Felix füllt ganze Seiten und wenn die Turnabteilung des VfL Kirchheim in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiert, dann sind drei Generationen der Familie Teil dieser Geschichte. „Wir sind alle da hineingewachsen“, sagt Mutter Michaela, einst selbst eine erfolgreiche Turnerin. Nach Ende ihrer aktiven Karriere steht sie heute noch immer als Trainerin und Kampfrichterin fast täglich in der Halle. Ihre beiden Ältesten haben bereits nachgezogen und die Prüfung zum staatlich geprüften Kampfrichter abgelegt. Sie wollen dem Turnen auch nach ihrer aktiven Laufbahn treu bleiben.

Ob es sich lohnt, soviel Zeit und Energie in eine Sache zu stecken, mit der sich bis heute kein Geld verdienen lässt? Eine Frage, die Michaela Pohl immer wieder hört. „Man nimmt viel mit“, sagt sie mit Blick auf ihre drei Sprößlinge, von denen jeder auf seine Weise vom Turnen zu profitieren scheint. „Man lernt, wie man ein Ziel nicht aus den Augen verliert“, meint die 17-jährige Pia, die in der Zweitliga-Riege des VfL inzwischen zu den Routinierteren zählt. Disziplin und Respekt schätzt Moritz als Erfahrungswerte am meisten. Mit 19 Jahren ist er der Älteste und meint: „Damit fällt auch abseits des Sports vieles leichter.“ Seit kurzem hat er das Abitur in der Tasche – mit einer Eins vor dem Komma. Jetzt hofft er im Sommer auf einen Studienplatz im Fach Medizin. Wenn er ans Karriereende denkt, dann schürt das kein Unbehagen. „Irgendwann zählen andere Dinge im Leben“, sagt der 1,81 Meter große Schlaks, der seine beiden Geschwister um einen ganzen Kopf überragt. Im Herbst muss er sich entscheiden, ob er im Trikot des KTV Hohenlohe eine weitere Saison in der Regionalliga dranhängt oder zu seinem Heimatverein nach Kirchheim zurückkehrt, wo er bis 2009 in der Oberliga turnte. So oder so: „Ich bin am Austrudeln“, sagt er mit Blick auf den Sport.

Von Austrudeln kann beim Jüngsten keine Rede sein. Ihm steht die sportliche Zukunft weit offen. Eine große wie viele meinen, denn niemand zweifelt ernsthaft daran, dass der VfL Kirchheim für ihn nur Durchgangsstation ist. Mit 15 Jahren sammelt Felix Pohl deutsche Meistertitel wie seine Altersgenossen allenfalls Facebook-Freunde im Internet. Im November gab er beim Jugend-Länderkampf in Halle ein vielgelobtes Debüt im Nationaltrikot, war auf Anhieb zweitbester Deutscher. Die Europameisterschaften im kommenden Jahr sind sein Nahziel. Wie jeder Ausnahmesportler hat er jedoch den einen, ganz großen Traum: Olympia. Dafür schuftet er 20 Stunden pro Woche im Stuttgarter Kunstturnforum und hat vergangenen Sommer sogar die Schule hinten angestellt. Sein Wechsel vom Gymnasium auf die sportprofilierte Linden-Realschule in Untertürkheim nimmt Druck von den breiten Schultern des 1,62 Meter kleinen Mannes.

Er macht sich nichts vor. Wie geradlinig ein talentierter Turner seinen Weg gehen kann, bestimmt in erster Linie der Körper. Eine von vielen Erfahrungen in einem Jahr, das für ihn mit einer Ellbogen-OP begann und bis zum heutigen Tag bestimmt wird von Physiotherapie und eingeschränktem Training. Seinen Witz hat er darüber nicht verloren. Felix Pohl redet wenig. Was er sagt, trifft meist ins Schwarze. Effizienz, so scheint es, ist nicht nur im Zeitmanagment ein hilfreiches Mittel. Sein Humor ist mitunter so trocken als sei er mit Magnesia gepudert. Der Kleinste und Jüngste der Familie verkörpert den Draufgänger-Typ, den „ewigen Herausforderer“ wie er grinsend meint. Wenn er sich mit dem älteren Bruder regelmäßig im Ringkampf misst, auf dem Bolzplatz mit den Kumpels kickt oder im Winter mit dem Snowboard die weitesten Sprünge hinlegt, dann gibt er sein Bestes. Gedanken ans Verletzungsrisiko verschwendet er dabei selten. „Man kann sich nicht daheim in Watte packen“, meint er. „Bis jetzt ist immer alles gutgegangen.“

Was für Felix der Ellbogen ist, aus dem im Februar ein Knorpelstück entfernt werden musste, ist für seine ältere Schwester in diesem Jahr der Meniskus im Knie. Seit März heißt es für sie kürzer treten. Den Zweitliga-Wettkampf Mitte Juni hat die Allrounderin in der Mannschaft nur mit reduziertem Programm bestreiten können. Spätestens bis zum heißen Herbst hofft sie, wieder völlig fit zu sein. Anfang November steht der Deutschlandpokal auf dem Programm, schon Ende Oktober fällt womöglich die Entscheidung über den Klassenerhalt des VfL in der zweiten Bundesliga. Nebenbei bastelt sie an der Cannstatter Akademie für Kommunikation an ihrer Fachhochschulreife – Fachbereich Tourismus. Ein Berufswunsch, der nahe liegt, denn das Fernweh verbindet die ganze Familie. China, Mexiko, Kanada – sie sind viel rumgekommen. Immer gemeinsam, immer mit viel Spaß und immer in den ersten beiden Ferienwochen im Sommer. „Mehr geht nicht“, sagt die Mutter. Der Trainingsplan kennt kein Pardon.

Nur an Wochenenden ist alles anders. Wenn kein Wettkampf ansteht, ist das die Zeit der kleinen Fluchten. Faulenzen, Freunde treffen und vor allem: Ausschlafen. Der Tag beginnt dann mit einem gemeinsamen Brunch, bei dem es ausnahmsweise keine Regeln gibt. Jeder stößt dazu, wann er will, jeder geht, wann er will und der Papa ist der Küchenchef.