Kirchheim. Da hockte er, mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf einem halb leeren Bierkasten und zuckte mit den Schultern. „Heute war eben der Grasi dran.“ Leif Lampater hat gestern auch seine sechste Chance auf den Sieg in Kirchheim nicht genutzt. Trotzdem konnte er dem Tag etwas Gutes abgewinnen. Schließlich war Kirchheim der Schlusspunkt hinter einem überaus erfolgreichen Wochenende für den 31-jährigen Wahl-Rosenheimer und sein Team „Malojapushbikers.“ Tags zuvor war er in Garching Zweiter geworden. Am Freitag noch stand er in Wörgl in Tirol ganz oben auf dem Treppchen. Heute reichte es nur zu Platz sieben, dafür war sein Teamkollege und Bahnpartner Christian Grasmann der Mann des Tages beim Kirchheimer Rennen.
Es war ein unglaublicher Kraftakt, den Grasmann, sein Kemptener Kollege Jonas Schmeiser und Florian Tenbruck (Racing Students) boten. Auf dem kurvenreichen Kurs setzte sich das Trio schon nach wenigen Runden vom Feld ab und fuhr bis zur Hälfte des Rennens einen Vorsprung von über einer Minute heraus. Trotz kräftigen Winds gelang es den Verfolgern nicht, den Abstand wesentlich zu verringern. Als bei Tenbruck und Schmeiser erkennbar die Kräfte nachließen, setzte Grasmann zwei Runden vor dem Ziel die entscheidende Attacke. Dem Antritt des deutschen Bahnmeisters von 2010 konnte nach mehr als einer Stunde kraftraubender Führungsarbeit keiner mehr folgen. Dahinter entschied Florian Tenbruck den Verfolgersprint in der Marktstraße hauchdünn für sich.
Grasmanns erster Erfolg in Kirchheim war auch ein Sieg gegen den inneren Schweinehund. „Ich bin heute morgen kaum aus dem Bett gekommen“, gestand er im Ziel. „Nach dem Rennen am Samstag in Garching waren die Beine schon ziemlich schwer.“ Erkennbar schwer tat sich auch Andi Mayr, dessen Auftritt in der Teckstadt mit besonderem Interesse verfolgt wurde. Der Sieger von 2011 ist nach zweijähriger Rennpause zurück und schonte lange seine Kräfte im Feld. Erst als es in die entscheidende Phase ging, drückte der gebürtige Esslinger im Verfolgerfeld aufs Tempo und belegte am Ende noch Platz neun. Mit 74 Siegen ist der 30-Jährige ehemalige Landesmeister einer der erfolgreichsten Amateure in Baden-Württemberg. Doch auch einer wie er kehrt nach einer Wettkampfpause nicht einfach zur Tagesordnung zurück. „Die Zunge schleift ganz schön am Boden, aber es hat Spaß gemacht.“
So oder so ähnlich muss es auch Streckensprecher Freddy Eberle ergangen sein, der mit Co-Kommentator Marc Sanwald fast acht Stunden am Stück geballte Information und Entertainment lieferte. Erfreuliches hatte die beiden auch aus lokaler Sicht zu vermelden: Der Kirchheimer Kai Kauz, seit diesem Jahr im Trikot des jungen Continental-Teams aus Stuttgart, landete im C-Rennen auf Platz 18. Jens Rustler war als 16. bester Fahrer der Kirchheimer Equipe Passione Bici-De Rosa.
Dass auf einem Stadtkurs wie in Kirchheim Erfahrung die halbe Miete ist, hat sich auch in den anderen Rennen gezeigt. Es ist die Rückkehr der alten Garde, die der Amateurradsport im Land in diesem Jahr erlebt. Mit dem 39-jährigen Remstäler Thomas Singer (RSC Kempten)gewann ein Fahrer das Rennen der C-Klasse, der im vergangenen Jahrzehnt an der Seite von Andi Mayr, Steffen Greger oder Benjamin Diemer im Merida Team die Speerspitze in Baden-Württemberg bildete. Er verwies Sebastian Spengler (RV Schorndorf) und seinen Kemptener Vereinskollegen Kai Bekel im Zielsprint auf die Plätze. Für Spengler war es ein perfekter Tag: Nachdem er am Morgen ohne Helm und Radschuhe aufgebrochen war („Ich hatte eine etwas unruhige Nacht“) und sich vor dem Start die Ausrüstung leihen musste, durfte er als Siegprämie ein nagelneues Schuhwerk in Empfang nehmen.
Ein alter Hase war auch im offenen Rennen der Jedermänner nicht zu schlagen, für die es um Punkte für die württembergische Jedermann-Meisterschaft ging. Der 56-jährige Gunter Bohnenberger vom RSV Tailfingen spielte bei der Wahl der besten Linie im Sprint seine langjährige Erfahrung als Lizenzfahrer aus. Für die beiden Lokalmatadoren aus Jesingen, Andreas Miller und Markus Braun (Team Lightweight) blieben die Plätze vier und sechs. Ans Limit oder gar darüber hinaus ging die Augsburgerin Maria Hivner. Die Sprint-Europameisterin im Duathlon behauptete sich als eine von sechs Frauen im Mittelfeld und war hinterher so geschafft, dass sie mit Kreislaufproblemen medizinisch betreut werden musste. Den Siegerstrauß als schnellste Frau nahm sie am frühen Abend aus den Händen von Rennchef Albert Bosler dann doch noch entgegen.