Lokalsport

Hilfe für Syrien aus der schwäbischen Diaspora

Dank des Fußballs fühlen sich die Mitglieder des SSV Göppingen mit ihren aramäischen Volksgenossen in Syrien verbunden

Vor der aramäischen Fahne präsentieren die SSV-Oberen um Tulgar Tuma, Iso Sasmaz, Imderevos Bozdemir, Ahrun Matay und Hanna Sarg
Vor der aramäischen Fahne präsentieren die SSV-Oberen um Tulgar Tuma, Iso Sasmaz, Imderevos Bozdemir, Ahrun Matay und Hanna Sargon (v.l.n.r.) stolz den Vereinsschal des 1979 gegründeten Vereins. Foto: Peter Eidemüller

Für die meisten Menschen in Deutschland ist der Krieg in Syrien weit weg. Für die Mitglieder des Syrisch-Orthodoxen Sport- und Kulturvereins Göppingen, kurz SSV, ist er jedoch ganz nah.

Die meisten der rund 70 Mitglieder haben Freunde, Verwandte oder Bekannte, die unter dem blutigen Konflikt leiden. „Der Krieg ist immer Thema, man redet ständig darüber. Es ist schmerzhaft“, bekennt Sargon Hanna unter dem beipflichtenden Kopfnicken seiner Vereinskameraden. Der 32-Jährige hat Cousinen und Tanten, die in Syrien ums tägliche Überleben bangen müssen.

Sargon Hanna gehört wie alle Mitglieder des SSV Göppingen dem Volk der Suryoye an (siehe Infoartikel), die als christliche Minderheit unter Machthaber Assad weitestgehend Schutz genossen hatten. Obwohl selbst keine aktiv agierende Kriegspartei, sind die Suryoye mit zunehmender Dauer des Konflikts immer mehr zwischen die Fronten geraten und fliehen aus dem geschundenen Land wo und wie sie nur können.

Flucht und Vertreibung prägen die Geschichte der Suryoye, von denen heute schätzungsweise 110 000 in Deutschland leben. Viele kamen in der 60er- und 70er-Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei, dem Iran und Syrien. Auch in Göppingen wurden viele von ihnen heimisch, gründeten eigene Kirchengemeinden und 1979 auch einen Verein: den SSV, der sich neben Folklore und Brauchtumspflege auch den Fußball auf die Fahnen geschrieben hat.

Knapp 20 Jahre lang nahmen SSV-Mannschaften an Hobbyturnieren in ganz Deutschland teil, ehe sie 1999 den Sprung auf Verbandsebene wagten. Unter der Federführung von Imderevos Bozdemir, den sie beim SSV alle nur Jimmy nennen, belegte der SSV in seiner Premierensaison auf Anhieb Platz fünf in der Kreisliga B. „Wir hatten immer eine gute Mannschaft, mit zum Teil richtig starken Einzelspielern“, sagt der 45-jährige Bozdemir, selbst bis vor zwei Jahren aktiv am Ball und heute als Sportlicher Leiter tätig. In seinen besten Zeiten war das Team so stark, dass es 2006 eine Saison in der Bezirksliga spielte, nachdem man drei Jahre zuvor noch vor 1 400 Zuschauern in der Relegation am AC Catania Kirchheim gescheitert war.

Auch heute, da der SSV in der Kreisliga A vom Abstieg bedroht ist, locken Heimspiele immer noch reichlich Zaungäste an. „Manchmal kommen bis zu 300 Leute“, weiß Trainer Ahrun Matay um die Bedeutung des Fußballs für die knapp 4 000 Mitglieder zählende aramäische Gemeinde im Kreis Göppingen. Zumal es die Folkloreabteilung des Vereins mittlerweile nicht mehr gibt. „Ich selbst würde viele Aramäer hier ohne den Fußball gar nicht kennen“, sagt Matay, dessen Team mittlerweile aber nicht nur aus Volksgenossen besteht. Deutsche, Türken, Kurden, Araber, Thailänder, Russen, Nigerianer und sogar ein Kicker aus Mosambik machen den SSV zu einer Multikulti-Truppe, die sich nicht zuletzt durch ein freundschaftliches Miteinander auszeichnet. „Egal, wo wir zu Hause sind, wir integrieren uns und wollen mit allen gut auskommen“, betont der SSV-Vorsitzende Iso Sasmaz.

Leicht wird es den Göppingern dabei nicht immer gemacht. So berichtet Jimmy Bozdemir von Funktionären, die sich nach den 14 Jahren, in denen der SSV mittlerweile im lokalen Fußball mitmischt, immer noch wundern, wenn die Göppinger nach dem Spiel eine Rote Wurst bestellen. „Viele denken bis heute, wir seien Moslems und dürften kein Schweinefleisch essen“, schüttelt er den Kopf.

Von der Ignoranz Einzelner abgesehen, genießen die Göppinger in der Fußball-Szene jedoch einen tadellosen Ruf. „Ein vorbildlicher Verein, der bestens integriert ist“, lobt Karl Stradinger, der den SSV nicht nur in seiner jetzigen Position als Bezirksvorsitzender, sondern auch als langjähriger Schiedsrichterbeauftragter kennt und schätzt.

Obwohl mittlerweile fest in der schwäbischen Diaspora verwurzelt, war es für die SSV-Mitglieder eine Selbstverständlichkeit, den Not leidenden Glaubensgenossen in Syrien zu helfen. Um sowohl den eigenen als auch den Schmerz der Betroffenen vor Ort wenigstens ein bisschen zu lindern, wurde im vergangenen Frühjahr eine groß angelegte Spendenaktion organisiert, an der sich neben Vereins- und Gemeindemitgliedern auch Institutionen wie der Freihofkindergarten und der St. Galluskindergarten in Faurndau, die Schillergrundschule in Faurndau und die Albert Schweitzer-Schule in Göppingen beteiligten. 17 Tonnen Kleider und 32 Tonnen Lebensmittel kamen über Wochen in den Räumlichkeiten des Vereinsheims zusammen, ehe die Hilfsgüter per Lkw im August in Syrien eintrafen. „Zu sehen, wie unsere hier in Göppingen verladenen Kisten und Kartons von den Menschen vor Ort in Empfang genommen wurden, hat uns mit Stolz erfüllt“, sagt Sargon Hanna, der für die Spendenaktion verantwortlich war und den Erfolg gar nicht genug betonen kann. „Dadurch haben wir uns mit unserem Volk verbunden gefühlt.“

Wie wichtig Verbundenheit für eine Ethnie ist, die sich über die ganze Welt verteilt, zeigt sich am Beispiel der SSV-Fußballer. „Wir sind unglaublich stolz auf die Mannschaft, geben alle Kraft für den Verein und empfinden es als große Ehre, für den SSV zu spielen“, erklärt Trainer Matay den Slogan „Kraft, Stolz und Ehre“, der auf der Vereinshomepage zu finden ist und den jeder einzelne Spieler verinnerlicht hat. „Dabei ist es eigentlich auch egal, ob wir in der Bezirksliga oder der Kreisliga B spielen“, sagt Matay, „wir kämpfen immer bis zum Umfallen.“