Lokalsport

Jeden Sommer die Rückkehr ins verlorene Land

Als Kriegsflüchtling kam der gebürtige Libanese Roger El-Hourani mit Bruder und Eltern vor 26 Jahren nach Kirchheim

Schon als Zweijähriger kam Roger El-Hourani 1986 zusammen mit seiner Familie vom Libanon nach Deutschland: Alle Erinnerungen an seine wenigen Kindheitstage in der Heimat sind erloschen. Inzwischen lebt der 28-Jährige seit 26 Jahren in Kirchheim, ist Psychologiestudent, Jugendfußballtrainer und deutscher Staatsbürger. Doch der typische Deutsche ist er nicht.

Fussballtrainer Roger El-Hourani TSV JesingenA-Jugend
Fussballtrainer Roger El-Hourani TSV JesingenA-Jugend

Kirchheim. Es war ein reiflich überlegter Schritt, den die libanesische Familie El-Hourani in ihrem Heimatdorf Deir Mimas 88 Kilometer südöstlich von Beirut im Frühjahr 1986 vollzog. Der Bürgerkrieg, der seit elf Jahren tobte, und militärische Interventionen des Nachbarstaats Israel hatten die unweit der Grenze lebende Familie zum Entschluss kommen lassen, das Pulverfass Libanon besser zu verlassen und im Westen nach Sicherheit und Lebensperspektiven zu suchen. Das gelobte Land hieß Schweden, wo überdurchschnittlich viele Libanesen lebten und die Spracheingewöhnung demzufolge leichter war. Doch das Ziel wurde von der vierköpfigen Familie schließlich um ziemlich genau 800 Kilometer verfehlt. Anstatt in Stockholm landeten sie nämlich in Ostberlin, wo sie bald festsaßen: DDR-Grenzbehörden verwehrten ihnen aus für sie bis heute nicht nachvollziehbaren Gründen die Weiterreise. Schließlich siedelten sie nach Westdeutschland um und blieben nach reiflicher Überlegung auch dort.

Nach dem Berliner Vorfall, der ihre Lebensplanung komplett durchkreuzte, hatten sie eine monatelange Odyssee vor sich. Von einem Auffanglager ging es ins nächste, bis es sie irgendwann ins baden-württembergische Eislingen verschlug. Im Herbst 1986 kamen die Libanesen schließlich in Kirchheim/Teck an, wo sie in ein Mietshaus in der Jesinger Straße einzogen. 26 Jahre später leben sie dort noch immer.

Als sie nach Deutschland kamen, war Roger El-Hourani (28) nicht mal drei Jahre alt. Deshalb kennt er die eigene Emigrationsgeschichte nur aus den Erzählungen der Eltern – von Vater Imad (53) und Mutter Georgette (52). Auch sein jüngerer Bruder Hicham (27) kann nicht mitreden, wenn es um die Aufarbeitung der Wurzeln geht – er ist inzwischen ausgezogen. Dafür leben jetzt die in Deutschland geborenen Caroline (18) und Louis (23), Rogers Geschwister, im Haus, ebenso seit rund 20 Jahren auch Rogers Onkel Kamil El-Hourani. Der betreibt auf dem Areal einen Gebrauchtwagenhandel und verkauft deutsche Premiumautos schon mal nach Beirut oder Damaskus.

Als sie in Deutschland 1986 angekommen waren, da hatten sich schnell die üblichen Startschwierigkeiten eingestellt. Kultur, Bürokratie, Sprache – alles war fremd. „Zum Glück hat mein Vater in Schorndorf relativ schnell einen Aushilfsjob gefunden“, berichtet Roger El-Hourani, „und meine Mutter einen als Putzfrau“. So gab es wenigstens keine Finanzprobleme, umso mehr, als ihnen auch der Staat unter die Arme griff. Für große Sprünge reichte das nicht, aber allemal für Essen, Kleidung und Spielzeug der Söhne. Roger und Hicham waren den Eltern wichtig. Sie sollten es später einmal besser haben im Leben.

Das Sprachproblem verfolgte die Familie über lange Jahre hinweg. Keiner von ihnen sprach bei der Ankunft auch nur ein Wort deutsch. Fremdsprachenkurse besuchten sie damals mangels Möglichkeit nicht, stattdessen musste das Ehepaar bei sich und den Kindern auf Lerneffekte im Alltag setzen. Learning by doing hieß das Motto der Libanesen – „Mein Vater und meine Mutter haben die deutsche Sprache sozusagen beim Bäcker und in den Gesprächen mit ihren Arbeitskollegen erlernt“, wie Roger El-Hourani berichtet, „und ich im Kindergarten.“ Daneben musste er zuhause auch immer wieder Libanesisch reden: Seine Eltern wollten die Zweisprachigkeit.

„Zu 60 Prozent fühle ich mich als Deutscher“, sagt Roger El-Hourani, zu seiner heutigen Befindlichkeit befragt, „ und zu 40 Prozent fühle ich mich als Libanese“. Teil zwei seiner Einschätzung rührt auch daher, weil er liebgewonnene libanesische Gaumenspezialitäten wie den Mischsalat Taboule nie aus der Erinnerung verloren hat – meistens steht der fertig zubereitet im Kühlschrank. Seine starke Affinität zu seinem Ursprungsland hat in Deutschland nie gelitten. Der Libanon ist ihm weiter heilig – auch wenn er schon fast drei Jahrzehnte lang 2700 Kilometer entfernt lebt.

Fast jeden Sommerurlaub verbringt der 28-Jährige Psychologiestudent und Ex-Abiturient der Max-Exyth-Schule im kleinen Land am Mittelmeer, wo er am liebsten das subtropische Klima, das Essen und die Ausflugsorte mag. „Libanon hat zum Beispiel die größte Tropfsteinhöhle der Welt“, sagt Roger El-Hourani voller Stolz. Ihm ist es wichtig, ins Land seiner Eltern regelmäßig zurückzukehren. „Ich will etwas über meine Wurzeln erfahren“, sagt er.

Und doch: Im Gegensatz zu den Eltern, die mitunter das Heimweh plagt, kann sich der Sohn eine Rückkehr in den Libanon in absehbarer Zeit nicht vorstellen. „Meine Zukunft sehe ich in Deutschland“, sagt er. Hier ist er zur Schule gegangen, hier hat er das Kicken erlernt, hier wurde er Jugendspieler beim TSV Jesingen und später Trainer der A-Junioren, hier will er als Wirtschaftspsychologe demnächst beruflich Karriere machen. „Trotzdem dreht sich fast alles bei mir um den Fußball“, sagt er, der künftig für den TSV Holzmaden kickt. Sein Trainer-Ziel ist klar: „Am liebsten würde ich eine Aktivenmannschaft übernehmen, vorzugsweise eine aus der Teckregion“, sagt der Lizenzinhaber.

Roger El-Hourani liebt den Fußballsport durch und durch. „Das Vereinsleben kann ein wichtiger Bestandteil von Integration sein“, sagt er. Er selbst ist längst integriert – genau genommen war er‘s von Anfang an. „Ich hatte in Deutschland nie irgendwelche Probleme“, betont er, „auch keine mit Rechtsradikalen wie manch andere Ausländer.“ Er kennt Fälle, in der aufs Übelste gepöbelt wurde – ihm ist das in 26 Deutschland-Jahren noch nie widerfahren.