Lokalsport

Mädchen für alles im Verein ohne Frauen

Nach 35 Jahren hat Fahri Opcin in Deutschland Wurzeln geschlagen, und der Fußball hat ihm dabei geholfen

Fußball ist nicht nur ein Spiel. Wenn Fahri Opcin das sagt, ist das weniger Plattitüde als feste Überzeugung. Weil der Sportverein für ihn Brücke in ein neues Leben in Deutschland war, zahlt er heute mit gleicher Münze zurück. In seinem Job als Fußballtrainer gibt es für den 47-jährigen Türken mehr als Sieg und Niederlage.

Trainer Fahri Opcin leitet eine Trainingseinheit
Trainer Fahri Opcin leitet eine Trainingseinheit

Kirchheim. Wer Sport treibt, kommt auf keine dummen Gedanken. Diesen Allerweltsspruch gibt ihm sein Vater mit auf den Weg, als der damals Elfjährige den Eltern ins ferne Deutschland nachreist. Dorthin, wo es Arbeit gibt und wo auch er beruflich sein Glück suchen soll. Im Sommer 1975 endet für Fahri Opcin die Grundschulzeit im türkischen Adana, wo er bis dahin mit den Großeltern lebt. Ein Lausbub, der im Straßenstaub der Großstadt lernt, mit dem Ball umzugehen und der nun hineingeworfen wird, in eine ihm völlig fremde Kultur.

Dass Fahri Opcin 35 Jahre später als Musterbeispiel für gelungene Integration gelten kann, hat viel mit seinem Charakter aber eben auch viel mit Fußball zu tun. In Deutschland wird er zum ersten Mal in seinem Leben Mitglied in einem Sportverein, genauer gesagt in der C-Jugend der TG Reichenbach u. R. Der Empfang dort ist warm. Von anderen geschätzt zu werden, Anerkennung zu erfahren, sind für den Jungen außerhalb der Familie völlig neue Erfahrungen.

Die knapp sechs Kilometer vom Elternhaus in Donzdorf zum Training fährt er zunächst noch mit dem Bus, später nimmt sein Trainer einen Umweg in Kauf, um ihn mit dem Auto daheim an der Haustür abzuholen. Der Junge ist irritiert. „So etwas habe ich bis dahin nicht gekannt“, erinnert sich Fahri Opcin an den Zusammenhalt in der Mannschaft, die ihn zu dem gemacht haben, was man üblicherweise für typisch Deutsch hält: einem Vereinsmenschen durch und durch. „Mir war schnell klar“, sagt er heute, „dass ich von dem eines Tages wieder etwas zurückgeben will.“

Als Spieler in Donzdorf schafft er es bis in die Bezirksliga, bevor er beim türkischen Nachbarverein TSC Süßen 1988 seinen ersten Trainerposten antritt. Später übernimmt er mit der B‑Jugend des VfR Süßen zum ersten Mal eine rein deutsche Mannschaft und landet schließlich beim VfL Kirchheim, wo er zuletzt die U18 in der Bezirksstaffel trainierte. Die Rolle als Jugendbetreuer reizt ihn, weil er den Jungs mehr mitgeben kann als die entscheidenden Kniffe auf dem Platz. Wenn es Ärger gibt zu Hause, in der Schule oder am Ausbildungsplatz ist er als väterlicher Freund und Ratgeber nicht selten erste Anlaufstation. „Fußball ist mehr als nur ein Spiel, als 90 Minuten auf dem Platz“, sagt er. „In einer Mannschaft braucht man sich gegenseitig – auch als Mensch.“ Respekt, anderen und auch sich selbst gegenüber, das ist es, was er den jungen Fußballern mit auf den Weg geben will. Als Schlichter zwischen den Kulturen gilt er als die Idealbesetzung, wenn es hitzig wird auf dem Spielfeld. Schließlich lebt er lange genug in diesem Land, um beide Mentalitäten zu kennen.

Fahri Opcin ist einer, der kompromisslos gibt, es in gleichem Maße aber auch von anderen erwartet. „Nur was man selber vorlebt, kann überzeugend sein“, lautet seine Devise. Deshalb gibt er keine Kommandos am Spielfeldrand, sondern rennt mit 17-Jährigen keuchend über den Platz, auch wenn ein paar Pfunde zu viel den Puls in die Höhe treiben. Neben dem Trainerjob steht er am Wochenende als Schiedsrichter auf dem Platz, denn die sind rar, und nur Vorbilder werben erfolgreich für eine Sache. Als die Fußballsparte des VfL vergangenen Sommer in die Krise schlittert und sich kurzzeitig niemand mehr für Sauberkeit im Stadion verantwortlich fühlt, streift er kurzerhand die Arbeitshandschuhe über und schafft mit seinen Jungs nach dem Training den Müll weg.

Wer mit so viel Idealismus ans Werk geht, ist naturgemäß anfällig für Enttäuschungen. Die vielleicht größte bisher war der Abschied im Frühjahr vom VfL Kirchheim. Ein Rückzug mit Wehmut zwar, doch wie es sich für ihn gehört, aus freien Stücken, nachdem sich sein Wunsch, zum Verbandsstaffel-Trainer der U19 aufzurücken, nicht erfüllte. Für ihn ein wunder Punkt in seinem Sportlerleben: „Mir wurden schon oft Dinge versprochen, an die man sich nachher nicht mehr gehalten hat.“ Er will sich weiterentwickeln, würde gerne im Leistungsbereich arbeiten und hat auf dem Weg zur Trainer-B-Lizenz keinen einzigen Lehrgang versäumt. Doch immer wenn er versucht, die nächste Stufe zu erklimmen, legt ihm irgend jemand neue Steine in den Weg. Dennoch sagt er: „Es waren sehr gute Jahre beim VfL.“

Jetzt kehrt der Vater von drei erwachsenen Kindern, der als Betriebsschlosser arbeitet, an seine frühere Wirkungsstätte zurück. Mit dem TASV Göppingen wird er in der Kreisliga A wieder eine rein türkische Mannschaft trainieren. Was das bedeutet, weiß er: Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ist in türkischen Klubs vergleichsweise gering, selbst wenn auch hierzulande Vereine darüber klagen, dass sich Mitglieder immer häufiger aufs Konsumieren beschränken. „Hier bist du Mädchen für alles“, meint Fahri Opcin, „weil sich die Arbeit auf wenige Schultern verteilt.“ Mädchen für alles in einer Vereinswelt, die eigentlich keine Frauen kennt. Auch das ein Punkt, der ihm zeigt, wie sehr er sich inzwischen als Deutscher fühlt: „Meine Frau ist immer dabei“, sagt er mit einem Lächeln. „Sie unterstützt mich überall – auch auf dem Fußballplatz.“