Lokalsport

Schlagfertig auch ohne Worte

Sportgeschwister (3): Linda, Ann-Kathrin und Henrik Kerner sind die Aushängeschilder der Karateabteilung im VfL Kirchheim

Dreiecksbeziehungen gelten als schwierig. Für Linda (23), Ann-Kathrin (21) und Henrik Kerner (18) ist es die Quelle, aus der sie Energie für sportliche Erfolge schöpfen. Die drei Geschwister aus Owen zählen im Karate inzwischen zu den landesweit Besten.

Karate-Geschwister Kerner aus Owen
Karate-Geschwister Kerner aus Owen

Owen. Den grimmigen Blick müssen sie noch üben. Den Umgang miteinander beherrschen sie perfekt. Was sich liebt, das neckt sich. Wortwitz lauert hinter geschliffenen Sätzen und entwaffnend wirkt allenfalls ihr sympathischer Hang zur Selbstironie. Kampfmaschinen sehen anders aus, und Kampfmaschinen haben in der Abiturnote selten eine Eins vor dem Komma. Schon fühlt man sich ertappt. Wer über Karate redet, läuft schnell Gefahr, Klischees zu bedienen. Es sei denn, man kennt sich aus. Weil das für die wenigsten gilt, sind die Kerners auch Meister im Nachsichtüben.

Das fängt schon bei Begrifflichkeiten an, denn der Sport, den die drei betreiben, heißt eigentlich Kumite, eine sportliche Wettkampfform des Karate. Was aus dem Japanischen übersetzt so viel bedeutet wie „Begegnung der Hände.“ Im deutschen Karatesport hat man dafür ein griffiges Synonym gefunden: Freikampf. Anders als beim Kata, das den Kampf mit einem imaginären Gegner beschreibt, dabei mehr an Tanz erinnert, geht es im Kumite um Punkte durch reale Körpertreffer.

Brutal ist der Sport nicht, sofern man die Regeln beachtet. „Man lernt, Schläge rechtzeitig abzubremsen und seine Kraft zu kontrollieren“, sagt Linda Kerner. Das gelingt nicht immer, deshalb sind blaue Flecken durchaus an der Tagesordnung. Wenn‘s schlimmer kommt, auch mal eine gebrochene Nase. Mit einer solchen ist ihr jüngerer Bruder Henrik bei den Junioren-Landesmeisterschaften im vergangenen Jahr immerhin noch Dritter geworden. Karateka sind hart im Nehmen.„Das Adrenalin dämpft“, sagt er. Während des dreiminütigen Kampfes gibt es davon reichlich. Die Kampfphase im Karate erscheint auf den ersten Blick kurz. Die Intensität vergleicht Linda dennoch mit einem 800-Meter-Rennen in der Leichtathletik. Willensstärke und auch Fairness sind wichtige Faktoren. „Man hegt keine Aggressionen gegen seinen Gegner“, sagt Ann-Kathrin, „es geht um Respekt und darum, die Lücke zu finden.“

Die finden die Kerners meist häufiger als andere. Auf Landes- und selbst auf nationaler Ebene sind die drei regelmäßig auf vorderen Plätzen zu finden. Nur ein Titel fehlt noch in der Sammlung. Vize-Landesmeister in ihrer Gewichtsklasse waren alle drei, als Zweite beim europäischen Mastercup feierte Linda im vergangenen Jahr ihren bisher größten Erfolg. Die Serie mit zweiten Plätzen scheint auch 2011 nicht abzureißen. Im Mai in Mannheim erkämpften sich beide Schwestern das Ticket für die europäischen Hochschulmeisterschaften kommende Woche in Sarajevo als – man ahnt es schon – deutsche Vizemeisterinnen ihrer jeweiligen Gewichtsklasse.

Der aus Zweiten Sieger machen soll, heißt Köksal Cakir. Der mehrfache deutsche Kumite-Meister und Weltcupsieger von 2005 betreut den Landeskader und ist Cheftrainer beim MTV Ludwigsburg, mit dem die Kirchheimer eine Trainings- und Wettkampfgemeinschaft bilden. Seitdem geht es leistungsmäßig steil bergauf. „Eine super Sache“, findet Linda Kerner. „Für uns ist das die Gelegenheit, sich mit stärkeren Gegnern zu messen.“ Ludwigsburg, das passt auch sonst ganz gut: Ann-Kathrin studiert an der dortigen Fachhochschule für Verwaltung, Linda absolviert während ihres Wirtschafts-Studiums in Tübingen derzeit ein längeres Betriebspraktikum in der Barockstadt. In der Studentenbude der jüngeren Schwester beziehen sie deshalb häufig gemeinsam Quartier.

Dort ist dann Zeit zum Fachsimpeln über einen Sport, der in der Familie ein unerwartetes Schattendasein führt. Obwohl die Eltern samt Oma bei jeder Gelegenheit mitfiebern, stehen daheim in Owen andere Themen im Vordergrund. Eines davon sind Pferde, das andere die Landwirtschaft. Mit beidem sind die drei Geschwister groß geworden. Sie saßen im Säuglingsalter das erste Mal im Sattel und seit dem Tod des Großvaters hilft jeder im landwirtschaftlichen Betrieb mit, so gut er kann. Dass sie wissen, wie man einem Kuheuter Milch abringt oder einen Traktor bedient, darauf sind sie stolz. Warum daraus keine Reitsport-Karriere wurde? „Selbstverteidigung fand unsere Mutter nicht schlecht, zudem suchten wir einen Ausgleichssport für den Winter“, erzählt Linda. Die 23-Jährige gilt als die Perfektionis­tin in der Familie, war als Älteste stets Vorbild – in der Schule wie im Sport. Ann-Kathrin sei diejenige mit dem besten Nervenkostüm, den Bruder bewundern beide für seine Athletik, auch wenn ihm im Wettkampf gelegentlich noch die Routine fehlt. Dafür gibt es die älteren Schwestern. Der Rat des jeweils Anderen zählt, „schließlich kennen wir uns gegenseitig besser als jeder Trainer“, sagt Ann-Kathrin.

Irgendwann trat dann ein, was alle bis dahin am meisten fürchteten: Bei den Landesmeisterschaften im vergangenen Jahr landeten beide Schwestern per Losverfahren in unterschiedlichen Gruppen und standen sich plötzlich als Gegnerinnen vis-a-vis. Linda hat damals knapp gewonnen. „Das war schon seltsam“, erinnert sich die Schwester. „Wir haben eigentlich nur darauf geachtet, uns nicht zu verletzen.“ Und wenn es unter Geschwistern daheim mal kracht? „Das war bei uns nie ein Problem“, meint Linda. „Da gewinnt seit jeher das bessere Argument.“