Lokales

Beim Handy fehlt das Feedback

Schulen regeln den Gebrauch unterschiedlich – Cybermobbing als besondere Spielart

Im Sekundentakt fliegen Nachrichten und Smileys im Netz hin und her. Ob Nichtigkeiten, Organisatorisches, Filmchen oder Fotos – für viele Kinder und Jugendliche ist ein Alltag ohne Smartphone nicht mehr denkbar. Längst ist das Thema auch an den Schulen angekommen.

Während auf manchen Kirchheimer Schulhöfen Handys benutzt werden dürfen, haben sie im Unterricht nichts verloren. Foto: Jean-Luc
Handys sind heute allgegenwärtig. Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Einheitliche Regeln zur Handynutzung innerhalb des Schulamtsbezirks gibt es nicht. „Das machen die Schulen im Rahmen ihrer jeweiligen Hausordnung“, sagt der Leiter des Nürtinger Schulamts, Dr. Günter Klein. Ihm ist wichtig, auf den strafrechtlichen Rahmen hinzuweisen. „Manche Schüler sind sich nicht im Klaren darüber, dass unerlaubte Aufnahmen von anderen sie in strafrechtlich blöde Situationen bringen können.“ Immer wieder gebe es Fälle von Cybermobbing. Schulen seien berechtigt, den Gebrauch von Handys beispielsweise in Prüfungen zu untersagen. „Eine Schule kann aber nicht generell verbieten, Handys mitzubringen“, betont Klein.

Auch Kirchheimer Schulen gehen unterschiedlich mit der Frage um. Bei Zusammenkünften der Rektoren tausche man sich zwar darüber aus, doch sei es ein „leidiges Thema“, sagt der geschäftsführende Schulleiter Wolfgang Wörner, Rektor an der Kirchheimer Teck-Realschule. „Das ist wie mit dem Rauchen. Das handhabt jeder anders.“ In der Teck-Realschule darf das Handy auf dem Schulgelände benutzt werden, nicht aber im Schulgebäude. „Dort sollen die Schüler miteinander kommunizieren“, so Wörner. Werden Jugendliche doch dabei erwischt, wenn sie auf dem Smartphone schreiben oder damit telefonieren wollen, gibt es einen Eintrag, der zweistündiges Nachsitzen beinhaltet. Werden sie angerufen, zieht es eine Verwarnung nach sich. „In der Pause nutzen die Schüler ihre Handys auch, um Musik zu hören“, sagt Wörner. Ihm ist eine Lösung wichtig, mit der alle leben können.

Wie streng die Regelung sei, hänge im Grunde davon ab, wie die Schüler damit umgingen. Strikt wird geahndet, wenn fotografiert oder gefilmt wird. „Das hat eine Strafe zur Folge, und wir behalten das Handy bis Unterrichtsschluss ein“, sagt Wörner. Er erinnert sich an einen Fall, als ein Lehrer gefilmt wurde. „In solchen Situationen schalte ich sehr gerne die Polizei ein. Denn damit bin ich überfordert.“ Auch ist der Rektor von der abschreckenden Wirkung überzeugt. Die Jugendsachbearbeiter arbeiteten hervorragend mit den Schulen zusammen. Schwerwiegende Verstöße, bei denen ein anderer in eine peinliche Situation gebracht werde, kämen ungefähr einmal pro Jahr vor. Trotz Handyverbots: Auch im Unterricht können die Lehrer nicht zu 100 Prozent ausschließen, dass im Schulranzen auf dem Smartphone herumgetippt wird. Wörner berichtet von einem Fall, bei dem ein Schüler dabei erwischt wurde, dass er die komplette Klassenarbeit bereits auf seinem Handy hatte. Dafür kassierte er eine glatte Sechs.

Prinzipiell restriktiver geht die Lenninger Grund- und Werkrealschule vor. „Dabei haben ja, es muss aber ausgeschaltet sein“, sagt der Rektor Erich Merkle. Das gilt auch in den Pausen, über Mittag und im Bereich der Ganztagsschule. Einzige Ausnahme sind Räume der offenen Jugendarbeit. „Auf dem Schulgelände bringen Handys keine Vorteile“, erklärt Merkle nüchtern. Der Schulleiter ist sich im Klaren darüber, dass sich Schüler immer wieder über das strenge Handyverbot hinwegsetzen. Werden sie ertappt, wird das Smartphone bis zum Ende des Unterrichts eingezogen. Das Argument, im Notfall dringend zu Hause anrufen zu müssen, lässt Merkle nicht gelten. Dafür gebe es in der Schule Telefone. Häufig würden die Handys für Ärger sorgen. Das beginne damit, dass sie runterfallen, verschwinden oder angeblich geklaut werden und reiche bis zum Cybermobbing. – Ein Thema, das in der Freizeit eine große Rolle spiele, müsse man nicht noch mehr in den Schulalltag holen. Denn ohnehin werde vieles von dem, was über die Smartphones nachmittags und abends laufe, in die Schule getragen. „Wenn es große Probleme gibt, arbeiten die Lehrer das mit den Betroffenen auf“, so Merkle.

Um Kinder und Eltern zu sensibilisieren, laden viele Schulen regelmäßig Medienbeauftragte ein, die Kinder und Eltern verschiedener Klassenstufen auf Gefahren im Internet hinweisen.

Regelmäßig wird die Schulpsychologische Beratungsstelle des Nürtinger Schulamts zu Fortbildungen in Sachen Mobbing an Schulen angefragt. Auch melden sich Eltern oder Schüler häufig wegen Mobbings in der Schule in der Beratungsstelle. Ausschließlich wegen Cybermobbings dagegen eher selten, sagt der Schulpsychologe Johannes Hitzler. „Mobbing findet meist für Erwachsene schwer beobachtbar statt, zum Beispiel in der Pause, im Sportunterricht oder auf dem Nachhauseweg“, so Hitzler. Weil Handys einen relativ kontrollfreien Raum böten, nutzten Jugendliche sie teilweise auch, um andere anzugreifen oder bloßzustellen. „Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich Probleme von Angesicht zu Angesicht anspreche oder per Whats­App“, gibt der Schulpsychologe zu bedenken. Manchmal meine der Absender es gar nicht so, wie es ankomme. „Was fehlt, ist die Feedback-Schleife. Ich bekomme über das Smartphone nicht mit, was das Gesagte beim Gegenüber auslöst.“

„Verbieten kann man das Smartphone nicht“

Umfrage Smartphone 02
Umfrage Smartphone 02

Kirchheim. Immer früher interessieren sich Kinder für Smartphones – davon kann Alexander Sigel aus Owen ein Lied singen: „Schon mein vierjähriger Sohn will auf meinem Handy Spiele spielen.“ Doch das kommt für den 46-Jährigen nicht in die Tüte. Gleichwohl weiß er, dass er seine Kinder nicht auf Dauer von Smartphones fernhalten kann. Seine zwölfjährige Tochter besitzt zwar bereits eines, aber es handelt sich bislang nur um ein Notfalltelefon ohne Internetzugang. „So langsam macht sie jedoch Druck und sagt, dass die meisten ihrer Klassenkameraden schon ein Smartphone mit Internet haben“, erzählt Sigel. „Wir zögern es so lange wie möglich hi­naus, aber ganz verbieten können wir es nicht.“

Wichtig sei, die Kinder über mögliche Gefahren aufzuklären. Außerdem müsse man darauf achten, dass sie trotzdem noch genügend Zeit zum Lernen und für Hausaufgaben haben. Hier seien die Eltern gefragt, betont Alexander Sigel.

Das bestätigt Mehmet Dogan aus Kirchheim: „Wir Eltern müssen den Kindern zeigen, dass es noch andere Dinge gibt, die Spaß machen.“ Sein zwölfjähriger Sohn beschäftige sich mittlerweile sehr oft mit seinem Smartphone, was sein Vater bedauert. Ihm macht vor allem Sorgen, dass die Kinder und Jugendlichen zum Beispiel über den Nachrichtendienst WhatsApp nur noch in einer Art „Straßensprache“ miteinander kommunizieren. „Da schreibt der eine ,Hi, was geht?‘, und der andere antwortet ,Nix, chillen‘. Ein Dritter fragt dann ,Und was geht noch?‘“, erzählt Dogan. „Und jedes Mal gibt es dazu einen Klingelton. Das nervt mich.“ Den Kindern zu verbieten, ein Smartphone zu besitzen, sei allerdings schwierig. „Irgendwann muss man nachgeben.“ Generell sei es ja auch gut, wenn sie lernen, mit der Technik umzugehen, „aber ich habe ein bisschen Angst, dass die normale Kommunikation verloren geht“.

Auch Konstanze Holl aus Linsenhofen weiß, dass Jugendliche, die kein Smartphone besitzen, heutzutage schnell isoliert werden. Deshalb hat sie ihren 13 und 16 Jahre alten Kindern erlaubt, die Geräte zu nutzen. Für den 13-jährigen Sohn gibt es aber bestimmte Regeln: Nach der Schule muss er sein Smartphone abgeben, um in Ruhe Hausaufgaben machen zu können. Tabu ist das Handy außerdem zur Schlafenszeit: Sobald der 13-Jährige ins Bett geht, muss er das Gerät erneut seinen Eltern überlassen. Die 48-jährige Kons­tanze Holl findet es unfassbar, dass zum Teil schon Kindergartenkinder mit Smartphones ausgestattet werden. „Ich habe immer gesagt: Meine Kinder bekommen erst dann Handys, wenn sie weiterführende Schulen besuchen.“

Im Alter von 15 Jahren hat auch die heute 17-jährige Tochter von Petra Weigand aus Kirchheim ein Smartphone erhalten. „Ich finde es klasse. Wir schreiben uns viel über WhatsApp. So haben wir immer Kontakt“, erzählt die 49-Jährige. „Meine Tochter ist viel in Stuttgart unterwegs, auch mit der S-Bahn. Da möchte ich wissen, was bei ihr los ist.“ Regeln hat sie ihrer Tochter nie auferlegt; sie vertraut ihr schlichtweg. Etwas schade findet sie es allerdings, dass ihr Nachwuchs schon am Frühstückstisch mit dem Handy herumspiele. Mittlerweile hat sie sich aber damit abgefunden.

Schmunzelnd erinnert sich Petra Weigand daran, dass sie das Smartphone ihrer beiden Kinder drei Mal in der Schule hat abholen müssen. „Es war von Lehrern konfisziert worden, weil es nicht ausgeschaltet war.“

Gar keine Probleme bezüglich Smartphones und dem Umgang damit gibt es im Hause Stahl in Kirchheim: Die Tochter von Wolfgang Stahl hat mit 16 Jahren ein Handy erhalten. „Mein älterer Sohn hat ihr sein altes Smartphone überlassen“, erzählt der 54-Jährige. Er freut sich darüber, dass seine beiden Kinder trotz Smartphone noch Zeit haben, zu lernen und ihren Hobbys nachzugehen.

Fotos: Jean-Luc Jacques