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Blütenträume durch die Riesenbrille betrachtet

Streuobstparadies: Rund 100 Menschen waren beim Auftakt zum „Schwäbischen Hanami 2014“ in Bissingen

Das „Paradies“ liegt vor der Haustür: Am Samstag haben rund 100 Naturbegeisterte beim Auftakt zum „Schwäbischen Hanami 2014“ in Bissingen das Blütenmeer in den Streuobstwiesen zwischen Teck und Breitenstein gefeiert.

Die heimische Kulturlandschaft im Blick: „Hanami“-Wanderer beim Aufbruch zum Blütenrundgang.Foto: Deniz Calagan
Die heimische Kulturlandschaft im Blick: „Hanami“-Wanderer beim Aufbruch zum Blütenrundgang.Foto: Deniz Calagan

Bissingen. Die große, überdimensionierte Holzbrille links des Feldwegs zur Bissinger Viehweide hat Symbolcharakter. Sie will die Wanderer und Erholungssuchenden auffordern, den Blick zu schärfen für das Wunder der Streuobstblüte in der heimischen Kulturlandschaft, die Bissingens Bürgermeister Marcel Musolf bei der Begrüßung der Gäste als „unglaublich schön, unglaublich weitläufig, unglaublich artenreich und unglaublich pflegeintensiv“ bezeichnete.

Immer noch fristet das Blütenwunder im „Schwäbischen Streuobstparadies“ ein Schattendasein, obwohl die Streuobstblüte entlang des Albtraufs mit rund 1,5 Millionen Bäumen einmalig ist. Dieses einzigartige Gebiet in Westeuropa aus seiner Versenkung herauszuheben und in der Bevölkerung ein Bewusstsein für den Erhalt dieser Landschaft zu schaffen, das schrieb sich der Verein Schwäbisches Streuobstparadies auf seine Fahnen. Dafür rührte bei der Auftaktveranstaltung des „Schwäbischen Hanami“ am Samstag in Bissingen der Vorsitzende des Vereins, der Esslinger Landrat Heinz Eininger, die Werbetrommel. „Mit allem Geld der Welt können wir unsere Kulturlandschaft nicht erhalten. Aber wenn alle Gutwilligen zusammenstehen, schaffen wir es.“

„Es braucht engagierte Menschen, die im Streuobstbau arbeiten, und solche, die ihn durch den Kauf seiner Produkte unterstützen“, war sich Ministerialdirigent Joachim Hauck, der Landwirtschaftsminister Alexander Bonde vertrat, mit Landrat Eininger und Marcel Musolf einig. Wie seine Redner zuvor, hob Hauck den außerordentlichen ökologischen Wert der Streuobstwiesen hervor, die weite Teile Baden-Württembergs prägen.

Nach der letzten Erhebung des Ministeriums 2009 stehen auf einer Fläche von landesweit 116 000 Hektar etwa 9,3 Millionen Bäume. Entlang des Albtraufs liegt die größte Streuobstlandschaft Mitteleuropas. Deutschlandweit gesehen steht jeder zweite Baum im Ländle, wobei die Landesregierung den Erhalt der Streuobstflächen durch eine Vielzahl von Förderungen unterstützt. Der Ministerialdirigent zeigte sich glücklich, dass sich im „Schwäbischen Streuobstparadies“ sechs Landkreise zusammenfanden, um ihre Aktivitäten im Bereich Streuobst zu bündeln und zu kanalisieren.

Bei der Wanderung durch die blühenden Streuobstwiesen des Teckhangs schlossen die Kulturlandschaftsführer „Die Obstler“, Ernst und Klaus Frank, Michael Thiehoff und Dieter Bässler, aber auch die Mitglieder des Bissinger Obst- und Gartenbauvereins (OGV) so manche Wissenslücke. Wer hätte etwa gedacht, dass der Apfel ursprünglich ein Migrant aus der Kasachischen Republik war und über Persien, Griechenland und Rom in hiesige Klöstergärten kam? Obstbau war für die Menschen wichtig, seine Produkte linderten im 16. Jahrhundert so manche Hungersnot. Auch König Wilhelm I. von Württemberg förderte das Pflanzen von Apfel-, Birnen- und Zwetschgenbäumen. Als die Reblaus den Weinbau unrentabel machte, wurde er vom Obstbau Ende des 19. Jahrhunderts abgelöst. Doch nach 1950 brach auch der Streuobstbau immer mehr ein, bis in den 90ern die Trendwende kam und sich nun viele Akteure zusammenschlossen, um die durch die Streuobstwiesen am Albtrauf und im Albvorland geprägte Kulturlandschaft zu erhalten.

Ein traumhaft schönes Bild dieser Landschaft, wenngleich am Samstag durch den von Saharastaub verdüsterten Himmel eingetrübt, zeigte sich bei der Rundwanderung durch Bissingens herrliche Streuobstblütenlandschaft. Die Gruppen von Blütenbetrachtern kamen vorbei an Palmisch Birnbäumen, an ehemaligen Baumäckern, an einem gigantischen Pfundbirnenbaum, dessen Früchte gut 300 Gramm wiegen können, an nicht viel kleineren 130-jährigen Schweizer Wasserbirnbäumen, und auch die Champagner Bratbirne und die Luxemburger Birne wachsen hier.

Im Gewann „Bleiche“ standen die ältesten Bissinger Bäume,

„Luikenäpfel“, wie Rudolf Thaler, Vorsitzender des Bissinger OGV, verriet. Er erklärte auch den Unterschied zwischen einem Speierling und einem Vogelbeerbaum und gab so manches Anekdötchen aus der Geschichte des Bissinger Obstbaus zum Besten.

Mit dem Ruf eines Grünspechts, dem Vogel des Jahres, im Ohr wanderten die Blütenbetrachter vorbei an Baumwiesen, die von Galloways beweidet werden, dem Bissinger Schützenhaus zu. Und weil das „Schwäbische Hanami“ in seiner Auftaktveranstaltung alle Sinne ansprechen wollte, wartete der Verein „Schmeck die Teck“ mit einem Gaumenschmaus auf. Küchenmeister Udo Kälberer vom Kirchheimer Teckkeller servierte Schwarzwurstmaultaschen mit einer Apfel-Zwiebel-Schmelze und Kartoffelsalat sowie eine Spargelquiche mit Ackersalat-Dip. Dazu gab es Most und Apfelsaft oder einen Birnen-Secco und viele Informationen in Papierform von den „Obstlern“, „Schmeck die Teck“, dem „Schwäbischen Streuobstparadies“ sowie dem OGV Bissingen und dem Naturschutzzentrum Schopfloch.

Ein ganz anderes regionales Produkt präsentierten beim Auftakt des „Schwäbischen Hanami 2014“ Jochen Nägele von Optik Bacher in Kirchheim und Markus Messerschmidt von „Albtrauf“-Brillen, einer Marke der Firma Etuis Duggert, Bad Boll: eine elegante Brille aus Kirschholz von heimischen Streuobstwiesen. Auch ein Prototyp aus dem Holz des Walnussbaums ist bereits fertig. „Eine weitere Brille aus Zwetschgenholz kommt noch“, verkündete Markus Messerschmidt. „Wir haben mit „Albtrauf“ einen guten Partner und werden alle drei Brillen in unser Sortiment aufnehmen“, sagte Jochen Nägele. „Das Regionale ist uns wichtig.“ Mit ein Grund für die Firma Optik Bacher, die Riesenbrille von Holzbau Hepperle aus Neidlingen zu sponsern.

„Schwäbisches Hanami 2014“: Veranstaltungen

Der Auftakt zum „Schwäbischen Hanami 2014“ des Vereins „Schwäbisches Streuobstparadies“ ist gemacht. Waren dabei in Bissingen „Die Obstler“ in Zusammenarbeit mit dem Naturschutzzentrum Schopflocher Alb die Veranstalter, so lädt der Obst- und Gartenbauverein Brucken am Ostermontag, 21. April, zur Blütenwanderung im Rahmen des „Schwäbischen Hanami“ ein. (Weitere Infos unter 0 70 26/43 24). Den „Blütentraum Streuobstwiese“ erleben können alle, die am Dienstag, 22. April, das Freilichtmuseum Beuren besuchen (www.freilichtmuseum-beuren.de). Am Freitag, 25. April, veranstaltet die Schwäbische Landpartie einen „Blütenspaziergang im Hepsisauer Tal“ (www.schwaebische-landpartie.de).Der „Kirschblütentag“ der Stadt Weilheim mit „Blütenwanderung“ rund um Hepsisau findet am Sonntag, 27. April, in Hepsisau statt. Veranstalter ist der OGV Hepsisau (0 70 23/95 72 85). Weitere „Hanami“-Termine finden Interessierte auf www.streuobstparadies.de. Der Verein „Schwäbisches Streuobstparadies“ wurde im Mai 2012 in Weilheim gegründet und zählt 240 Mitglieder. Die Landkreise Böblingen, Esslingen, Göppingen, Reutlingen, Tübingen und Zollernalbkreis, die Regierungspräsidien Stuttgart und Tübingen, zahlreiche Städte und Gemeinden, sowie Vereine, Initiativen, Bildungseinrichtungen und Betriebe aus dem Obst- und Gartenbaubereich, Naturschutz, Tourismus, Dienstleistung und Produktion und viele andere zählen zu den Mitgliedern. Ziel ist der Erhalt und die Vermarktung der größten zusammenhängenden Streuobstlandschaft Mitteleuropas. Denn das „Paradies“ ist in Gefahr. Die Tatsache, dass es hier eine Streuobstlandschaft der Superlative gibt, ist in der Bevölkerung und bei Gästen kaum bekannt oder wird einfach ignoriert. In den letzten 50 Jahren sind die Streuobstbestände um die Hälfte zurückgegangen.rum