Lokales

Der Mann für die Munition

Mineur Günter Stranner arbeitet sich mit seinen Kollegen im Boßlertunnel Stück für Stück vorwärts

Serie, Baustelle in Aichelberg/Gruibingen: Porträts über Menschen, die auf der Baustelle arbeiten und im Containerdorf leben; di

Die Mineure arbeiten sich derzeit im Boßlertunnel Stück für Stück vorwärts. Fotos: Jean-Luc Jacques

Gruibingen. 1 195 Meter tief im Berg ist es kühl, eng und staubig. Man kann ihn förmlich schmecken: den Dreck, der durch die Luft wirbelt. Hier und da erhellt ein Licht den Tunnel, der ansonsten ziemlich bedrückend und gespenstisch wirkt. Menschen mit Platzangst sollten sich hierher nicht verirren.

Günter Stanner ist im Boßertunnel dafür zuständig, alles „schussfertig“ zu machen. Dazu gehört, die Sprengschnüre zusammenzuhäng

Dunkel und staubig ist es 1195 Meter tief im Berg.

Es ist laut. Geländewagen fahren vor und wieder weg, Maschinen laufen. Die dreckverschmierten und verschwitzten Bergleute sind schwer beschäftigt. Gesprochen wird nicht viel, und wenn, dann mit lautem Organ – und auf Österreichisch. Denn hier in den Tiefen der Schwäbischen Alb tummeln sich so gut wie ausschließlich Arbeiter aus der Alpenrepublik. Sie sorgen im sogenannten Zwischenangriff im Umpfental bei Gruibingen dafür, dass der

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Günter Stranner ist einer der Mineure, die den Boßlertunnel vorantreiben. Der 40-Jährige kommt, wie praktisch alle Arbeiter im Tunnel, aus Österreich.

Vortrieb des Boßlertunnels für die ICE-Neubaustrecke voranschreitet.

Einer von ihnen ist Günter Stranner aus Kärnten. Der 40-jährige Mineur und Sprengbefugte ist ein unaufgeregter, gelassener Typ, der das Leben nimmt wie es kommt. Warum diese doch recht außergewöhnliche Berufswahl? „Oh, das ist lange her“, erzählt er. „Es war wegen des Geldes, als Junger damals.“ Das war vor 20 Jahren. Irgendwann habe er sich dann auf das Sprengen spezialisiert, das ihn von Anfang an faszinierte. Bis heute ist er bei diesem Beruf geblieben, und vorstellen kann und will er sich nichts anderes mehr. „Vielleicht wenn ich mal im Lotto gewinne . . . aber sonst, nein“, winkt er ab.

Günter Stranner hat einen verantwortungsvollen und gleichzeitig gefährlichen Job. Er ist der Mann für die Munition, die er stangenweise aus einem Bunker holt und dann zu seinen Kollegen in den Boßlertunnel fährt. Dort werden mit einer großen Maschine passende Löcher für den Sprengstoff ins Gestein gebohrt. „Dann besetze ich die Löcher, stecke die Zünder in

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Günter Stranner hängt die Sprengschnüre zusammen.

die Munition und hänge die Sprengschnüre zusammen“, erzählt der Mineur. Ist „alles schussfertig“, heißt es für die anderen Mineure und Arbeiter: Abstand nehmen, und zwar mindestens 300 Meter. Näher dran an der Gefahrenquelle ist nur Günter Stranner: Er sorgt etwa 100 Meter entfernt von der „Ortsbrust“, geschützt hinter einer Metallwand, für den großen Knall, der die Erde vibrieren lässt. Sprengschwaden werden minutenlang durch den Tunnel getrieben. Noch in 500 Metern Entfernung, sicher in einem Auto sitzend, spürt man die Druckwelle – am besten hält man sich die Ohren zu. Ist der Spuk vorbei, wird das weggesprengte Gestein abtransportiert und die neu freigelegte Tunnelinnenschale mit Spritzbeton verkleidet. Pro Sprengung, für die zwischen 70 und 95 Kilogramm Sprengstoff benötigt werden, kommen die Bergleute zwischen 1,40 und 1,60 Meter voran. Gesprengt wird während einer Zwölf-Stunden-Schicht zwei Mal; in dieser Zeit haben die Mineure insgesamt gerade einmal eine Stunde Pause, die sie ebenfalls im Tunnel in einem Container verbringen.

„Bei der ganzen Sache bist du mit einem Fuß im Gefängnis. Wenn da etwas passiert . . .“, sagt Günter Stranner über seine Sprengtätigkeit, den Satz lieber nicht beendend. Deshalb gelte es, in jeder Sekunde voll konzentriert zu sein.

Zehn Tage am Stück arbeiten Stranner und die anderen 17 Mineure, die derzeit im Umpfental tätig sind, am Bau des Boßlertunnels. Dann haben sie „Abgang“: Für fünf Tage geht es in die Heimat nach Österreich. Dekadenweise haben die Bergleute Tag- oder Nachtschicht. Die Sonne bekommen sie nur selten zu Gesicht. Günter Stranner stört das nicht. „Man gewöhnt sich dran. Ich kenn‘ nichts anderes.“ Auch für seine Frau gehört das Wanderleben ihres Mannes zur Normalität. Der 40-Jährige könnte es sich gar nicht vorstellen, „jeden Tag zu Hause zu sein“.

Für seinen siebenjährigen Sohn wünscht er sich trotzdem einen anderen Lebensweg. „Der soll einmal was Gscheits lernen“, sagt der Kärntener grinsend, der in seiner Freizeit gerne Motorrad fährt und mit seinem Sohn Fußball spielt. Bereut hat er seine Entscheidung aber nicht; seine Arbeit macht ihm Spaß. Jeder Tunnel sei anders und biete eine neue Herausforderung. Beteiligt war er schon am Bau von etwa zehn Tunneln in Österreich und Deutschland. Zwischen zwei und dreieinhalb Jahren ist er auf einer Baustelle beschäftigt; dann geht‘s zum nächsten Tunnel.

Seit Juli 2013 ist er nun auf der Schwäbischen Alb. Wie lange er dort gebraucht wird, „steht noch in den Sternen“. Voraussichtlich 1 400 Meter des Boßlertunnels, der insgesamt einmal 8 806 Meter lang sein soll, wollen sie mit den Sprengungen vom 920 Meter langen Zwischenangriff (Behelfstunnel) im Umpfental aus schaffen. Momentan sind sie bei 275 Metern. „Wir schauen, wie sich das Gebirge verhält“, erklärt Willibald Kap-ler, Polier und Vorgesetzter der Mineure. Passt alles, geben sie das Okay zum Start der großen Tunnelbohrmaschine. Diese soll ab November von der anderen Richtung aus loslegen: Sie frisst sich vom Portal Aichelberg aus ins Gestein.

Die Mineure, die im Boßlertunnel arbeiten, sind während ihrer Zeit auf der Schwäbischen Alb in einem eigens eingerichteten Wohncontainer in Hohenstadt untergebracht. Dort teilt sich Günter Stranner ein etwa sechs Quadratmeter großes Zimmer mit einem Kollegen. Im Zweischichtbetrieb wird nicht nur gesprengt, sondern auch geschlafen, sodass die beiden in ihrem Zimmer kaum Berührungspunkte haben.

Sicherlich: Dieses Leben muss man mögen. Günter Stranner hat keine Probleme damit. Ihm ist etwas ganz anderes wichtig: Er will seine Arbeit erfolgreich und unfallfrei erledigen. Ungern erinnert er sich an einen Vorfall auf einer früheren Baustelle, bei dem er unter einer ordentlichen Ladung Spritzbeton („sechs Quadratmeter mit einer Stärke von 20 Zentimetern“) begraben wurde. Zum Glück erlitt er trotz Helm „nur“ ein Schädel-Hirn-Trauma, erzählt der 40-Jährige. „Andere sind in unserem Job schon erschlagen worden.“

„Es ist ein Knochenjob“

Der Boßlertunnel wird zwischen Aichelberg und Mühlhausen verlaufen und 8 806 Meter lang sein. Damit wird der aus zwei jeweils eingleisigen Röhren bestehende Tunnel der längste Tunnel der ICE-Neubeustrecke und der sechst-längste Eisenbahntunnel in Deutschland sein. Der Durchmesser einer Röhre des Boßlertunnels beträgt etwa elf Meter. Die Baustelle für den Alb-aufstiegtunnel bei Aichelberg ist imposant und weithin sichtbar. Im Vergleich dazu eher versteckt ist der 960 Meter lange „Zwischenangriff“, also Behelfstunnel, im Umpfental bei Gruibingen. Von beiden Standorten aus wird der Boßlertunnel vorangetrieben. Einige Mitarbeiter der Großbaustelle stellt der Teckbote in einer Serie vor. Im Umpfental arbeiten die Bergleute im Zwei-Schicht-Betrieb rund um die Uhr. Pro Schicht sind sechs Mineure sowie jeweils ein Schlosser und ein Elektriker im Einsatz. „Die psychische Belastung für die Mineure ist groß“, weiß Polier Willibald Kapler. „Es ist ein Knochenjob.“ Manche hätten den Beruf aufgeben müssen, weil sie es auf Dauer nicht verkraftet hätten, unter Tage zu arbeiten, erzählt er von seinen langjährigen Erfahrungen. Generell seien die Bergleute aber „wilde Burschen“. Allerdings sei auch zu beobachten, dass „die Aggressivität“ zunimmt, je seltener die Arbeiter die Sonne sehen. Doch das sei „eine ganz normale menschliche Reaktion“.alm