Lokales

Eine Kikuyu in Kirchheim

Erster Teil der neuen Teckboten-Serie über Migranten in Kirchheim: Die Kenianerin Waceke Romig ist seit 20 Jahren in Deutschland zu Hause

Erster Teil der neuen Teckboten-Serie über Migranten in Kirchheim: Die Kenianerin Waceke Romig ist seit 20 Jahren in Deutschland zu Hause

In Waceke Romigs Gemüsegarten wachsen deutsche Stangenbohnen neben afrikanischem Kohl. Foto: Jean-Luc Jacques
In Waceke Romigs Gemüsegarten wachsen deutsche Stangenbohnen neben afrikanischem Kohl. Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Es gibt Dinge, die Waceke Romig überhaupt nicht leiden kann. Schlangen findet sie zum Beispiel zum Davonlaufen. Wilde Tiere sind ihr auch nicht besonders geheuer und Unpünktlichkeit bringt die zierliche Afrikanerin so richtig auf die Palme. „Wenn wir in Kenia zu Besuch sind, und mein Bruder kommt eine halbe Stunde zu spät, ohne sich zu entschuldigen, nervt mich das“, sagt sie. Lustigerweise ist es dann ihr deutscher Mann, der sie mit dem Hinweis beruhigen muss, man sei hier eben nicht in Deutschland, sondern in Afrika.

Afrika, das ist Waceke Romigs erste Heimat. 1962 wird sie als jüngstes von neun Geschwistern in einem kleinen Dorf in Kenia im Bezirk Thika geboren. Sie und ihre Familie sind vom Stamm der Kikuyu, einer ethnischen Gruppe, die etwa ein Viertel der Bevölkerung Kenias ausmacht. Die Eltern bewirtschaften eine Kaffeeplantage. Der Großvater ist Missionar, deshalb wird Bildung in der Familie groß geschrieben. Waceke besucht die Schule, geht aufs College, studiert Modedesign. Mit 19 Jahren bekommt sie eine Tochter. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Schneiderin.

Eine ihrer Schwestern, die bei der African Medical Research Foundation (AMREF) arbeitete, stellt ihr Thomas vor, ihren heutigen Mann, mit dem Waceke Romig mittlerweile seit 20  Jahren verheiratet ist. Der Stuttgarter arbeitet als Biologe bei der Hilfsorganisation, deren Ziel es ist, die Gesundheitsversorgung in Afrika zu verbessern. 1988 macht das Paar zum ersten Mal Urlaub in Deutschland – ausgerechnet im Winter. Wenn Waceke Romig zurückdenkt, fröstelt sie immer noch ein wenig. „Es war so kalt und dunkel. Ich habe mich gefragt: Wie kann man hier leben?“ Gleichzeitig ist sie überwältigt von den neuen Eindrücken, die auf sie einströmen.

1991 heiratet das Paar in Kenia im Hof der Mutter. Das halbe Dorf feiert mit, wie es sich in Afrika gehört. 1992 geben sich Waceke und Thomas in Stuttgart noch einmal das Ja-Wort. Auch die Mutter und der Bruder sind dabei. Als sie in der halbleeren Kirche ankommen, fragt die Mutter: „Wo sind denn die Gäste?“ Waceke Romig muss heute noch lachen, wenn sie daran zurückdenkt. „Meine Mutter konnte nicht glauben, dass wir nur mit 50 Gästen feiern.“

Das Paar lebt zunächst in München, Thomas Romig arbeitet an der Technischen Universität (TU). „Das erste Jahr war schwierig für mich“, sagt Waceke Romig. Sie kämpft mit der Sprache, gegen Langeweile und Heimweh. Außerdem vermisst sie ihre Tochter, die in Kenia noch ein Jahr die Schule besuchen muss. Wenn sie nach draußen geht, zieht sie im ländlichen Freising viele Blicke auf sich. „Die Leute waren wahrscheinlich nur neugierig, aber es hat mich ein bisschen unsicher gemacht“, erinnert sie sich.

Diese Zeiten sind Vergangenheit. Waceke Romig und ihr Mann bewohnen ein schönes Haus auf dem Milcherberg, hinter dem Haus erstreckt sich ein großer Garten mit alten Streuobstbäumen bis zum Kegelesbach. Neugierige Blicke erntet sie schon lange nicht mehr – außer vielleicht, wenn sie in einem ihrer farbenfrohen afrikanischen Kleider das Gemüsebeet bestellt. Die Tochter lebt ganz in der Nähe in Leinfelden-Echterdingen, arbeitet an der Uniklinik Tübingen als Krankenschwester. Und langweilig ist Waceke Romig schon lange nicht mehr: Seit 14 Jahren arbeitet sie bei einem Automobil-Zulieferer in Oberboihingen.

Auch in ihrer Freizeit hat die Ke­nianerin alle Hände voll zu tun. Einmal die Woche probt sie mit dem Chor der Kreuzkirche. Gemeinsam mit der Nürtinger Gruppe „Frauen aus aller Welt“ organisiert sie Kulturveranstaltungen, verkauft selbst gekochtes Essen und sammelt so Spenden für die Bedürftigen dieser Welt. 2006 hat die Gruppe für dieses Engagement den Ehrenamtspreis des Landes Baden-Württemberg erhalten. Außerdem begleiten die Frauen andere Migranten bei Behördengängen und unterstützen sie bei allem, was anfangs fremd und schwierig ist.

Waceke Romig ist längst in ihrer neuen Heimat angekommen. Der leidenschaftlichen Köchin gehen Knödel und Spätzle genauso leicht von der Hand wie afrikanische Gerichte. In ihrem Gemüsegarten wächst afrikanischer Kohl neben deutschen Stangenbohnen. Waceke Romig schätzt die Pünktlichkeit der Deutschen, ihre Ehrlichkeit, und dass sie sich sicher fühlen kann. Wenn sie im Winter abends zur Chorprobe fährt, nimmt sie dennoch das Auto. „In Afrika darf man nachts nicht raus. Diese Angst steckt immer noch in mir“, sagt sie.

Was sie traurig macht, ist, dass es in Deutschland viele alte Menschen gibt, die allein sind, weil sich die Familie nicht um sie kümmert. „Das gibt es bei uns nicht“, erzählt Waceke Romig. In Kenia ist es Tradition, dass die Söhne mit ihren Frauen bei den Eltern bleiben und sich um sie kümmern. Für Waceke Romig ist es deshalb selbstverständlich, dass ihre Schwiegermutter mit im Haus lebt.

Manchmal vermisst sie den schwarzen Tee, der so unverwechselbar nach Gewürzen schmeckt, dass man ihn in Deutschland einfach nicht bekommt. Was ihr dagegen überhaupt nicht fehlt, ist, dass Frauen in Kenia nicht viel gelten – auch wenn es inzwischen eine engagierte Frauenbewegung gibt. „Die älteren Männer denken immer noch, dass die Frauen sie bedienen müssen“, erzählt Waceke Romig. Wenn ihre Verwandschaft zu Besuch sei, wundere sie sich immer darüber, dass Wacekes Mann genauso am Herd stehe wie sie selbst. Auch die Stammestraditionen be­günstigen die Männer. „Bei uns erben die Söhne alles. Die Töchter hingegen müssen nach der Heirat aus dem Haus und bekommen nichts.“

Gemeinsam mit ihrem Mann reist Waceke Romig alle zwei Jahre nach Afrika, um ihre Familie zu besuchen. Doch für immer zurückzukehren, kommt für die Kenianerin nicht infrage.