Lokales

Gedanken sind so frei wie die Vögel

Neuntklässler erinnern morgen in Kirchheims Innenstadt an die Barbarei der Bücherverbrennung

„Gedanken verbreiten anstatt verbrennen“: Das ist das Motto des Kirchheimer Literaturbeirats, um auf den morgigen Jahrestag der Bücherverbrennungen von 1933 hinzuweisen. Auf Postkarten verbreitet werden die Gedanken von Autoren, die dem Nationalsozialismus nicht ins Konzept passten. Schüler des Ludwig-Uhland-Gymnasiums verteilen diese Karten am Samstag in der Innenstadt.

Aktion zur Bücherverbrennung
Aktion zur Bücherverbrennung

Andreas Volz

Kirchheim. Nicht jeder Neuntklässler mag auf Anhieb von der Idee begeistern sein, einen Samstagvormittag als „Sandwich-Man“ – eingeklemmt zwischen zwei Plakaten – zu verbringen und dabei Postkarten zu verteilen. Umso erfreulicher ist es für Ingrid Stojan, Lehrerin am Ludwig-Uhland-Gymnasium und Mitglied des Literaturbeirats, dass sich an ihrer Schule in der Klasse 9d etwa zehn junge Leute spontan bereiterklärt haben, diese Aktion als lebendige Plakatständer zu unterstützen. Die Schüler sollen Ingrid Stojan zufolge auch Ansprechpartner sein für die Menschen, denen sie morgen Karten in die Hand drücken.

Auf die Inhalte sind sie im Geschichtsunterricht vorbereitet worden – zum Beispiel gestern durch einen Vortrag von Christoph Zink, einem Schüler aus der Jahrgangsstufe I. Er begann mit dem berühmtesten aller Zitate zum Thema „Bücherverbrennung“. Schon über hundert Jahre vor den nationalsozialistischen Untaten vom Mai 1933 hatte Heinrich Heine einer Figur in seiner Tragödie „Almansor“ folgenden Satz in den Mund gelegt: „Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ In der Rückschau wird dieser Satz zur Prophezeiung, denn nicht lange sollte es dauern, bis im „Dritten Reich“ nach den Büchern tatsächlich auch die Menschen brannten.

Ein weiteres Zitat, das Christoph Zink gestern vorstellte, stammt von Peter Suhrkamp und stellt den Zusammenhang zwischen den jeweiligen Feuern her: „Die Flammen, die zuerst über den Bücherhaufen prasselten, verschlangen später im Feuersturm unsere Städte, menschliche Behausungen, die Menschen selbst. Nicht der Tag der Bücherverbrennung allein muss im Gedächtnis behalten werden, sondern diese Kette: von dem Lustfeuer an diesem Platz über die Synagogenbrände zu den Feuern vom Himmel auf die Städte.“ Feuer durchzieht also die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft von den Anfängen – mit Fackelzügen und Bücherverbrennungen – bis zum Ende, als Deutschlands Städte im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zum Raub der Flammen wurden.

Worum ging es bei der Bücherverbrennung? Im Zeitjargon ging es darum, vermeintlich „wider den undeutschen Geist“ vorzugehen. Allen, die in ihrer Herkunft, in ihren Worten und Taten nicht dem Ideal des Nationalsozialismus entsprachen, sollte es verboten sein, ihre Gedanken in deutscher Sprache zu verbreiten. Ihre Werke und Schriften sollten verbrannt werden und in keiner Bibliothek mehr zu finden sein – weder in öffentlichen noch in privaten Bibliotheken. Studenten hatten die Aufgabe, aus ihren Privatbeständen, bei Verwandten sowie in Büchereien entsprechende Bücher zu sammeln, um sie dem Feuer übergeben zu können.

Bereits seit März 1933 waren Bücher und Schriften verbrannt worden, erklärte Christoph Zink den Neuntklässlern. Die Aktionen zogen sich bis Ende August hin. Der „Höhepunkt“ war allerdings am 10. Mai, als in vielen deutschen Universitätsstädten die Scheiterhaufen entzündet wurden. Am bekanntesten ist das Geschehen auf dem Berliner Opernplatz, wo Propagandaminister Joseph Goebbels persönlich auftrat.

Unterschiedliche „Feuersprüche“ begleiteten die Bücher in die Flammen. Offiziell richtete sich die Aktion „gegen Klassenkampf und Materialismus“, „gegen Dekadenz und moralischen Zerfall“, „gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat“, „gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens“, „gegen volksfremden Journalismus“, „gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache“ oder auch ganz pauschal „gegen Frechheit und Anmaßung“. Zusammengefasst wurden die verfemten Bücher unter den Kategorien „Schund und Schmutz“ oder „zersetzendes Schrifttum“.

Ulrich Staehle, früherer Lehrer am Ludwig-Uhland-Gymnasium und ebenfalls Mitglied des Literaturbeirats, stellt fest, wie sehr sich Einschätzung und Bewertung der Bücher inzwischen gewandelt haben: „Fast alle Schriftsteller, die heute in der Schule gelesen werden, gehören zu denen, deren Werke damals verbrannt worden sind.“ Die Bücherverbrennungen von 1933 waren also aufsehenerregend, aber zum Glück nicht erfolgreich. Die Werke haben diese „kulturelle Barbarei“ überstanden.

Darauf spielt die Zeichnung auf den Plakaten und Postkarten an, wie Ulrich Staehle sie beschreibt: „Unten lodert ein stilisiertes Feuer, in dem die Bücher brennen sollen. Stattdessen schweben sie aber nach oben und verwandeln sich in Vögel, die frei umherfliegen.“ So wird in der Zeichnung deutlich, dass die Gedanken eben doch nicht endgültig verbrannt sind, sondern sich verbreiten konnten.

Wichtig ist es für Ulrich Staehle wie für Ingrid Stojan, dass der Literaturbeirat morgen nicht in Konkurrenz treten will zu den Parteien und Organisationen, die sich im Kommunalwahlkampf präsentieren: „Bei uns wird keine Politik betrieben. Und außerdem wird nichts verkauft. Die Schüler verteilen die Karten gratis.“

Die Postkarten gibt es mit vier verschiedenen Zitaten. Eines davon ist das bereits erwähnte von Heinrich Heine. Neben Zitaten von Kurt Tucholsky und Michail Bakunin gibt es noch einen Vierzeiler Ödön von Horváths, der ähnlich prophetisch wirkt wie das Heine-Zitat – und sogar deutlich optimistischer: „Was falsch ist, wird verkommen, / obwohl es heut regiert, / was echt ist, das soll kommen, / obwohl es heut krepiert.“

Dass es sich bei der Bücherverbrennung keinesfalls nur um ein historisches Thema handelt, bei dem höchstens noch eine latente Wiederholungsgefahr besteht, das hat die 9d gestern auch noch mitgenommen: Geschichtslehrerin Edith Kappel sprach von einem grundsätzlichen „Angriff auf die Meinungsfreiheit“, der sich immer wieder ereignen kann, wenn auch in unterschiedlicher Form. Als Beispiele dafür nannte sie die Spiegel-Affäre vor gut 50 Jahren sowie den aktuellen Umgang mit Edward Snowden und dem NSA-Skandal.