Lokales

Im Alter in die Stadt

Der demografische Wandel hat Auswirkungen auf den Immobilienmarkt

Wer in Kirchheim und Umgebung ein Haus oder einen Bauplatz sucht, kann ein Lied davon singen: Der Immobilienmarkt in Kirchheim ist praktisch leergefegt. Auf dem Land dagegen ist praktisch alles zu haben. Schuld an dieser Entwicklung ist auch der demografische Wandel.

Auch im ländlichen Raum ist die Nachfrage nach Immobilien höchst unterschiedlich. Während in Lenningen, vor allem in den Teilort

Auch im ländlichen Raum ist die Nachfrage nach Immobilien höchst unterschiedlich. Während in Lenningen, vor allem in den Teilorten auf der Alb, viele Bauplätze auf Käufer warten, ist das zwischen Kirchheim und Autobahn gelegene Holzmaden bei Häuslebauern beliebter.Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Stille, Weite, unberührte Natur – all das kann der Lenninger Ortsteil Schopfloch am Rand der Schwäbischen Alb bieten. Wer dort ein Haus bauen will, hat viele Möglichkeiten. An Bauplätzen mangelt es nicht. „Es fragen immer wieder ältere Menschen nach, die dort gerne ihren Lebensabend verbringen wollen“, sagt der Lenninger Bürgermeister Michael Schlecht. „Aber wenn sie dann sehen, dass es dort nicht mal mehr ein Lebensmittelgeschäft gibt, winken die meisten ab.“

Diese Geschichte beschreibt ein Phänomen, dem nicht nur Lenningen gegenübersteht. Alle Gemeinden, die über wenig Infrastruktur und keinen nahen Autobahn- oder S-Bahn-Anschluss verfügen, werden für junge Familien, aber auch für ältere Menschen immer unattraktiver. Weil die Menschen immer älter werden, wird Infrastruktur noch mehr als bisher zum Standortvorteil. Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, öffentliche Verkehrsmittel und Kultur gibt es in Städten wie Kirchheim direkt um die Ecke. Die ländlichen Gemeinden können da nicht mithalten.

Torsten Hammelehle, Leiter des Immobilien-Centers der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen, bringt es auf den Punkt: „Gesucht sind stadtnahe Wohnungen, barrierefrei, mit Aufzug und Hausmeisterservice“. Beim Immobilientag der Kreissparkasse seien viele ältere Menschen da gewesen, die kurz vor der Rente stünden und im Eigenheim lebten. „Viele kaufen aber inzwischen eine Stadtwohnung für den Fall, dass sie irgendwann nicht mehr mobil sind.“ Kurze Wege, lautet das Stichwort. Die Folge ist, dass sich das Wohnungsangebot in den Städten immer mehr verknappt und die Preise für Stadtimmobilien steigen.

Auch Friedrich Lebküchner, Abteilungsleiter für Baufinanzierung und Immobilien bei der Volksbank, beobachtet diesen Trend seit einiger Zeit. „Ältere, die momentan noch auf dem Land leben, kaufen verstärkt Stadtimmobilien“, sagt er. Besonders gefragt seien Objekte, in denen man Betreuungsangebote dazubuchen könne. „Früher haben ältere Ehepaare klassisch im Reihenhaus gewohnt, häufig ihr Leben lang. Versorgt wurden sie im Alter von den Kindern oder durch ihr soziales Netz.“ Weil die Kinder häufig nicht mehr am Ort leben, wird das aber zunehmend schwieriger. Friedrich Lebküchner glaubt, dass Ältere sich deshalb zunehmend nach alternativen Wohnformen umschauen. „Irgendwann werden wir auch hier Senioren-Wohngemeinschaften wie in Tübingen haben“, sagt er.

Der demografische Wandel, also das Missverhältnis zwischen Sterbefällen und Geburten, ist das eine Problem, das die Städte und den ländlichen Raum in gleicher Weise betrifft. Vergleicht man die Bevölkerungsentwicklung zwischen Kirchheim und Lenningen, sieht man, dass die Kirchheimer Bevölkerung bis 2030 um 7,6 Prozent schrumpfen wird, die Lenninger Bevölkerung um 9 Prozent. In Kirchheim werden also auch nicht viel mehr Kinder geboren als in Lenningen. Der Unterschied ist aber, dass Kirchheim den Überhang an Sterbefällen durch Zuzüge von außen wieder ausgleichen kann. Das heißt: Sowohl alte Menschen als auch junge Familien zieht es in die Stadt. Berücksichtigt man diese Wanderungsbewegungen, kommt Kirchheim bis 2030 nur auf ein Bevölkerungsminus von 1,9 Prozent. Lenningen dagegen kann das Missverhältnis zwischen Todesfällen und Geburten nicht durch Zuzüge ausgleichen. Das kann man an dem Bevölkerungsminus von 10,2 Prozent ablesen, das herauskommt, wenn die sogenannten Wanderungen mit eingerechnet werden. Das heißt: Die Bevölkerung geht bis 2030 nicht nur wegen der Sterbefälle zurück, sondern auch, weil wenige zuziehen.

Mit diesem Problem sieht sich Lenningens Bürgermeister Michael Schlecht tagtäglich konfrontiert. „Wir sind attraktiv und können vieles bieten, aber eben nicht alles“, sagt er und berichtet von einem Telefongespräch, das er immer wieder führt. „Wenn junge Familien anrufen, sind sie immer ganz begeistert, wenn sie hören, dass wir in fast allen Ortsteilen Kindergärten und Schulen haben“, sagt er. „Spricht man dann über den öffentlichen Nahverkehr, die ärztliche Versorgung oder Einkaufsmöglichkeiten, bedanken sie sich meistens für das freundliche Gespräch und sagen, dass sie dann wohl doch nicht zu uns ziehen“, sagt er. Wenn der Schopflocher Gymnasiast um 5.30 Uhr aufstehen müsse, sei das eben kein Argument für einen Ansiedlung. „Wäre Lenningen ein großes Gebiet mit 8500 Einwohnern, dann wäre alles super. Aber die Bahn hört eben in Oberlenningen auf. Und die Geschäfte sind auch alle im Tal.“

Michael Schlecht hat eine Erklärung dafür, warum die Menschen nicht mehr aufs Land ziehen. „Viele wollen da wohnen, wo es pulsiert, wo sie alle Angebote um die Ecke haben. Und wenn sie Natur wollen, fahren sie eben einen Tag auf die Schopflocher Alb.“ Natürlich gebe es noch junge Familien, die nach Lenningen kämen. „Aber die entscheiden sich dann ganz bewusst dafür, ihre Kinder in der Natur aufwachsen zu lassen.“

Ein weiteres Problem sieht der Bürgermeister darin, dass seine Gemeinde von Natur-, Wasser-, Vogel- und Landschaftsschutzgebieten eingeschlossen ist. „In den besten Lagen sitzt der Halsbandschnäpper“, sagt Michael Schlecht und weist damit auf die Schwierigkeiten der Gemeinde hin, Baugebiete auszuweisen. Dann gebe es Lagen, die auch nicht schlecht seien, aber leider hochwassergefährdet. Zudem gebe es im Lenninger Tal eben auch schattige Bauplätze. „Die Menschen wollen aber nur noch extrem attraktive Bauplätze haben, weil sie nicht mehr davon ausgehen, dass sie ihr ganzes Leben dort bleiben“, so der Bürgermeister. Deshalb achteten sie sehr auf den Wiederverkaufswert.