Lokales

Jeder Einwohner zählt

Der demografische Wandel stellt Gemeinden wie Lenningen vor große Herausforderungen

Der Rückgang der Geburtenzahlen stellt die Kommunen vor erhebliche Herausforderungen. Jede Gemeinde muss um ihre Einwohner kämpfen. Der Teckbote hat mit Bürgermeister Michael Schlecht darüber ­gesprochen, wie die Gemeinde Lenningen mit dem demo­grafischen Wandel umgeht.

BM Schlecht vor der Grundschule in Oberlenningen
BM Schlecht vor der Grundschule in Oberlenningen

Lenningen. Das Wort „Verlierer“ mag Lenningens Bürgermeister Michael Schlecht gar nicht. Vor allem dann nicht, wenn es um seine Gemeinde geht. An den Zahlen kann er jedoch nicht vorbei: In den letzten sieben Jahren ist Lenningen um 700 Einwohner geschrumpft. Im Jahr 2030 wird die Gemeinde nur noch etwa 7 400 Einwohner haben, das sind rund 800 weniger als heute. Schuld an dieser Entwicklung, sagt Michael Schlecht, ist auch der demografische Wandel. Und dann nimmt er das Wort doch in den Mund: „Wenn wir nichts unternehmen“, sagt der Bürgermeister, „werden wir zu den Verlierern gehören.“

Aus dem Fenster des Bürgermeisters blickt man auf die verschneiten Hänge der Schwäbischen Alb. Wie Streichhölzer ragen die kahlen Bäume daran empor. Schon bald werden die Schluchtwälder wieder ergrünen, die Merkmale des Biosphärengebiets Schwäbische Alb sind. Len­ningen ist auf allen Seiten umgeben von unberührter, schützenswerter Natur. Doch wer glaubt, dass die Menschen deshalb in Scharen hierherziehen, der irrt. „Früher sind die Menschen von der Autobahn weggezogen, heute ziehen sie hin“, sagt Michael Schlecht. Nicht die Nähe zur Natur, sondern die Nähe zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Ärzten, kulturellen Angeboten und Supermärkten entscheiden meist darüber, wo eine Familie sich niederlässt. Oder wo ein Mensch im Alter wohnen möchte.

Lenningen hat es aus vielerlei Gründen schwerer als andere Gemeinden, auf die Herausforderungen des demografischen Wandels zu reagieren. „Verkehrlich besser angebundene Gemeinden haben es natürlich leichter“, sagt Michael Schlecht. Auch die Struktur der 8 500-Einwohner-Gemeinde mit ih­ren sieben Teilorten auf der Alb und im Tal ist ein Nachteil. Während es in Oberlenningen alle Geschäfte des täglichen Bedarfs gibt, kann man in Schopfloch nicht mal mehr einen Liter Milch kaufen. Das einzige Geschäft, das geblieben ist, ist der Metzger. Auch in Gutenberg gibt es schon seit einigen Jahren kein Einzelhandelsgeschäft mehr. Für viele ältere Bewohner, die nicht mehr mobil sind, ist das ein Problem. Und auch potenzielle Häuslebauer werden von den fehlenden Einkaufsmöglichkeiten abgeschreckt, weiß Michael Schlecht. „Da spielt es dann auch keine große Rolle, dass wir in allen Teilorten Kindergärten und Grundschulen haben.“

Was die Einkaufsmöglichkeiten angeht, sind dem Bürgermeister jedoch weitestgehend die Hände gebunden. Allenfalls die Rahmenbedingungen könne man beeinflussen. „Wir können als Gemeinde aber keinen Laden betreiben“, sagt Michael Schlecht. Dass es in Guten­berg und Schopfloch keine Läden des täglichen Bedarfs mehr gibt, ist für ihn kein Wunder. „Man braucht mindestens 2 000 Einwohner, um einen solchen Laden wirtschaftlich betreiben zu können“, sagt der Bürgermeister. Damit können nur Unter- und Oberlenningen dienen. Schopfloch hat etwa 700 Einwohner. Die Idee, dass eine Bürgergenossenschaft einen Laden betreibt, hat Michael Schlecht immer wieder vorgebracht. „Das lässt sich aber nur realisieren, wenn immer einer von morgens um 8 bis abends um 6 Uhr im Laden steht – und zwar unentgeltlich.“ Bisher hat sich offenbar niemand gefunden, der dazu bereit ist.

Abseits der fehlenden Einkaufsmöglichkeiten sieht Michael Schlecht aber durchaus Möglichkeiten, wie sich der Bevölkerungsschwund zumindest bremsen lässt. Die Versorgung mit schnellem Internet, die in den nächsten Jahren kommen wird, ist für den Bürgermeister ein wichtiger Baustein. „Fehlende Breitbandversorgung ist gerade im Gewerbebereich, aber auch für private Haushalte, ein K.O.-Kriterium“, weiß Michael Schlecht. Er hofft, dass er mit dem schnellen Internet Bürger zum Bleiben bewegen oder sogar neue Einwohner anziehen kann. Während er an den natürlichen Standortnachteilen nichts ändern kann, will der Bürgermeister auf anderen Feldern punkten. „Jung & innovativ“ will er sich nach außen präsentieren. Das eigene Energieversorgungsunternehmen oder der Verein „Unser Netz“ sind ebenfalls Teil dieser Strategie.

Auch Bildung und Betreuung gehören für Michael Schlecht zur Bekämpfung der Landflucht – auch wenn er betont, dass das natürlich für jede Gemeinde gilt. „Ganztagsbetreuung und Krippenplätze sind heute keine freiwilligen Angebote mehr“, sagt er. „Das gehört einfach dazu.“ Natürlich könne man nicht in allen Ortsteilen eine Ganztagsbetreuung anbieten. Das sei schlicht nicht finanzierbar. Wichtig ist ihm aber, dass die Grundschulen in allen Ortsteilen trotz sinkender Schülerzahlen gehalten werden. Ohne Kompromisse geht es allerdings nicht. In Gutenberg wird es ab dem nächsten Jahr eine Zwergschule geben, in der die Klassen eins bis vier gemeinsam unterrichtet werden.

„Wir werden die demografische Entwicklung nicht umdrehen können. Wir müssen aber dafür sorgen, dass wir darüber hinaus nicht noch mehr Menschen verlieren“, sagt Michael Schlecht. Ziel müsse es sein, die Einwohner zu halten. Das schließt für den Bürgermeister ein, dass man in Lenningen bleiben kann, wenn man pflegebedürftig wird. „Bis vor sechs Jahren gab es in Unterlenningen nur ein Kleinpflegeheim“, sagt er. „Wer pflegebedürftig war, musste meistens weg.“ Mittlerweile bietet „Unser Netz“ in Len­ningen Betreutes Wohnen an. In Unterlenningen gibt es ein Pflegeheim.

Leistungen abzubauen ist für Michael Schlecht genau die falsche Reaktion auf die schwindende Bevölkerung – auch wenn diese Forderung aufgrund der angespannten Haushaltslage häufig gestellt wird. „Backhäuser, Musikschule, Bibliothek, Schwimmbad – natürlich lohnt sich nichts von alledem“, sagt Michael Schlecht mit Blick auf die Zahlen. „Aber ohne geht‘s auch nicht.“