Lokales

Vom „geköpften“ Petrus zum „Chines“

Wilhelm Braun ist als Stadt- und Kirchenführer sowie als Kleindenkmalerfasser für seine Heimat aktiv

Beim Ehrenamtspreis 2014 geht es um Menschen, die sich um die Bewahrung der Heimat verdient machen. Einer dieser Menschen ist Wilhelm Braun. Seine Heimat, für die er sich einsetzt, liegt in Weilheim. Ein besonderer Heimat-Schwerpunkt liegt in seinem Geburtsort Hepsisau.

Wilhelm Braun in Weilheim in der Peterskirche - Ehrenamtspreis
Wilhelm Braun in Weilheim in der Peterskirche - Ehrenamtspreis

Weilheim. Wilhelm Braun engagiert sich schon seit vielen Jahren ehrenamtlich für Brauchtum und Heimat. Am längsten ist er als „Sänger im ersten Bass beim Männerchor Hepsisau“ tätig: seit 1954, also ununterbrochen seit 60 Jahren. Ebenfalls über mehrere Jahrzehnte hinweg war er als Funktionär aktiv: sowohl im heimatlichen Männerchor als auch in der Chorvereinigung Limburg und im Chorverband Karl Pfaff. Im Chorverband war er beispielsweise 44 Jahre lang Präsidiumsmitglied, 17 davon als Vize-Präsident.

In alle diese Tätigkeiten ist Wilhelm Braun irgendwie hineingeraten. Aber die Ehre spielte früher beim Ehrenamt wirklich noch eine große Rolle: „Das war damals eine ganz andere Zeit. Da hat man sich geehrt gefühlt, wenn man im Männerchor aufgenommen worden ist.“ Und auf die Ehre folgte sogar gleich ein Amt: Gleichfalls schon 1954 – im Alter von 17 Jahren – wurde Wilhelm Braun Schriftführer des Männerchors und sollte es 40 Jahre lang bleiben.

Mit dem Gesang und mit der Vereins- und Verbandsarbeit im Hintergrund ist Wilhelm Brauns Wirken für die Heimat aber noch längst nicht erschöpft. Er hat noch weitere Ämter und Posten, teils sogar mit Alleinstellungsmerkmal. Seit 2002 beispielsweise ist der Hepsisauer, der in Weilheim wohnt, als ehrenamtlicher Stadtführer tätig. Auch das ist ihm irgendwie so passiert: „Da war mal eine Albvereinsgruppe, die im Rathaus nach einer Stadtführung in Weilheim gefragt hat. Das wurde dann an mich weitergeleitet.“

So schnell kann man Stadtführer werden. Wilhelm Braun ist für diese Rolle aber nicht nur besonders geeignet, sondern geradezu dafür geschaffen. Das zeigt sich beim Fototermin in der Peterskirche: Spontan legt er los und erzählt vom Baubeginn 1489 und vom Baustopp ein paar Jahre später. Als danach weitergebaut wurde, hat man den Kirchenpatron Petrus einfach „geköpft“. Die heutige Gewölbedecke im Kirchenschiff wurde nämlich erst beim Weiterbauen eingezogen. Zuvor hatte es eine Holzdecke gegeben, die etwas weiter oben lag. Die Gemälde auf dem Chorbogen reichten ursprünglich bis zur Holzdecke und waren nun nachträglich anzupassen. Der Originalkopf des Petrus ist seither nur noch auf der untersten Bühnenetage zu bewundern.

Auf dieser Bühne wiederum lagerten eine Zeit lang die Weilheimer „Fürstenbilder“, die inzwischen als Dauerleihgabe in Kirchheim hängen – im Ratssaal und im Schloss. Lediglich Eberhard im Bart, Württembergs Herrscher im Jahr des Baubeginns der heutigen Peterskirche, ist am Ursprungsort verblieben. Als noch alle Fürsten unter dem Dach der Peterskirche „eingemottet“ waren, sei einmal Bundespräsident Theodor Heuss in der Limburgstadt gewesen, berichtet Wilhelm Braun. Die Bilder der Fürsten konnten Heuss allerdings nicht dazu bewegen, das Dachgebälk der Kirche zu betreten. Er soll dankend abgelehnt haben mit den Worten: „Sagen Sie den Herren da oben, ich lasse sie grüßen.“

Stadtführungen macht Wilhelm Braun ebenso wie Kirchenführungen. Beide Führungen hat er in den vergangenen zwölf Jahren jeweils 136 Mal angeboten. Dazu kommen 89 kombinierte Führungen – Altstadt mitsamt der Peterskirche. Diese Kombination lehnt er aber mittlerweile lieber ab: „Beides zusammen würde zweieinhalb Stunden dauern, und das ist einfach zu lang.“ Dem Wunsch mancher Gruppenleiter, dann möge er „halt von jedem a bissle“ machen, kommt er auch nicht mehr so schnell nach, weil es dann nichts Ganzes und nichts Halbes sei. Dabei denkt er aber weniger an sich, als vielmehr an die Teilnehmer der Führungen. Auf die Teilnehmer müsse man sich einstellen. Es gelte, flexibel auf deren Bedürfnisse zu reagieren. Er selbst hat kürzlich in einer anderen Stadt eine Führung erlebt und dabei eine ganz eigene Auslegung des Mottos „Weniger ist mehr“ gehört. Der Gästeführer hatte nämlich gesagt: „Ich erzähle Ihnen nicht so viel, dann brauchen Sie auch nicht so viel zu vergessen.“

Beim Fototermin unversehens auf dem Kirchturm angekommen, kann Wilhelm Braun Kirchen- und Stadtführung dann doch miteinander verbinden – oder eben in kürzester Zeit vom einen Thema ins andere wechseln. Er kommt nämlich beim Blick nach unten ins Schwärmen über die einstige Gasthauskultur und -vielfalt Weilheims. Zu beinahe jedem Haus zählt er Namen auf, die längst aus dem Stadtbild verschwunden sind: „Sonne“, „Krone“, „Adler“, „Blume“, „Brücke“. Es habe sogar den kuriosen Wirtshausnamen „Zum Chinesen“ gegeben. Dabei ist der Name leicht zu erklären: Der Wirt war einst einer von zwei Weilheimern gewesen, die daran beteiligt waren, um 1900 den Boxeraufstand in China niederzuschlagen. Und damals war einer, den es schon mal bis nach China verschlagen hatte, in Weilheim noch etwas Besonderes. Also war er selbst quasi der „Chines“, nach dem er seine Wirtschaft benannte hatte.

Das systematische Aufzählen von Wirtshäusern oder auch das regelmäßige Einstreuen von Anekdoten macht deutlich, dass Wilhelm Brauns Stadtführungen keine staubtrockenen Angelegenheiten sein müssen. Es zeigt aber auch, dass der 77-Jährige sowohl ein Gespür für Ordnung hat als auch für Merkwürdigkeiten und Kleinigkeiten. Das kommt ihm bei einem weiteren Ehrenamt zugute: Seit 2009 ist er der ehrenamtliche Erfasser von Kleindenkmalen in Weilheim und Hepsisau. Die Denkmäler werden fotografiert und in kurzen Texten dokumentiert. Eigentlich ist das Projekt seit 2013 abgeschlossen. Aber Wilhelm Braun sammelt nach wie vor, was ihm auffällt, um es nachzureichen. Zu den erfassten Kleindenkmalen gehört zum Beispiel „Weilheims ältester erhaltener Grabstein“ aus dem Jahr 1631, aber auch eine Tafel zum Gedenken an den Hubschrauberabsturz am Boßler vor neun Jahren – Ende September 2005.

Bei seinen heimatpflegerischen Tätigkeiten hat Wilhelm Braun auch Mitstreiter: So ist er froh, inzwischen nicht mehr der einzige Weilheimer Stadtführer zu sein, seit Hans Klöhn sich ebenfalls dieser wichtigen Form der Tourismusförderung angenommen hat. Und beim Erfassen der Kleindenkmale in Weilheim und Hepsisau hat Wilhelm Braun mit Manfred Eppinger zusammengearbeitet – und übergeordnet mit Norbert Häuser sowie mit Kreisarchivar Manfred Waßner. Der Kreisarchivar hat sogar ein Vorwort beigesteuert für ein weiteres Projekt Wilhelm Brauns: eine kleine Autobiografie, die einen authentischen Einblick gibt in das Leben zwischen Limburg und Zipfelbach in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch solche Beschreibungen sind wichtig, um die Heimat bewahren zu können. Immerhin ist Heimat nicht nur mit einem bestimmten Ort verknüpft. Sie ist auch an eine bestimmte Zeit gebunden. Und Wilhelm Braun verkörpert genau seine Heimat: Weilheim und Hepsis­au, von 1937 bis heute – und bis auf Weiteres.