Lokales

Vom Schüler zum Terroristen

Hamza S. aus Kirchheim ist als islamistischer Kämpfer in Syrien gestorben

Ein Schüler aus Kirchheim ist im Norden Syriens ums Leben gekommen. Er hatte sich der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) angeschlossen. Der Teckbote hat mit Menschen aus seinem Umfeld gesprochen.

Kampf um die syrische Grenzstadt Kobane. Auch Hamza S. hat im Norden Syriens für den IS gekämpft.Foto: dpa
Kampf um die syrische Grenzstadt Kobane. Auch Hamza S. hat im Norden Syriens für den IS gekämpft.Foto: dpa

Kirchheim. Vor den Fenstern der Klassenzimmer rüttelt der Herbstwind an den Blättern der Bäume. Drinnen riecht es nach gebratenen Eiern. Der Hauswirtschaftsunterricht ist gerade zu Ende. Ein paar Schülerinnen beugen sich über ihre Hausaufgaben und sprechen über ihre Träume. Jura studieren, das wäre doch was. Oder eine Weltreise machen. Noch besser, beides.

Diese Welt war noch vor einem Jahr auch Hamzas Welt. Doch der 18-jährige Realschüler aus Kirchheim hatte offenbar andere Träume. Sie trieben ihn nach Syrien, in ein Land, das seine Mitschüler nur aus den Nachrichten kennen. Dort soll er sich einer bosnischen Untergruppe jener Organisation angeschlossen haben, die sich „Islamischer Staat in Irak und der Levante“ nannte, seit Juli 2014 aber unter dem Überbegriff Islamischer Staat (IS) bekannt ist.

Die Gruppe kämpft im syrischen Bürgerkrieg sowohl gegen die Armee der syrischen Regierung als auch gegen andere oppositionelle Organisationen um die Vorherrschaft im Land. Acht Monate nach seiner Ankunft in Syrien, im März 2014, wurde Hamza S. bei einem Gefecht mit einer anderen islamistischen Gruppierung, der al-Nusra-Front, im Norden Syriens getötet. Er wurde 18 Jahre alt.

Zurück bleiben seine Familie und andere Menschen, die ihn kannten und die sich nicht erklären können, wie aus dem Schüler ein Terrorist werden konnte. Spurensuche in seiner ehemaligen Schule. Deniz, der eigentlich anders heißt, kennt Hamza seit dem Kindergarten. Damals lebte der mit Mutter und Stiefvater in Kirchheim, irgendwo hinterm Krankenhaus. Der leibliche Vater war in Bosnien geblieben, woher die Familie stammte.

Deniz und Hamza gingen gemeinsam in den Teck-Kindergarten, ohne beste Freunde zu sein. Auch in der Konrad-Widerholt-Grundschule, die beide besuchten, hatten sie wenig gemeinsam. Erst in der Realschule freundeten sie sich an. „Ich war vom Gymnasium auf die Realschule runtergegangen und kannte niemanden in der achten Klasse. Hamza war sitzen geblieben und kannte auch niemanden“, erinnert sich Deniz. Er muss lachen, wenn er an den ersten Schultag denkt. „Hamza kam gleich zu spät.“ Nur wenige Wochen später waren die beiden Nebensitzer. Auch nachdem ihre Klasse in der Neunten getrennt worden war, verbrachten sie jede Fünf-Minuten-Pause miteinander, um zu reden. „Er war verrückt und fröhlich, offen für alles. Er hat immer einen Spruch auf Lager gehabt. Und er hat an sich geglaubt“, erinnert sich Deniz an seinen Freund.

Der Sozialarbeiter der Realschule hat Hamza S. jedoch von einer anderen Seite kennengelernt. „Leg‘ dich bloß nicht mit dem an.“ Diesen Rat hatten ihm drei Mädchen gegeben, die offenkundig Angst vor Hamza S. hatten. „Ich hatte schon das Gefühl, dass sie meinten, er würde eine Prügelei anfangen, wenn man ihn provozierte.“ Er selbst habe ihn allerdings nicht so erlebt, meint der Schulsozialarbeiter.

Allerdings erinnert er sich an eine andere Situation, in der er mit Hamza aneinandergeriet. In einem Seminar zum Thema Respekt habe der, gemeinsam mit anderen, nicht aufgehört, zu stören und zu quatschen. Als der Schulsozialarbeiter begann, Namen ins Klassenbuch einzutragen, wurde Hamza sauer, wollte wissen, wieso er einen Eintrag bekomme, und fing an, zu diskutieren. „Das ist typisch. Er hat auch immer mit den Lehrern diskutiert, wenn er beschuldigt wurde, zu reden und sich ungerecht behandelt fühlte“, sagt Deniz. Hamza hätte ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl gehabt.

Irgendwann fing Hamza S. an, sich zu verändern. Der Schulsozialarbeiter sagt, er habe nichts bemerkt, dafür hätte er ihn nicht gut genug gekannt. „Er fing an, monatelang die Schule zu schwänzen, um in diese strenge Moschee in Stuttgart zu gehen“, sagt Deniz. In welche Moschee, weiß er nicht. Laut einem Bericht der Stuttgarter Nachrichten soll Hamza S. eine Moschee in Stuttgart-Botnang besucht haben, in der auch Prediger des Missionierungsnetzwerks „Die wahre Religion“ um den Kölner Salafisten Abou Nagie auftreten. Er gilt als einer der führenden Köpfe des Salafismus in Deutschland, einer ultrakonservativen und radikalen Strömung innerhalb des Islam.

Hamza sei schon vorher gläubig gewesen, „aber nicht so“, sagt Deniz. Schon bevor er anfing, in die Stuttgarter Moschee zu gehen, hätte er einmal gesagt, „dass die Menschen hier nicht wirklich gläubig sind“. Außerdem habe er nicht mehr so viel geredet wie früher, sei sehr verschlossen gewesen. Dann war er verschwunden.

Im Juli 2013 wurde Hamza S. von seiner Familie als vermisst gemeldet. Wann genau er nach Syrien aufbrach, ist nicht bekannt. Deniz erfuhr davon, als Hamza ein Bild von sich auf Facebook postete: Darauf war er mit einem Maschinengewehr abgebildet. Was in ihm vorgegangen sei, als er dieses Bild gesehen habe? Deniz schweigt eine Weile. Dann sagt er: „Ich habe mir im Nachhinein schon Vorwürfe gemacht, dass ich nichts unternommen habe.“

Auch Yakub Kambir von der Sultan-Ahmet-Moschee in Kirchheim kannte Hamza S. Und auch er hat sich gefragt: Hätte ich das verhindern können? „Ich habe für mich keine Antwort darauf gefunden“, sagt Yakub Kambir. Er lernte Hamza S. kennen, als dieser in der Schule abzurutschen drohte. Seine Mutter hatte sich daraufhin an Kambir gewandt, mit der Bitte, ihrem Jungen zu helfen. „Wir haben eine Schülerhilfe, dort bekam er Nachhilfe. Er wurde auch für kurze Zeit besser in der Schule“, sagt Yakub Kambir. Dann wollte Hamza S. die Schule abbrechen. „Wir haben aus islamischer Sicht dagegen argumentiert, weil wir wussten, dass er dafür sensibel ist“, erinnert sich Kambir. Allerdings hätten die Bemühungen nicht gefruchtet. „Ich habe über die Mutter mitbekommen, dass er ins Ausland gegangen ist. Das war natürlich sehr bitter.“

Eine Radikalisierung des Jungen hat Yakub Kambir nicht bemerkt. „Er hat sich sehr intensiv mit dem Glauben auseinandergesetzt. Er wollte allerdings nicht die Auslegungen unseres Imams hören, sondern hat sich andere Quellen gesucht“, erinnert er sich. Er habe zwar gewusst, dass Hamza in andere Moscheen gehe, sagt Yakub Kambir. „Aber in welche, wusste ich nicht.“

Warum Hamza S. gewaltbereit wurde, kann sich Yakub Kambir nicht erklären. „Er war sehr sanftmütig, immer lächelnd. Dass ein Mensch mit solchen Charakterzügen abdriften kann, verwundert einen“, sagt er.