Zwischen Neckar und Alb

Nicht an den Werten rütteln

Frauen Die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras spricht bei den Esslinger Frauenwochen über ihr Ankommen in Deutschland, ihren Werdegang und die Türkei. Von Maria Krell

Als Muhterem Aras 2016 zur baden-württembergischen Landtagspräsidentin gewählt wurde, war das fast schon eine kleine Revolution: Seitdem steht erstmals eine Muslimin, Migrantin und Frau an der Spitze des Landtags in Stuttgart. Dass das Interesse an Aras nach wie vor hoch ist, zeigte sich bei den Esslinger Frauenwochen: Der Bürgersaal im Alten Rathaus war fast voll besetzt, als die alevitische Landtagspräsidentin vor das Publikum trat.

Im Dialog mit der Landtagsabgeordneten Andrea Lindlohr (Grüne) erzählte Aras von ihrem Weg an die Spitze und thematisierte die jüngsten Entwicklungen in der Türkei sowie die Schwierigkeit, beim „schönsten Amt der Welt“ immer Ruhe und Geduld zu bewahren.

Aras wuchs im kleinen anatolischen Elmaagaç auf, einem „richtigen Kuhdorf“. „Es gab keinen Strom, kein fließendes Wasser, keine geteerten Straßen oder Läden. Wir waren richtige Selbstversorger“, erzählt Aras. Mit zwölf Jahren kam sie nach Deutschland, als ihr Vater, der bei Thyssen-Krupp in Filderstadt arbeitete, 1978 die ganze Familie nachholte. „Eine meiner ersten Erinnerungen ist, wie ich staunend im Garten stand und die vorbeifahrenden Autos mit Frauen hinter dem Steuer gezählt habe.“

Von Anatolien nach Filderstadt

Der Weg vom abgeschnittenen anatolischen Dorf in eine völlig andere Welt sei für Aras weniger hart gewesen, als es klinge. „Ich habe das alles nie so brutal empfunden. Ich kam zwar aus ganz anderen Verhältnissen, aber plötzlich war auch Vieles möglich. Ich ging neugierig und vorurteilsfrei auf die deutschen Freunde zu. Und die Deutschen sind mir ebenso offen entgegengekommen.“ Als Aras erzählt, wie anders sie und die Geschwister im Vergleich zu ihren deutschen Mitschülern aussahen und gekleidet waren, lacht sie. „Diese Offenheit von beiden Seiten, das war der Schlüssel.“

Dass sie es von der Hauptschule zum Studium der Wirtschaftswissenschaften in Hohenheim, zu einem eigenen Steuerberatungsbüro und zur Landtagspräsidentin geschafft habe, sei ihrer Familie, besonders ihrer Mutter zu verdanken gewesen. „Meine Mutter spielte auf meinem Weg eine prägende Rolle. Sie, aber auch mein Vater, wollten uns Kindern hier in Deutschland die Perspektive geben, die sie selbst in ihrer Heimat nie gehabt hatten.“ Aras‘ Mutter ist Analphabetin. Dass ihr der Zugang zu Bildung in Anatolien verwehrt wurde, sitze bis heute tief. Doch auch in Deutschland hatten und haben Frauen es nicht leicht. „In den 90er-Jahren gab es praktisch keine Frauen in Führungspositionen, vor allem nicht Frauen mit Kindern“, erzählt sie.

Davon ließ sich Aras, bereits Mutter einer Tochter und schwanger mit ihrem Sohn, aber nicht abhalten: 2000 öffnete sie ihr Steuerberatungsbüro. Da war sie schon seit sieben Jahren bei den Grünen aktiv. Zu der Partei hatten sie die brennenden Flüchtlingsunterkünfte geführt. „Ich sah es nicht ein, dieses wunderbare Deutschland diesen rechten Verrückten zu überlassen.“ Und so begann sie, sich einzumischen. Das ist etwas, was sie noch und gerade heute fordert. „Trump, Putin, Erdogan - diese Menschen können Wahlen gewinnen. Das ist kein Witz mehr. An der Türkei sehen wir, wie schnell sich ein Land von einer Demokratie in eine Diktatur wandeln kann. Gehen Sie wählen! Jeder hier trägt Verantwortung dafür, wie sich das Parlament zusammensetzt“, sagte Aras.

Gibt es einen Wertewandel?

„Viele sprechen von einem Wertewandel. Doch es gibt keinen Wertewandel hier, unsere Werte sind glasklar und im Grundgesetz verankert. An ihnen darf nicht gerüttelt werden. Warum fragen wir also nicht, was kann ich für den Staat tun?“ Das Verhalten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verurteilte sie als „eines Präsidenten nicht würdig“. Dass es dennoch auch in Deutschland Menschen türkischer Abstammung gebe, die Erdogan unterstützen, sieht sie mit Besorgnis. „Viele dieser Menschen fühlen sich hier wie Bürger zweiter Klasse.“ Die hiesige Politik habe Fehler gemacht, etwa als sie den Islamunterricht in Deutschland dem türkischen Staat überlassen habe: Imame kommen nach wie vor aus der Türkei und werden dort ausgebildet.

Bei allem sei wichtig, sich nicht provozieren zu lassen, einander mit Respekt zu begegnen. Wie schwierig das manchmal ist, erlebt Aras in ihrem Amt: „Ich versuche, fair und respektvoll mit allen Abgeordneten umzugehen.“ Die AfD-Fraktion würde aber immer wieder bewusst provozieren. „Und andere Fraktionen steigen gleich darauf ein. Manchmal würde ich mir mehr Ruhe im Parlament wünschen.“