Lokales

Schwieriges Werben um Akzeptanz

Fachgespräch zu Flüchtlingsaufnahmegesetz und zur aktuellen Situation im Landkreis

Sprunghaft steigen die Zahlen von Asylbewerbern an. Alleine in den Landkreis Esslingen kommen monatlich derzeit 70 Flüchtlinge, die um Asyl bitten. Andreas Schwarz und Andrea Lindlohr, Grünen-Landtagsabgeordnete für die Wahlkreise Kirchheim beziehungsweise Esslingen, hatten in den Vortragssaal der Kirchheimer Stadtbücherei zu einer Podiumsdiskussion ­eingeladen.

Auf dem Podium im Vortragssaal der Kirchheimer Stadtbücherei diskutierten beim Fachgespräch zur Situation der Flüchtlinge Ragini
Auf dem Podium im Vortragssaal der Kirchheimer Stadtbücherei diskutierten beim Fachgespräch zur Situation der Flüchtlinge Ragini Wahl, Arbeitskreise Asyl im Landkreis Esslingen, Ministerialdirektor Professor Dr. Hammann, der Kirchheimer Grünen Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz, Filderstadts Bürgermeister Reinhard Molt, Esslingens Landrat Heinz Eininger sowie die Esslinger Grünen Landtagsabgeordnete Andrea Lindlohr (v. li. nach re.).Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Dass das Thema vielen ehrenamtlich Engagierten sowie Politikern in den Kommunen auf Kreis- und Landesebene auf den Nägeln brennt, machte die große Resonanz deutlich: Der Vortragssaal der Kirchheimer Stadtbücherei war am Mittwochabend proppenvoll.

„Wir sehen es als humanitäre Aufgabe an, Menschen, die in ihrem Heimatland verfolgt werden, in Deutschland Asyl anzubieten“, erklärte der Kirchheimer Landtagsabgeordnete der Grünen, Andreas Schwarz. Die Aufnahme von Asylbewerbern sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich alle politischen Ebenen stellen müssten. Seiner Fraktion sei bei der Novellierung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes wichtig gewesen, dass die Menschen im Land unter humanen und würdigen Bedingungen untergebracht werden könnten. So seien auf Drängen der Grünen die Ansätze für die Sozialbetreuung um mehr als drei Millionen Euro erhöht worden. Er schätze das Engagement des Landkreises. „Der Landrat ist seit einigen Monaten hinterher, um Unterbringungsmöglichkeiten in den Städten zu finden“, so Andreas Schwarz.

Durch zahlreiche kriegerische Konflikte und die daraus resultierende Zunahme von Asylbewerbern in Deutschland und Europa, habe das Thema wieder an Bedeutung zugenommen, sagte Ministerialdirektor Professor Dr. Wolf-Dietrich Hammann. Basierend auf der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 sei es in Deutschland selbstverständlich, dass jeder politisch Verfolgte Asyl bekommen soll. „Armut ist kein Motiv, dass von vorneherein verteufelt werden muss“, hob Hammann hervor. Erst vor gut 100 Jahren seien beispielsweise auch Menschen aus Baden in andere Länder geflüchtet, um eine bessere Lebensgrundlage zu bekommen. Er bezeichnete es als große Herausforderung für die Kommunen und Landkreise, für sämtliche Flüchtlinge eine Bleibe zu finden. „Dabei handelt es sich nicht um ein deutsches, sondern um ein europäisches Problem, auch was die Verteilung angeht“, sagte Hammann. „Nur weil wir uns anstrengen müssen, dürfen wir die Standards für die vorläufige Unterbringung nicht absenken“, unterstrich der Ministerialdirektor im Ministerium für Integration. So sei die Anhebung der durchschnittlichen Wohn- und Schlaffläche von 4,5 auf sieben Quadratmeter pro Asylbewerber kein Luxus. „Bayern hat das schon länger.“

Festgeschrieben in dem neuen Landesgesetz ist auch eine angemessene Flüchtlingssozialarbeit. „Die Menschen sind häufig traumatisiert und brauchen Unterstützung.“ Die Landkreise könnten entscheiden, ob sie die Aufgabe selbst übernehmen oder sie vergeben. „Wir wollen weg von Gemeinschaftsunterkünften hin zu dezentralen Lösungen“, so Hammann weiter. Und: „Die meisten Flüchtlinge wollen arbeiten.“ Das zu erleichtern, wäre auch vorteilhaft für die Akzeptanz in der Bevölkerung. Für die Zeit der vorläufigen Unterbringung habe sich der Landtag für eine Pauschale entschieden. Eine Arbeitsgruppe, unter anderem aus Vertretern des Landesrechnungshofs, von Kommunen, Landkreisen und des Integrationsministeriums, werde sich mit der vielfach diskutierten Frage auseinandersetzen, ob es richtig ist, allen Landkreisen den gleichen Satz zu geben.

„Die Flüchtlingsthematik ist in der Tat eine große Herausforderung und ein Thema, das uns dauerhaft beschäftigen wird“, bekräftigte Landrat Heinz Eininger. Beim Werben um Akzeptanz stoße man „draußen“ nicht immer auf Verständnis. „Sobald bekannt wird, dass eine Unterkunft für Flüchtlinge eingerichtet wird, regt sich Widerstand. Da steckt erheblicher Sprengstoff drin.“ Die vom Land im neuen Gesetz favorisierte dezent­rale Unterbringung erhöhe den Aufwand der Betreuung beträchtlich und entspreche nicht unbedingt den Bedürfnissen der Asylbewerber, so der Kreisverwaltungschef. Für die hohe Zahl an Flüchtlingen sei es nicht immer möglich, schnell Quartiere zu finden. „Mitunter bleibt uns nur die Wahl zwischen Turnhalle und Baucontainer.“

Wie Eininger erläuterte, hat der Landkreis bereits auf Geldleistungen umgestellt. Der Austausch mit den Arbeitskreisen Asyl müsse besser werden. Ein Anfang sei mit der Einrichtung einer Koordinationsstelle gemacht. Eine große Aufgabe stelle die Schaffung von 900 zusätzlichen Plätzen in diesem Jahr dar. 350 sind bereits in trockenen Tüchern, für die übrigen 550 werde man „mobile Wohneinheiten“ brauchen. Dabei handle es sich nicht um Baucontainer, hob Eininger hervor. „Der Landkreis benötigt die Unterstützung von Kirchen, Kommunen und allen Institutionen, die sich berufen fühlen.“ Es brauche nicht nur die Landeserstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe, sondern Bezirksstellen, beispielsweise in Kasernen, als Puffer, so der Landrat. Ausgesetzt werden müsse zudem die Aufstockung auf sieben Quadratmeter pro Flüchtling bis 2016. Das lasse sich nicht in zwei Jahren übers Knie brechen. In Kirchheim beispielsweise würden sonst aus 280 Plätzen auf einen Schlag 140. Den Asylbewerbern ein Dach über dem Kopf zu geben, habe Priorität.

„Wir erwarten rückwirkend einen vollständigen Kostenausgleich“, so eine weitere Forderung des Landrats. Zudem müsse zügig entschieden werden, wer bleiben dürfe. Ein Viertel der Asylbewerber habe ein Gymnasium besucht, zehn Prozent davon eine Hochschule. Vielleicht bestehe die Möglichkeit, solchen Menschen schneller eine Lebenschance zu eröffnen. „Die Politik muss darüber nachdenken, ob das heutige Flüchtlingsrecht noch zeitgemäß ist“, so Eininger. Die vom Land propagierten Sprachkurse hält er zwar für wichtig, vermisst allerdings die Mittel dafür. Für 90 Euro sei kein professioneller Kurs zu bekommen. „Wir haben eher das Gefühl, dass man uns ignoriert, als dass uns geholfen wird“, monierte Eininger abschließend.

Filderstadts Bürgermeister Reinhard Molt berichtete von vielen positiven Signalen in Bernhausen und Sielmingen. In insgesamt drei Gebäuden sind Flüchtlinge dort vorläufig untergebracht. „Es gab ein Entgegenkommen insbesondere der jeweils umliegenden Schulen.“ Wichtig sei ein aktives Zugehen der Stadt auf die Nachbarschaft und das Angebot, dauerhaft im Gespräch zu bleiben. Gelebt werde in Filderstadt eine Willkommenskultur. „Wir wollen Zeichen setzen.“ So gab es zu Beginn der Belegung des Hauses in Sielmingen einen Empfang, bei dem die Flüchtlinge unter anderem mit Obst und Stadtplänen versorgt wurden.

Die Situation aus Sicht der Arbeitskreise Asyl im Landkreis Esslingen schilderte Ragini Wahl. Die Behörden hätten inzwischen begriffen, dass es ohne Ehrenamt nicht geht. Sie kritisierte jedoch, dass die Arbeitskreise zunehmend Arbeiten erledigten, die eigentlich Aufgabe des Staates seien. Die Ehrenamtlichen verstünden sich ein Stück weit auch als Wächter für Flüchtlinge, die keine Lobby hätten. „Die Asylbewerber sollten spätestens in den Kommunen einen Rahmen bekommen, damit Ruhe einkehrt“, forderte die Sprecherin. Häufig kämen die Flüchtlinge aus zerrütteten Staaten und hätten lange Fluchtwege hinter sich. „Der soziale Frieden wird davon abhängen, wie gut die Flüchtlinge vor Ort begleitet sind“, prognostizierte Ragini Wahl.

Die Esslinger Landtagsabgeordnete der Grünen, Andrea Lindlohr, betonte, das neue Flüchtlingsaufnahmegesetz habe auch einen egoistischen Grund: „Es soll ein gutes Zusammenleben ermöglichen. Das ist auch viel besser für die Bevölkerung, die bereits hier wohnt.“ Angestrebt werde ein Dialog mit den Landkreisen und Kommunen. „Würden wir die Situation von Flüchtlingen nicht verbessern, bekämen wir genauso Druck“, so ein weiteres Argument Andrea Lindlohrs.

Fakten zur vorläufigen Unterbringung von Flüchtlingen im Kreis

Derzeit sind 962 Asylbewerber aus 32 Ländern im Landkreis Esslingen untergebracht. Davon stammen 130 Flüchtlinge aus Pakistan, 125 aus Afghanistan und 225 aus dem westlichen Balkan. Monatlich kommen nach aktuellem Stand jeweils rund 70 dazu. Insgesamt verfügt der Landkreis momentan über 1 058 Plätze in 15 Städten beziehungsweise Kommunen. Ende 2014 werden voraussichtlich 1 900 Asylbewerber im Landkreis sein. Ende 2012 waren es nur rund 500. Für die vorläufige Unterbringung der Flüchtlinge legt der Landkreis zu den Geldern des Landes 2,3 Millionen Euro aus kommunalen Mitteln drauf. Pro Asylbewerber bekommt der Landkreis derzeit 12 270 Euro als Pauschale.ank