Der Endspurt läuft, schließlich soll am morgigen Sonntag die Kirchheimer Martinskirche feierlich eröffnet werden. Damit endet ein umfangreicher Renovierungsreigen, der mit der Sanierung des Dachs begann, über die Außenfassade weiterging und nun mit einer großen Umgestaltung des Kirchenschiffs seine Vollendung findet. Ende Oktober 2022 waren die Türen für die umfangreichen Arbeiten geschlossen worden.
Es ist die alte ehrwürdige Kirche geblieben, aber ein Aha-Effekt bleibt nicht aus, wer den Innenraum nach dieser langen Zeit wieder betritt. Er ist hell und licht, was nicht nur an der Beleuchtung liegt. Wenige Bänke im hinteren Teil sind erhalten geblieben. Es sind noch die Alten, allerdings heller gestrichen und anders angeordnet – es gibt wieder einen Mittelgang. Im vorderen Teil dominieren die Stühle, die mehr Flexibilität für die unterschiedlichen Gottesdienste bringen.
Die Orgel hat optisch einen neuen Auftritt hingelegt. Das Orgel-Rückpositiv kommt dank der Glasbrüstung jetzt erst voll zur Geltung. Das neue „Geländer“ war notwendig geworden, weil die Abstände der alten Brüstung der Elemente zu groß war. „Ein toller Nebeneffekt der Glasbrüstung: Die Chorfenster spiegeln sich darin“, sagt Günther Frey, Kirchengemeinderat und Architekt.
Er kennt zwischenzeitlich jeden noch so versteckten Winkel und die Kostbarkeiten in der Kirche und kommt aus dem Schwärmen über die Schätze nicht mehr heraus. Weil im hinteren Teil unter der Orgelempore das Foyer mit behindertengerechter Toilette, Teeküche und Abstellraum untergebracht ist – durch eine Glaswand mit drei Türen vom großen Kirchenraum abgetrennt – waren ein paar Epitaphe im Weg. „Wir haben dann für eine Familienzusammenführung gesorgt. Hans von Remchingen, Obervogt in Kirchheim und 1576 gestorben, kam wieder in den Chor zu seiner Frau Anna von Remchingen“, verrät Günther Frey. Während der Renovierungsarbeiten wurde auch das Geheimnis um die genaue Lage der Gruft von Franziska von Hohenheim, zweite Ehefrau von Herzog Carl Eugen von Württemberg und 1811 in Kirchheim gestorben, gelüftet. Sie liegt in gerader Linie von Altar zu den Chorfenstern – also nicht unter der Gedenkplatte. Als die ????? von Widerholt von ihrem hohen Platz an der Chorwand heruntergeholt wurden, entdeckte Günther Frey ein weiteres Detail für sich: „Die beiden Engel tragen ganz tolle Schuhe, die Schuhmode Anfang des 18. Jahrhunderts ist damit dokumentiert.“ Auf Augenhöhe wurde auch deutlich, dass die Engel sehr lange Gesichter haben, die Proportionen aber stimmen, wenn man sie von ihrer hohen Position auf die Menschen herabschauen.
Steinmetzzeichen von der Werkstatt von Aberlin Jörg, der Ende des 15. Jahrhunderts starb, wurden entdeckt. Er gilt als bedeutendster Baumeister des spätgotischen Kirchenbaus im Südwesten. Als das Chorgestühl abmontiert wurde, kam rot verfärbter Sandstein zum Vorschein. „Dort muss es beim Stadtbrand ein starkes Feuer gegeben haben, etwa wenn Mobiliar verbrennt“, sagt Günther Frey und zeigt auf die „wunderschöne gotische Tür“ aus der Bebauungszeit um 1453, die dank Eisenbeschlag als Brandschutztür funktionierte und noch im Original vorhanden ist. Sie führt vom Chor in die angebaute Kapelle, einstmals Sakristei, die nun als „Raum der Stille“ eingerichtet wurde. Dort finden sich weitere alte Schätze. „Der Raum wurde als Rumpelkammer genutzt. Hier befinden sich gotische Kostbarkeiten wie das Gemälde von Mose mit den Gesetzestafeln, das mit zu den ältesten Bildern in der Martinskirche gehört“, erzählt Günther Frey. Moses wird darauf wie der gehörnte Moses dargestellt. „Die verdankt er sich wegen einer falschen Übersetzung. Das hebräische Wort für strahlend wurde im Lateinischen zu gehörnt“, erklärt der Kirchengemeinderat.
Auch sonst gibt es noch Einiges in der neu gestalteten Martinskirche zu entdecken. Zudem können die Besucher morgen auf den Turm steigen. Der ist allerdings nur noch von außen an der Nordseite zugänglich, auch dies ist die Folge des neu entstandenen Foyers.
INFO
Am morgigen Sonntag wird die Martinskirche um 10.30 Uhr in einem Festgottesdienst für alle Generationen mit viel Musik eröffnet. Sie kann mit ihren neuen Möglichkeiten erlebt werden – als Heimatort des Glaubens und als Raum gemeinsamen Lebens. Nach dem Gottesdienst gibt es einen Imbiss und Getränke. Für Jung und Alt gibt es ein Such-Quiz zur Martinskirche und für Kinder auf dem Martinskirch-Platz die Hüpfkirche, weshalb dort nicht geparkt werden kann. Eine Führung informiert über die Innenrenovierung die jüngsten Ausgrabungen. Auch der Martinskirchturm kann bestiegen werden. Um 18.30 Uhr gibt es das Abendkonzert „Evensong“ mit verschiedener Chormusik unter Leitung von Bezirkskantor Ralf Sach.