Lokales

Auf der Suche nach Gerechtigkeit

Via Erschließungsrecht können Bürger überraschend zur Kasse gebeten werden

Wer sein Häusle abbezahlt hat, ist normalerweise auf der sicheren Seite: Außer Renovierungskosten sind keine größeren Ausgaben einzuplanen. – Es sei denn, man wohnt an einer der rund drei Dutzend Straßen in Kirchheim, für die noch „Erschließungskosten“ anfallen können. Unter Umständen bedeutet dies eine satte fünfstellige Summe für Hausbesitzer.

Die Christofstraße am Ziegelwasen gehört zu jenen Straßen in Kirchheim, die noch nie dem Bebauungsplan entsprechend hergestellt
Die Christofstraße am Ziegelwasen gehört zu jenen Straßen in Kirchheim, die noch nie dem Bebauungsplan entsprechend hergestellt wurden. Rollen die Bagger an, bedeutet dies Kosten für die Anlieger.Foto: Deniz Calagan

Kirchheim. Es war nicht das erste Mal, dass sich der Technische Ausschuss im Kirchheimer Gemeinderat mit dem komplizierten Erschließungsbeitragsrecht befasste. Bürgermeister Günter Riemer bezeichnete das Recht als „sehr umfangreich“, von vielen Prozessen begleitet und voller Dynamik. Die Lindachallee hatte im Dezember den Wunsch nach Darstellung aller Straßen in Kirchheim ausgelöst, die im Falle eines Ausbaus noch Erschließungsbeiträge nach sich ziehen könnten. Mittlerweile liegt diese Liste vor, allerdings derzeit ohne die Teilorte Nabern und Jesingen.

Kirchheims Bauverwaltungsamtsleiterin Christine Ulmer hat mit ihren Mitarbeitern für die Auflistung auf die Unterlagen der Verwaltung zurückgegriffen – nicht ausgeschlossen also, dass zusätzliche Dokumente auftauchen, die zu einer anderen Einschätzung führen oder aber eine Änderung der Rechtslage eintritt. Bürgermeister Günter Riemer riet zu Gelassenheit: In den meisten der Straßen sind ohnehin in naher Zukunft keine Baumaßnahmen geplant.

In jenen Straßen dagegen, in denen in Kürze die Bagger anrollen sollen, werden die Anwohner mit etwa einem Jahr Vorlauf informiert. Schließlich kann auf Einzelne ein üppiger fünfstelliger Betrag zukommen, je nach Grundstücksgröße. 95 Prozent der Straßenherstellungskosten werden nämlich laut Kommunalabgabengesetz umgelegt. Jede Straße kann in Baden-Württemberg nur einmal per Erschließungsbeitragssatzung umgelegt werden. Dass es hier keine Ausnahmen geben darf, bezeichnete Günter Riemer nicht zuletzt als Frage der Gerechtigkeit. In Neubaugebieten werden die Erschließungskosten gleich beim Bauplatzkauf berappt.

In alten Wohngebieten ist die Lage schwieriger. Am einfachsten stellt sie sich dar, wenn eine Straße noch niemals dem Bebauungsplan entsprechend hergestellt wurde. Dann fallen auf jeden Fall Gebühren an. Als Beispiele nannte Christine Ulmer „Auf dem Berg“ in Ötlingen, die Christof–straße oder den Haarletweg.

Verwirrungen gibt es oft um sogenannte „historisch vorhandene Straßen“, die vor dem Jahr 1873 mit Wohnbebauung angelegt wurden. Laut der Baufachfrau bestand beispielsweise die Notzinger Straße damals bereits, allerdings ohne Häuser. Fazit des Amtes: Erschließungsbeiträge werden bei Baumaßnahmen für die Anlieger fällig.

Schließlich gibt es noch „vorhandene Straßen“, die zwar gebaut wurden, aber den Nachweis schuldig bleiben, ob sie jemals Beiträge ausgelöst haben. Das gelte beispielsweise für die Armbruststraße oder die Kiefernstraße. – Alles natürlich auf der Basis der aktuell vorliegenden Unterlagen und der derzeitigen Rechtslage.

In der Diskussion kristallisierte sich schnell ein Problem heraus: Käufer älterer Häuser sind oft nicht darüber im Bilde, dass in ihrer Straße noch Erschließungsbeiträge anfallen können. Die Informationslücke zu stopfen, scheint schwierig zu sein. Für detaillierte Auskünfte bedarf es einer Vollmacht des Eigentümers, wie Christine Ulmer betonte. Günter Riemer kündigte an, Grundstücksmakler künftig verschärft auf die Situation aufmerksam zu machen, um die Chance zu erhöhen, dass Käufer alle Informationen erhalten. Dennoch wird das Erschließungsbeitragsrecht in den einzelnen konkreten Fällen ganz gewiss noch Ärger in Kirchheim nach sich ziehen.