Lokales

Bio-Backstube am Biosphärengebiet

Scholderbeck setzt im Gewerbegebiet Tobelwasen auf gläserne Produktion und Infopfad

Das Backen kleinerer Brötchen war noch nie die Sache von Bernd Sigel und seiner Frau Eve. Die Besitzer der Weilheimer Bio-Bäckerei Scholderbeck beweisen erneut Mut zum großen Wurf: Die Backstube zieht im Herbst vom Scholderplatz ins Gewerbegebiet Tobelwasen und geht auf Tuchfühlung mit dem Biosphärengebiet.

Bernd Sigel, Landrat Heinz Eininger, Eve Neubold-Sigel und Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle (von li.) begrüßten beim gestr
Bernd Sigel, Landrat Heinz Eininger, Eve Neubold-Sigel und Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle (von li.) begrüßten beim gestrigen Baggerbiss für die neue Backstube der Bäckerei Scholderbeck, dass in Weilheim zahlreiche Arbeitsplätze erhalten bleiben.Foto: Jean-Luc Jacques

Weilheim. Auf einem 4 000 Quadratmeter großen Grundstück entsteht eine neue „Backstube“ mit einer Grundfläche von 1 200 Quadratmetern. „Wir grenzen direkt ans Biosphärengebiet“, freut sich Eve Neubold-Sigel über die Lage des künftigen Herzstücks des Familienbetriebs. Radler, die auf dem Weg zwischen Weilheim und Aichelberg unterwegs sind, können künftig einen Abstecher nicht nur zu der gläsernen Backstube machen, sondern auch einen Infopfad im Außenbereich des neuen Gebäudes besuchen. Unter dem Motto „vom Korn zum Brot“ werden die Abläufe im Innern erklärt. Konzipiert von Plenum, greifen Infotafeln zudem das Thema Streuobst auf. „Der Pfad ist auch geeignet für Schulen und Kindergärten“, betont Bernd Sigel, der den Familienbetrieb mit seiner Frau führt und es sich unter anderem zur Maxime gemacht hat, ausschließlich biologisch erzeugtes Getreide aus der Region zu verarbeiten und den CO2-Ausstoß durch kurze Wege zu minimieren.

Der 60 auf 20 Meter lange, von Architekt Frank Göbel geplante Baukörper soll künftig optimale Arbeitsabläufe garantieren. „Wir haben das Gebäude bewusst von innen nach außen konzipiert“, so Eve Neubold-Sigel. Vom Getreidelager über die Teigzubereitung und -verarbeitung, einen Kühlblock, einen Bereich für die Konditorei und den Versand ist der künftige Betrieb bis ins Detail ausgeklügelt. Wärmerückgewinnung macht eine Heizung überflüssig. Während die Produktion ebenerdig unter einem Pultdach vonstatten geht, erstreckt sich das Gebäude in anderen Bereichen über zwei Stockwerke. Über einen Aufzug erreichbar, werden in der oberen Etage neben der Verwaltung und den Sozialräumen ein Seminarraum unter anderem für Teamsitzungen oder Besuchergruppen sowie eine Terrasse untergebracht. Eigene Produkte und Erzeugnisse aus dem Biosphärengebiet dürfen an Besucher verkauft werden. „Wir wollen ein ganzheitliches System“, hebt Bernd Sigel hervor. „Dazu gehört auch, für die Mitarbeiter gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wir haben super Produkte, aber eine Werkstatt, die nicht mehr dazu passt. Unsere Intention mit dem Neubau ist nicht, zu wachsen, sondern das Chaos zu ordnen“, betont der Bäckermeister.

Welch logistische Herausforderung die Mitarbeiter am angestammten Standort am Scholderplatz Tag für Tag meistern, wird klar beim Gang durch das labyrinthartige Gebäude mit Ursprüngen aus dem Jahr 1760. Einst beherbergte das mehrstöckige Haus neben einer Bäckerei auch eine Gaststätte. „Hier wurde immer wieder angebaut“, erläutert Eve Neubold-Sigel. Doch platzt der Bio-Bäcker inzwischen aus allen Nähten. „Weil die Decken zu niedrig sind, ist es hier aufgrund der Backöfen im Sommer manchmal bis zu 50 Grad heiß“, sagt die Chefin. Wo gerade Hunderte von Brezeln geschlungen werden, müssen die Bäcker später Brötchen formen. Ökonomische „Backlinien“ aufzubauen ist in den beengten Räumen ein Ding der Unmöglichkeit. Improvisationstalent ist auch beim Beladen der Lastwagen gefragt, die die Brote, Brötchen, Kuchen und Torten in Filialen, Biosupermärkte und Naturkostläden bringen. „Wir haben 60 Abladestellen. Sie können sich nicht vorstellen, wie turbulent es hier frühmorgens zugeht, wenn sich die Versandleute durch einen riesigen Berg an Backwaren wühlen“, so Eve Neubold-Sigel.

Umbau oder Neubau, lautete schließlich die Gretchenfrage, die sich die beiden Weilheimer bereits vor Jahren stellten. Nach gründlichem Abwägen von Für und Wider neigte sich die Waagschale eindeutig zugunsten eines neuen Domizils. Läuft alles nach Plan, wird bereits im Oktober in Tuchfühlung zu den Streuobstwiesen duftender Apfelkuchen die Backstube im Weilheimer Industriegebiet Tobelwasen verlassen. Nur drei Kilometer von der A 8 gelegen, soll die Bäckerei auch als eine Art Scharnier zwischen dem Ballungsraum Stuttgart und dem Biosphärengebiet fungieren.

„Wir hatten nie vor, so groß zu werden“, versichert Bernd Sigel, der 1993 die Bäckerei von seinem Vater übernahm und den Betrieb nach und nach auf sortenreine Backwaren aus dem Korn von Bioland- beziehungsweise Demeter-Landwirten aus der Umgebung umstellte. „Naturkostläden und Reformhäuser sind auf uns aufmerksam geworden. Das Ganze hat mit der Zeit einfach eine Eigendynamik entwickelt.“ Jetzt gehe es in erster Linie darum, den Warenfluss zu optimieren. Dazu gehört, in Weilheim die Backstube zu zentralisieren. Bislang wird auch in der Filiale an der Kirchheimer Marktstraße sowie im Backhaus an der Dreikönigstraße gebacken. Bernd Sigel denkt bereits einen Schritt weiter: „In den nächsten Jahren werden wir die Konzepte an diesen beiden Standorten überarbeiten.“

Beim gestrigen Baggerbiss im Industriegebiet Tobelwasen strahlte die Frühlingssonne mit den Gästen, darunter große Teile der Belegschaft, um die Wette. „Ordentliches Bäckerhandwerk trifft auf innovative Firma“, so markierte Weilheims Bürgermeister Johannes Züfle die Eckpfeiler von Scholderbeck. Ob Kirschblütentag, Stadtmarketing oder Käsemarkt – der „Vorzeigebetrieb“ sei stets mit von der Partie. Auch begrüßte Züfle, dass das vom Entwicklungsprogramm ländlicher Raum bezuschusste Projekt Arbeitsplätze in der Stadt sichere und eventuell sogar neue schaffe.

„Unsere Modellregion wird nur so gut sein, wie die Menschen und Betriebe, die sie unterstützen“, sagte Petra Bernert, Leiterin des Biosphärengebiets Schwäbische Alb. Das Verdienst der Firma Scholderbeck sei unter anderem, die alten Getreidesorten Dinkel und Emmer wieder ins Bewusstsein gerückt zu haben. Sie wünschte dem Betrieb viel Glück bei seiner Bewerbung, offizieller Partnerbetrieb des Biosphärengebiets zu werden.

Landrat Heinz Eininger lobte die Bereitschaft von Scholderbeck, neue Wege zu beschreiten. „Sie haben sich verpflichtet, Ökologie und Ökonomie zueinanderzubringen.“ Auch stehe die Bäckerei dafür, behinderte Menschen zu beschäftigen und Ausbildungsplätze anzubieten. Der Betrieb leiste einen immensen Beitrag zur Pflege der Kulturlandschaft. „Durch Sie bekommt das Lebensmittel Brot einen Stellenwert, auf den wir uns zurückbesinnen müssen“, so Heinz Eininger.

Zahlen, Daten und Fakten

1993 übernahm Bernd Sigel die Weilheimer Bäckerei Scholderbeck von seinem Vater. Der Betrieb hatte damals zehn Mitarbeiter. Inzwischen gibt es in Weilheim, Kirchheim, Ohmden und Dettingen inklusive dem Kirchheimer Backhaus sieben Verkaufsstellen. Darüber hinaus beliefert die Bäckerei knapp 50 Bio-Supermärkte sowie Naturkostläden zwischen Stuttgart und Ulm und beschäftigt rund 120 Mitarbeiter. Als die größte Bio-Bäckerei in Baden-Württemberg verarbeitet Scholderbeck 800 Tonnen Mehl und Getreide, das auf einer Fläche von umgerechnet 900 Fußballfeldern angebaut wird. Scholderbeck setzt zu 100 Prozent auf Getreide von Bioland-Bauern aus der Region zwischen Neckartal und Schwäbischer Alb, das Backhaus an der Kirchheimer Dreikönigstraße verarbeitet zu 100 Prozent Mehl von Demeter-Landwirten, deren Anbauflächen überwiegend im Biosphärengebiet liegen. Die Bäckerei wurde mehrfach prämiert, ist Ausbildungspartner der Weilheimer Werkrealschule Wühle und seit fünf Jahren ein Ökoprofit-Betrieb. Bernd Sigel war 2001 Gründungsmitglied von „Schmeck die Teck – Verein zur Förderung der regionalen Vermarktung“ der aus einer Initiative der Lokalen Agenda 21 in Kirchheim hervorgegangen ist. Die Mitglieder haben sich unter anderem auf die Fahnen geschrieben, die Kulturlandschaft um die Teck zu erhalten, indem sie den Verbrauchern hochwertige Produkte aus der Region schmackhaft machen. Auch das Streuobstparadies soll mit Bernd Sigels Unterstützung aus der Taufe gehoben werden.ank