Lokales

Das alte Rathaus wird Geschichte

Kirchheimer Gemeinderat beschließt Neubau der Verwaltungsstelle in Jesingen

Jetzt ist es offiziell: Das alte Jesinger Rathaus wird abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Die Debatte im Kirchheimer Gemeinderat wurde von allen Seiten engagiert geführt. Manche Redner stellten sogar grundsätzlich infrage, dass es in dem Kirchheimer Teilort überhaupt noch ein Rathaus braucht.

Rathaus Jesingen
Rathaus Jesingen

Andreas Volz

Kirchheim. Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Hei­decker sprach von einer „sehr lan- ­­gen, aber nicht unendlichen Ge- ­schichte“. Schon seit den 90er-Jahren werde das Thema in Kirchheim beraten. Untersuchungen und Gutachten lassen sich längst nicht mehr an einer Hand abzählen und wurden beinahe jährlich neu angestellt und eingeholt. Die Empfehlungen lauteten immer in etwa gleich: Es sei besser und vor allem günstiger, das Gebäude, das nicht unter Denkmalschutz steht, abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen, statt es zu sanieren und damit zu erhalten.

Jesingens Ortsvorsteher Christopher Grampes kam anhand aktueller Zahlen auf dasselbe Ergebnis: Wie schon beim Bürgerinformationsabend vor gut zwei Wochen, legte er nun auch im Gemeinderat dar, dass ein Neubau mit Baukosten von 1,66 Millionen Euro um 600 000 Euro unterhalb der Kosten für eine Sanierung läge. Abzüglich der möglichen Zuschüsse über die Ortskernsanierung blieben der Stadt Kirchheim noch „Netto“-Kosten von 1,36 Millionen Euro für den Neubau übrig, was immer noch um 360 000 Euro unter den zuschussbereinigten Sanierungskosten liegt. Ähnliche Verhältnisse gelten auch bei den jährlichen Folgekosten – also Abschreibungen und Betriebskosten: Beim sanierten Rathaus belaufen sich diese auf 118 000 Euro, beim Neubau auf 89 000 Euro. Letzteres liegt unter anderem daran, dass der Neubau kleiner ausfallen soll als das bisherige Gebäude.

Vehement machte sich Andreas Banzhaf (Freie Wähler) für den Erhalt des Rathauses stark: „Ein 437 Jahre altes Gebäude abzureißen, fällt mir schwer.“ Er zweifelte die Zahlen an, die nun den Ausschlag für den Neubau gaben. Vor allem die knapp 30 000 Euro Differenz zwischen den beiden Varianten beim jährlichen Unterhalt wollte er so nicht stehen lassen. Für ihn gibt es lediglich eine Differenz von 75 Cent pro Quadratmeter für die reinen Betriebskosten. Was nach seiner Ansicht außerdem für den Erhalt des alten Gebäudes spricht, ist die Tatsache, dass es immer noch steht, obwohl es schon vor 20 Jahren als baufällig eingestuft worden sei.

Hans Gregor (SPD) sprach ebenfalls Klartext, allerdings gegen das alte Rathaus: „Das Haus ist leider am Ende. Da helfen auch keine Krokodilstränen und Verschwörungsszenarien.“ Gutachter und Fachleute infrage zu stellen, sei nicht in Ordnung. – Beim Neubau legt Hans Gregor den­noch Wert auf die Ensemblewirkung mit Kirche, Kelter und Pfarrhaus: „Der Entwurf muss zu diesem Ensemble passen und eher dörflichen als städtischen Charakter haben.“

Klaus Buck (CDU) sprach die emotionale Bindung der Jesinger an das alte Rathaus an, fügte aber hinzu: „Diese Bindung hat eine nachwachsende Generation so nicht. Außerdem kann sie die Bindung auch zu einem Neubau finden.“ Gerade im Hinblick auf nachfolgende Generationen führte Klaus Buck auch den Kostenfaktor ins Feld: „Unter dem Stichwort ,Nachhaltigkeit‘ spricht das für einen Neubau, der sich innerhalb von 40 Jahren allein schon durch die Einsparung an jährlichen Kosten finanziert.“

Karl-Heinz Schöllkopf (Grüne)stellte zunächst fest, dass auch seine Fraktion mehrheitlich dem Neubau zustimmen werde. Dann aber wollte er noch „persönliche Äußerungen“ loswerden: „Die Bau- und Unterhaltskosten pro Quadratmeter sind auch beim Neubau immens. Das kann kein Modell für die Zukunft sein.“ Was er sage, sei nicht gegen Jesingen gerichtet, „aber als Aufsichtsrat des Unternehmens Kirchheim kann ich einer solchen Verwendung von Steuergeldern nicht zustimmen“. Beim Neubau handle es sich nur um „ein paar Büroquadratmeter mit einem Saal im Dach“. Dazu komme ein großes Treppenhaus nebst einem großen Aufzug. Karl-Heinz Schöllkopf zog dazu ein deutliches Fazit: „Das ist für so ein kleines Gebäude unwirtschaftlich. Das Geld fehlt uns dann woanders.“ Außerdem stellte er fest: „Eine Ortschaftsverwaltung ist kein Rathaus.“

Birgit Müller (Frauenliste) stellte ebenfalls die Notwendigkeit eines neuen Rathauses als Gebäude für die Ortschaftsverwaltung infrage. Wenn es denn schon sein müsse, dann solle es wenigstens der Neubau sein, der günstiger sei und sich an der heutigen Nutzung orientieren könne.

Bernhard Most, der Vorsitzende der FDP/KiBü-Fraktion im Gemeinderat, fand ebenfalls deutliche Worte. Zwei „Ärgernisse“ sprach er an. Das eine: „Wir müssen wegen einer alten Eingliederungsvereinbarung ein unwirtschaftliches Gebäude erstellen. Heute spielt die Musik doch längst in Kirchheim, und in Jesingen wird eben noch mitverwaltet.“ Das zweite Ärgernis: der Zeitdruck. „Da gibt es viele Gutachten, seit vielen Jahren, und jetzt müssen wir trotzdem in kürzester Zeit bauen.“ Bei einer Sanierung scheut Bernhard Most das schlecht kalkulierbare Kostenrisiko, wobei er mit Blick auf die Gießnauhalle, die er als „Debakel in Nabern“ bezeichnete, auch bei Neubauten von unkalkulierbaren Risiken ausgehen müsse.

Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heide­cker nahm anschließend Stellung zu einzelnen Punkten der Debatte: Der aktuelle Zeitdruck wegen des auslaufenden Sanierungsprogramms hänge auch mit dem Wechsel des Ortsvorstehers zusammen, der für Verzögerungen beim Rathaus-Projekt gesorgt habe, und mit dem Wunsch des Ortschaftsrats nach Bürgerbeteiligung. Zur Frage, ob es überhaupt noch eine Ortschaftsverwaltung braucht, sagte sie: „Ich bin davon überzeugt, dass wir dauerhaft Ortschaftsräte brauchen. Sie bringen Rückmeldungen aus der Ortschaft in den Gemeinderat.“

Bürgermeister Günter Riemer ging noch einmal auf die Gutachten ein: „Es gibt keinen Grund, an den Untersuchungen zu zweifeln. Da wurde immer solide gearbeitet.“ Und weitere Fördermittel, die ebenfalls angesprochen worden waren, gebe es auch keine: „Parallelförderungen sind nicht möglich. Fördergelder kommen immer aus einem Topf.“

Trotz hitziger Debatte fiel die Abstimmung deutlich zugunsten des Neubaus aus – bei drei Gegenstimmen und sechs Enthaltungen. Der Gemeinderat folgte damit dem Ortschaftsrat, der sich mit acht zu vier Stimmen für den Neubau ausgesprochen hatte. Gebaut wird nun – wenn alles nach Plan läuft – von November 2014 bis Dezember 2015. Ende 2015 läuft bereits das Förderprogramm aus.

Mutige Worte trotz Wahlen

Zwar muss nicht jeder die Meinung der Redner teilen, die im Kirchheimer Gemeinderat die Existenzberechtigung der Ortschaftsverwaltungen samt Ortsvorstehern und Ortschaftsräten anzweifelten. Gerade die Bewohner der Kirchheimer Teilorte sollen und dürfen weiter an ihren Errungenschaften der Selbstverwaltung festhalten. Aber darüber nachzudenken, ob diese Strukturen im Zeitalter des globalen Dorfs noch ihren Sinn haben, muss durchaus erlaubt sein. Das Nachdenken muss ja noch lange nicht – und vor allem nicht sofort – zur Abschaffung der Ortschaftsverwaltungen führen.

Zu einem Aufschrei wird es dennoch kommen, wenn Gemeinderatsmitglieder ganz unterschiedlicher Fraktionen in öffentlicher Sitzung feststellen, dass es sich bei gewissen Modellen auch um alte Zöpfe handeln könnte und dass sich diese alten Zöpfe vielleicht einmal abschneiden ließen. Da kommen in den Ortsteilen Ängste hoch: weil eine neue Dimension der Bevormundung durch die Stadtverwaltung befürchtet wird und weil es wichtig zu sein scheint, an jeder erhalten gebliebenen Form der Eigenständigkeit festzuhalten wie ein kleines, fiktives Gallier-Dorf im antiken Aremorica.

Umso mehr ist dem Mut derjenigen Stadträte Respekt zu zollen, die wenige Monate vor den nächsten Kommunalwahlen so deutliche Worte finden. Auch bei dem Versuch, Doppel- oder gar Mehrfachstrukturen abzuschaffen, geht es schließlich um Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit. Aber irgendjemandem vorhandene Pfründe, Privilegien und verbriefte Rechte streitig zu machen, ist eben schwierig. Und deshalb traut sich kaum einer, dermaßen heiße Eisen anzufassen. Im Zweifelsfall wird man ja vom Wähler abgestraft, oder muss das zumindest ernsthaft befürchten. Aus diesem Grund kommen Reformen auch nur noch schleppend voran.

Ein Hoch also auf Kommunalpolitiker, die Tabus wenigstens ansprechen – selbst wenn sie sich anschließend mit Bauchgrimmen doch für einen Neubau entscheiden mögen, den sie für unwirtschaftlich halten. Auch sonst würde man sich in der Politik mehr solcher Redner wünschen, die trotz  Wahlen mutige Worte finden.