Lokales

Den Überfluss verteilen

Eine Gruppe junger Leute rettet Lebensmittel vor der Mülltonne

Bei den kostenlosen Backwaren, die Raphael Bäker ihnen anbietet, greifen die Passanten auf dem Wochenmarkt gerne zu. Der Student
Bei den kostenlosen Backwaren, die Raphael Bäker ihnen anbietet, greifen die Passanten auf dem Wochenmarkt gerne zu. Der Student hat sie bei einer Bäckerei abgeholt, die sie sonst weggeworfen hätte. Foto: Barbara Scherer

Esslingen. „Wollen Sie ein paar kostenlose Backwaren mitnehmen?“, fragt Raphael Bäker Passanten am Rand des Esslinger Wochenmarkts. Der 23-Jährige hat aus einer Stuttgarter Bäckerei Brötchen mit und ohne

Barbara Scherer

Belag sowie süße Stückle abgeholt und bietet sie nun aus mehreren Kisten auf einer Sackkarre zum Mitnehmen an. Der Student der Ingenieurwissenschaften gehört zu einer Gruppe junger Leute, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Essen vor der Mülltonne zu retten und es an Menschen zu verteilen, die die Gaben gut gebrauchen können. Jetzt soll in Esslingen ein funktionierendes Verteilernetz mit geeigneten Räumen aufgebaut werden. Die Europäische Union hat 2014 zum Jahr gegen die Lebensmittelverschwendung ausgerufen. Zahlreiche Projekte zielen darauf ab, das Wegwerfen von Lebensmitteln einzudämmen. Daran arbeiten auch Lebensmittelretter wie die Esslinger Raphael Bäker und Lennart Schütz. „Wir wollen einfach, dass übrig gebliebene Lebensmittel noch verwendet werden“, erklärt Schütz. Seine Mitstreiter und er orientieren sich an Organisationen, die in einigen Großstädten schon tätig sind.

IT-Fachmann Schütz sammelt Essen ein, das ohne sein Zutun im Abfall landen würde. Im Gegensatz zu den Tafel-Läden dürfen die Food­retter das Essen nur verschenken und nicht verkaufen. Auf www.foodsharing.de wird eingestellt, was ergattert wurde. Auch Leute, die in Urlaub fahren wollen, aber noch einen vollen Kühlschrank haben, können über die Website mit potenziellen Interessenten für Eier, Brot und Äpfel, für Butter, Milch und Käse in Kontakt kommen.

Schütz bedient derzeit aber auch noch Adressen außerhalb der Website. Viele Lebensmittel gehen an das Berberdorf oder an ein Studentenwohnheim in Esslingen. Schütz bestückt auch regelmäßig einen Tisch im CVJM-Lutherbau, wo er auch wohnt, mit Essen. „Das wird gerne genommen“, erzählt er. „Dort wohnen Studenten, die froh sind, wenn sie ihren Speiseplan etwas aufpeppen können.“

Regelmäßig kommt Isolde Eisen­hardt zum Lutherbau. Sie freut sich an diesem Nachmittag über die belegten Brötchen und eine Portion frische Nudeln, die sie im Rucksack verstaut. Im Gegenzug hat sie selbst gebackene Kekse mitgebracht, zu anderen Gelegenheiten stellt sie ein Gläschen selbst gekochte Marmelade auf den Essenstisch. „Dieses Angebot ist für mich finanziell eine große Hilfe“, sagt Isolde Eisenhardt. „Zum anderen ist es ein sehr befriedigendes Gefühl, etwas gegen das sinnlose Wegwerfen zu tun.“

„Fairteiler“ nennen die Essensretter die Stationen, an denen Essen aufgehoben und weiterverteilt wird. Derzeit suchen sie dafür noch geeignete Räume in Esslingen, die möglichst zentral liegen und vielleicht sogar mit einem Kühlschrank ausgestattet sind. In anderen Städten finden die Foodretter solche Räume in Schulen, Universitäten oder Markthallen. Lennart Schütz und Raphael Bäker hoffen außerdem auf weitere Mitstreiter, die Lebensmittel abholen und verteilen, sowie auf Firmen, Gaststätten und Läden in Esslingen, die bereit sind, übrig gebliebene Lebensmittel abzugeben.

Bisher steht als Geber nur das Veganer-Restaurant Marpels in der Altstadt auf seiner Liste. Inhaberin Julia Holtz hat am Ende der Woche immer noch Reste vor den beiden Ruhetagen am Montag und Dienstag. Das kann rohes Gemüse sein, aber auch bereits fertig gekochte Gerichte. Die Agrarwissenschaftlerin mit Leidenschaft fürs Kochen mag den Gedanken der Weitergabe an andere Menschen: „Als Veganerin will ich natürlich nicht, dass das Essen in die Tiermast fließt“, betont sie.

Das Angebot aus Raphael Bäkers Karren auf dem Esslinger Wochenmarkt wird interessiert beäugt, wenngleich die Passanten unterschiedlich darauf reagieren. Ein Mann und eine Frau, die sich als Vegetarier vorstellen, greifen kräftig zu und kommen noch mal wieder, nachdem sie noch einige Tüten zum Transportieren organisiert haben. Andere Passanten lehnen dankend ab. „Das ist unhygienisch“, ist zu hören, oder „ich kann mir mein Essen selbst kaufen.“ Letzteres gilt zwar auch für Johannes Süss und Sarah Belusa. Trotzdem packen beide gerne ein paar belegte Brötchen ein und nehmen den Foodsharing-Flyer mit. „Es ist eine coole Sache, Essen weiterzugeben“, findet Süss. Lennart Schütz ist sich allerdings darüber im Klaren, „dass wir damit nur an einem Symptom he­rumdoktern“. Das eigentliche Problem sei die Überschussproduktion.

Unter www.foodsharing.de kann man sich registrieren lassen, wenn man etwas abzugeben hat und etwas benötigt. Unter www.lebensmittelretten.de kann man sich als aktiver Abholer und Verteiler eintragen lassen.