Lokales

Der Drohnentod kommt auch aus Deutschland

Journalist Christian Fuchs liest aus seinem Bestseller „Geheimer Krieg“

„Von deutschem Boden soll nie wieder ein Krieg ausgehen.“ Dies hat Altkanzler Willy Brandt immer wieder betont. In ihrem aktuellen Bestseller „Geheimer Krieg“ zeigen Christian Fuchs und John Goetz jedoch, dass Deutschland heute sehr wohl eine Rolle im Krieg der Amerikaner gegen den Terrorismus spielt. Die Erkenntnisse aus seinen Recherchen legte Fuchs im Gemeindehaus Sankt Ulrich dar.

Kirchheim. Streng geheime Abhöranlagen der NSA mitten in Deutschland, eine mehr als 1 500 Mann starke Kommandozentrale für den militärischen Einsatz der US-Army in Stuttgart, die täglich Entscheidungen über Angriffe auf Terrorzellen in Afrika trifft. Was Fuchs am Dienstagabend vor rund 30 Zuhörern berichtete, vermochte bisweilen jeden Spionagethriller zu toppen. Doch der freie Journalist und Autor, der für die Süddeutsche Zeitung und den NDR arbeitet, hat in mühsamer Recherche zusammen mit seinem Kollegen John ­Goetz eben das aufgedeckt: Mit Billigung der Bundesregierung führen die USA ihren Krieg gegen den Terror vor allem von Deutschland aus.

Nicht etwa die Enthüllungen von Edward Snowden waren es, die Fuchs und seinen Partner auf die Fährte der NSA-Aktivitäten in Deutschland brachte. Vielmehr verhalf ein Zufall den beiden Journalisten zu einer Story, die deutschlandweit Wellen schlug. Bei Online-Nachforschungen stießen sie bei den Kartendiensten von Google Maps und Blink auf sogenannte „Blank Spots“, verpixelte Stellen auf den Satellitenbildern. Neugierig machten sich die zwei Reporter auf die Suche und entdeckten schnell, dass es allein in Deutschland rund 30 solcher weißen Flecken gibt.

Eine davon ist der Dagger-Komplex nahe Darmstadt. Ein streng bewachter Militärstützpunkt mitten im Nirgendwo. Infrarotkameras, Stacheldraht, Bewegungsmelder. Als Fuchs und ein Team des NDR sich den Komplex ansehen und den Eingangsbereich von der öffentlichen Straße aus filmen, kriegen sie es mit der Polizei zu tun. „Innerhalb einer Stunde hatten die unsere Namen und Telefonnummern“, erzählte Fuchs.

Inzwischen weiß der Journalist, dass hier eine Unterabteilung der NSA ansässig ist oder zumindest war. Eine der Stellen, von der aus die Vereinigten Staaten alles an Informationen aus den digitalen Kommunikationswegen filtert, was sie auf die Spur von Al Qaida und anderen potenziellen Attentäter-Gruppen bringen könnte. Fuchs und Goetz haben es mit ihrem Team bei ihrer „Gegenspionage“ herausgefunden. „Auch die hoch geheimen Datensammler hinterlassen auf der digitalen Autobahn Bremsspuren“, sagte Fuchs. Gebäude und Anlagen müssen gebaut, Möbel bestellt, Ausschreibungen verfasst werden. Und auch neue Mitarbeiter haben die staatlichen Stellen der USA nach „9/11“ zu Hunderten gesucht. In Jobportalen wie „Lin­kedIn“ fanden Goetz und er unzählige Mitarbeiter-Profile, die mit ihrer Tätigkeit zum Beispiel als Analyst und ihrer hohen Sicherheitseinstufung als Referenz auf Jobsuche sind.

Stück für Stück setzten die beiden Autoren das Bild zusammen, wühlten sich durch Ausschreibungen und Anträge zum US-Staatshaushalt, entschlüsselten mithilfe von Informanten Buchstaben und Zahlencodes. In den Fokus rückte dabei sehr schnell das Africom, die Kommandozentrale des US-Militärs in den Kelly-Barracks. Seit 2008 sitzt das Hauptquartier für alle Einsätze in Stuttgart. Hier werden militärische Einsätze geplant und gelenkt. „Der saubere Teil des Krieges“, wie es Fuchs formulierte. Seiner Ansicht nach aber der wichtigste.

Hier werden Entscheidungen über Angriffsziele und Strategie sowie Gefährdungslagen analysiert. Gibt Washington das Okay, laufen hier die Drohnenoperationen gegen Terrorverdächtige an. Hier werde „geplant, gelenkt und zugeschlagen“, sagte

Fuchs. So wie beim Angriff auf den Terroristen Naban, den die Amerikaner verdächtigten, Drahtzieher der Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania und weiterer Bombenattentate zu sein. Nahe eines kleinen Dorfes in Somalia schlugen die Amerikaner zu und bombardierten den Konvoi. Weder eine Gerichtsverhandlung noch eine Anhörung gab es zuvor.

Meist setzen die Amerikaner Drohnen bei der Aufklärung wie auch bei den Exekutionen ein. Von einer ihrer Basen in Afrika steigen die unbemannten Flugapparate auf. Gesteuert werden sie von einem Piloten, der irgendwo in den Staaten hinter seinem Computer sitzt. Der komplexe Datenstrom der Drohnen aber läuft nicht direkt zu ihm, sondern wird aus Sicherheitsgründen via Air Base Ramstein gelenkt, wo die große Informationszentrale der Amerikaner sitze, so Fuchs. „Der Drohnentod kommt auch aus Deutschland“, stellte er fest.

Seit dem Beitrag im Magazin Panorama, einer folgenden Artikelserie und natürlich dem Buch sei gerade in dieser Frage bereits einiges in Bewegung geraten. So seien einige Menschenrechtsgruppen dabei, am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage gegen die deutsche Regierung vorzubereiten. Zudem ermittle der Generalbundesanwalt. Die Hauptstelle für Befragungswesen des BND, die der NSA zuarbeitete, wurde inzwischen geschlossen. Denn das Prekäre ist: Africom ist eine militärische Einrichtung außerhalb des NATO-Bereichs. Eigentlich, so haben Fuchs‘ Recherchen ergeben, hätte die Ansiedlung der Zustimmung der Volksvertreter bedurft. Doch weder Bundestag noch Bundesrat haben das Thema je beraten. Das Okay erhielten die Amerikaner von der Bundesregierung in einem einstündigen Gespräch, wie Fuchs erfahren hat.

Fuchs, der auf Einladung des Arbeitskreises Asyl, von Bündnis 90/Die Grünen, der DFG-VK Neckar-Fils, der GEW Esslingen-Nürtingen, der IG-Metall-Ortsgruppe Kirchheim und von Pax-Christi in Zusammenarbeit mit der Buchhandlung Schöllkopf in Kirchheim zu Gast war, sieht es kritisch, dass es für die ausländischen Gasttruppen keinerlei Kontrollinstanzen gibt. „Es wird geduldet“, sagte er. Seine Aufgabe als Journalist sieht er deshalb darin, solche Vorgänge transparent zu machen.

Die Friedensbewegung will in diesem Jahr ein Zeichen gegen den Drohnenkrieg von deutschem Boden aus setzen und startet den Ostermarsch in Stuttgart an den Kelly-Barracks, dem Sitz von Africom.