Kirchheim. Am gestrigen Donnerstag haben Manfred Sigel, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Tragwerk, und Werner Dohrn, der Erste Vorsitzende des Gesamtkirchengemeinderats, den Mietvertrag unterzeichnet. Im dazugehörigen Pressegespräch bezeichneten beide Seiten die aktuelle Lösung des Problems als „win-win-Situation“. Beide Einrichtungen arbeiten aber unabhängig voneinander, betonen die Verantwortlichen. Dekanin Renate Kath beispielsweise, die kraft Amtes Zweite Vorsitzende des Gesamtkirchengemeinderats und Vorsitzende des Tragwerk-Stiftungsrats ist, hat sich wegen dieser Doppelfunktion für befangen erklärt und war an den offiziellen Beratungen nicht beteiligt.
Kirchenpfleger Bernd Kemmner bezeichnete die anstehende Vermietung des Alten Gemeindehauses gestern als einen „ganz großen Baustein unseres Immobilienkonzepts“. Ziel des Konzepts sei es ja nicht gewesen, Gebäude zu verkaufen und dadurch einmalige Einnahmen zu erzielen. Beim Immobilienkonzept der Gesamtkirchengemeinde gehe es vielmehr darum, Kosten einzusparen, die für die Gebäudeunterhaltung anfallen. Durch den Mietvertrag hat die Gesamtkirchengemeinde nun also regelmäßige Einnahmen statt Ausgaben für das Alte Gemeindehaus.
Als Eigentümer bleibt die Gesamtkirchengemeinde natürlich weiterhin für die Substanzerhaltung des Gebäudes zuständig. Aber den laufenden Unterhalt, vor allem die Energiekosten, bestreitet künftig die Stiftung Tragwerk. Konkrete Zahlen wollte der Kirchenpfleger zwar nicht nennen, aber aus Sicht der Gesamtkirchengemeinde kam er zu folgendem Ergebnis: „Wir sind durch die Vermietung in der Lage, die Substanzunterhaltung zu finanzieren, und wir haben eine deutliche Haushaltsentlastung.“
Manfred Sigel sprach für die Stiftung Tragwerk von einem „sehr wichtigen Ereignis“. Die Stiftung sei mit der Übernahme des Gebäudes künftig innenstadtnah vertreten und könne an einer prominenten Stelle in Kirchheim auf sich aufmerksam machen. Natürlich sei es für die Stiftung Tragwerk eine Herausforderung, die Mietkosten für die 1 125 Quadratmeter Fläche im Alten Gemeindehaus zu erwirtschaften. Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass das gelingen werde.
Was ändert sich ab September im Alten Gemeindehaus? Einerseits nicht viel, andererseits aber doch fast alles. Nur das Bezirkskantorat wird wie bisher in den gewohnten Räumen im Dachgeschoss seinen Sitz haben. Dieser Gebäudeteil ist kein Bestandteil des Mietvertrags. Auch der große Saal, den die meisten Kirchheimer mit dem Alten Gemeindehaus in Verbindung bringen, soll weiterhin für Veranstaltungen aller Art zur Verfügung stehen. Wenn aber bislang die Miete für die Saalnutzung an die Kirchengemeinde zu entrichten war, so tritt künftig die Stiftung Tragwerk als Vermieter auf. Wer also eine Feier oder eine andere Veranstaltung im Saal plant, muss sich an die Stiftung Tragwerk als Untervermieter wenden.
Für viele Gruppen, die den Saal bislang als regelmäßigen Treffpunkt nutzen – beispielhaft seien der Chor an der Martinskirche oder der CVJM-Posaunenchor genannt –, bedeutet das gleichwohl, dass sie sich ein neues Domizil suchen müssen. Sie könnten zwar weiterhin im Alten Gemeindehaus bleiben, müssten dann aber Miete zahlen. Sie müssen nun eben in andere Räumlichkeiten umziehen, die ihnen die Gesamtkirchengemeinde weiterhin mietfrei zur Verfügung stellt.
Der Anbau am Alten Gemeindehaus (im Bild rechts) erhält künftig eine komplett neue Nutzung. Der Kindergarten wird bis September in den Traub‘schen Kindergarten umgezogen sein, und dann kann die Psychologische Beratungsstelle der Stiftung Tragwerk ins Erste Obergeschoss sowie ins Dachgeschoss einziehen. Etwas später soll die Erziehungshilfestelle aus der Liststraße ins Erdgeschoss des bisherigen Kindergartens umziehen. Manfred Sigel verspricht sich davon entscheidende Vorteile, wenn die Psychologische Beratungsstelle und die ambulante Erziehungshilfe unter einem Dach vereint sind.
Die neue Nutzung des Alten Gemeindehauses zieht noch andere Rochaden nach sich. Die Psychologische Beratungsstelle räumt nämlich ein Gebäude auf dem Wächterheimgelände, in dem die Stiftung Tragwerk eine Kindertagesstätte mit erweiterten Öffnungszeiten einrichten will, für Kinder zwischen einem und sechs Jahren. Zunächst soll die Tagesstätte von 6 bis 21 Uhr geöffnet haben. Später ist auch an eine Betreuung rund um die Uhr gedacht, wenn Eltern beispielsweise bei Nacht arbeiten.
Die Kindertagesstätte ist eigentlich der Hauptgrund, warum die Stiftung Tragwerk sich für das Alte Gemeindehaus interessiert hat, um dort die Psychologische Beratungsstelle unterkriegen zu können. Manfred Sigel: „Mit der Tagesstätte schaffen wir uns ein viertes Standbein, neben der Altenhilfe, der Erziehungshilfe und der Schule für Erziehungshilfe.“ Dieses vierte Standbein ist für die Stiftung Tragwerk aber auch unter einem ganz anderen Gesichtspunkt von Bedeutung: Um selbst weiterhin kompetentes Personal für die anderen drei Standbeine bekommen zu können, brauche es Angebote zur Betreuung, denn „auf Dauer überleben nur die Einrichtungen, die das Personal für ihre Arbeit haben“.
Für die Kirchengemeinde ist es zunächst einmal wichtig, dass das Alte Gemeindehaus „überleben“ kann. Der Mietvertrag hat eine Laufzeit von zehn Jahren. Danach können beide Seiten überprüfen, ob es für sie sinnvoll ist, den Vertrag zu verlängern.