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„Es ist einiges aus dem Ruder gelaufen“

Podiumsveranstaltung mit dem Titel „Kind willkommen“ in Dettingen

In Deutschland erblicken zu wenig Kinder das Licht der Welt. Doch wie kann man junge Paare dazu bewegen, Kinder zu bekommen? Darüber wurde bei einer Podiumsveranstaltung in Dettingen lebhaft diskutiert.

Heike Allmendinger

Dettingen. Wie kann es gelingen, dass sich mehr Paare für Kinder entscheiden? Und wie kann man heutzutage die Strukturen der früheren Großfamilie ersetzen? Um solche und weitere Fragen, die der demografische Wandel mit sich bringt, entspann sich bei einer Podiumsveranstaltung des CDU-Stadtverbandes Kirchheim-Dettingen und des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der CDU/CSU, Kreisverband Esslingen, in der Schlossberghalle eine lebhafte Diskussion.

„Ökonomisch betrachtet, ist es hochgradig unlogisch, Kinder zu bekommen. Denn sie kosten Geld“, sagte der Pfarrer sowie Ehe-, Familien- und Lebensberater Wilfried Veeser. Ein Kind jedoch sei ein Geschöpf Gottes. „Es hat ein Recht auf alles erdenklich Gute unsererseits.“

In der Gesellschaft sei beim Thema Kinder einiges aus dem Ruder gelaufen, gab Dr. Volker Hann, Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes Kirchheim-Dettingen, zu bedenken. „Seit 1970 fehlen uns in Deutschland 370 000 Kinder pro Jahr.“ Um die Versorgung durch den Generationenvertrag zu sichern, müsste jede Frau im Durchschnitt 2,1 Kinder haben. Derzeit sind es aber nur 1,4. „Das ist zu wenig. Wir müssen umsteuern.“

Das Rad könne man jedoch nicht zurückdrehen, sagte Veeser den rund 90 Zuhörern. Großfamilien gehörten der Vergangenheit an. Deshalb müssten die Kommunen Strukturen schaffen, die eine Großfamilie abbilden. Als gelungenes Beispiel nannte der Pfarrer das Dettinger Familienzentrum im Alten Gemeindehaus. Dort gibt es Betreuungs- und Bildungsangebote für Kinder, Erziehungshilfe, Beratung, Elternbildung und Freizeitangebote.

Auch Dettingens Bürgermeister Rainer Haußmann verwies auf das erfolgreiche Modell des Familien­zentrums. Er betonte, dass die Kommunen Einrichtungen vor Ort anbieten müssten, um die Entscheidung junger Paare für Kinder positiv zu beeinflussen. Dettingen jedenfalls sei nicht schuld an der zurückgehenden Geburtenrate in Deutschland, fügte Haußmann hinzu. „2010 hatten wir sogar einen Geburtenüberschuss“, sagte der Rathauschef stolz. Die alte Landesregierung habe den Kommunen zu wenig Geld für Kinderbetreuung gegeben. Die neue Regierung stelle zwar mehr zur Verfügung, doch durch die Grunderwerbsteuererhöhung nehme sie den Familien das Geld wieder weg, kritisierte Haußmann. Er plädierte für mehr Gerechtigkeit und eine größere finanzielle Unterstützung der Mittelschicht.

Ähnlich äußerte sich auch Peter Schuster, stellvertretender Landesvorsitzender des EAK: „Das Thema Kinderbetreuung ist ein immens wichtiger Baustein, um den negativen Entwicklungen des demografischen Wandels entgegenzuwirken.“ Allerdings führe dieser nicht automatisch zu mehr Kindern. Es bedürfe auch einer finanziellen Entlastung der Familien. „Ich wünsche mir außerdem, dass wir für junge Familien eine größere Wertschätzung aufbringen.“

Dr. Karl König aus Dettingen, Psychologe und Vater von sechs Kindern, monierte „den zu großen Druck durch die Politik, die Kinder baldmöglichst in einen Hort zu geben“. Eltern sollten auch die Möglichkeit erhalten, ihre Kinder zu Hause erziehen zu können, und dafür finanziell unterstützt werden. Dies sei sicherlich eine konservative Einstellung, räumte er ein. Doch es müsse eine persönliche Entscheidung der Eltern bleiben. Der Psychologe sprach sich auch gegen Ganztagesschulen aus. „Viele Erzieherinnen sind gestresst, viele Lehrer haben Burnout. Dieses Problem kommt noch dazu.“ Grundsätzlich sei es schlichtweg tragisch, dass ein reiches Land wie Deutschland kein Geld habe, um Paare finanziell so abzusichern, dass sie sich für Kinder entscheiden.

In der anschließenden Diskussion sagte ein Besucher der Veranstaltung, dass Kinder nicht nur eine finanzielle Frage seien. „Es geht auch darum, was es bedeutet, Vater und Mutter sein zu dürfen, dies erleben zu können. Das würdigen wir viel zu wenig.“ Eine Zuhörerin kritisierte, dass Frauen, die Kinder haben und zu Hause sind, „schräg angeguckt“ würden. „Die Mutter und Hausfrau hat kein Ansehen mehr.“ Die finanzielle Versorgung von Ehefrauen mit Kindern nach einer Scheidung sei schlecht, gab eine andere Teilnehmerin zu bedenken. Dies sei ein zu großer Unsicherheitsfaktor, der es vielen Frauen vergällen würde, Kinder zu bekommen. „Vielleicht geht es uns aber auch einfach nur zu gut“, überlegte ein weiterer Besucher. Er verwies auf „die höchste Scheidungsrate bei höchstem Wohlstand“ in Deutschland.

Pfarrer Veeser betonte, dass es leider auch Eltern gebe, denen die sozialen Kompetenzen abhandengekommen seien. „Deshalb bin ich dankbar, wenn ein Kind in einer Einrichtung verlässliche Rituale lernt.“ Das bestätigte Peter Schuster: Freilich sei es der Idealfall, wenn ein Kind in der Familie aufwachsen könne, dies sei heutzutage jedoch oft nicht mehr möglich. „Wir brauchen deshalb viel Kreativität, um das alte Modell Großfamilie neu umsetzen zu können.“

„Ihre Fragen und Kommentare waren mir zum Teil zu idealisiert“, konstatierte Haußmann am Ende der Diskussion. „Wir können die Menschen nicht missionieren.“ Doch mit klaren Vorstellungen und pfiffigen Projekten, wie dem Dettinger Familienzentrum, lasse sich vieles gemeinsam umsetzen.