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Frauen erkämpften Fahrrad-Freiheit

Petra Durst-Benning stellte ihren neuen Roman in der Nürtinger Stadthalle vor

Petra Durst-Benning stellte in Nürtingen ihren neuen Roman vor. Sie genoss sichtlich das Bad in der Menge und nahm freudestrahle
Petra Durst-Benning stellte in Nürtingen ihren neuen Roman vor. Sie genoss sichtlich das Bad in der Menge und nahm freudestrahlend die Blumen ihrer Fans entgegen. Foto: Christel Hessberger

Nürtingen. „Solang die Welt noch schläft“, lautet der Titel des neuen Romans von Bestsellerautorin Petra Durst-Benning. Dabei ist das Werk alles andere als verschlafen, im

Gegenteil: Eine rasante Handlung, denn schließlich geht es ums Radfahren, und eine selbstbewusste Hauptfigur, die sich in den 1890er-Jahren das Recht herausnimmt in eine Männerdomäne vorzupreschen, bestimmen das Werk. Somit hat der historische Roman an Aktualität nichts verloren – in 120 Jahren hat sich zwar einiges in Sachen Gleichberechtigung getan, aber noch immer liegt vieles im Argen, wie die Diskussion um die Frauenquote in den Vorstandsetagen großer Konzerne zeigt.

Die Nürtinger Buchhandlung „Im Roten Haus“ hatte die Buchpräsentation übernommen. So konnte Gastgeberin Heike Pflüger als Inhaberin der Buchhandlung viele Fans im ausverkauften Kleinen Saal der Nürtinger Stadthalle begrüßen, die an diesem Abend auch Karin Fitzel mit einem Rad-Song erleben durften. „Mir geht‘s wunderbar. Eine meiner Lieblingsbuchhandlungen in Deutschland richtet in meiner Fast-Heimatstadt meine Buchpräsentation aus“, sagte Petra Durst-Benning auf Nachfrage von Moderatorin Katja Roth strahlend. Sie ist eine Freundin der Autorin und in den Frankfurter Bankhochhäusern beruflich zu Hause. So durften sich die Fans auf eine nahezu familiäre Vorstellung mit Hintergrundinformationen freuen.

Als dritter im Bunde mit dabei war Christian Mayer in seiner Funktion als technischer Berater von Petra Durst-Benning. Der Neckartailfinger bereitet sich gerade auf das Race Across America, kurz RAAM, vor, das als das härteste Radrennen der Welt gilt. In nur zwölf Tagen sind 4 800 Kilometer samt 35 000 Höhenmeter in vier Zeitzonen zu überwinden. „Ohne ihn hätte ich meine Mädels spätestens auf Seite 300 abgemurkst, sie wären verhungert und verdurstet“, verriet die Autorin und hatte damit die Lacher auf ihrer Seite. Christian war also ständig als Korrekturleser gefragt.

So erfuhren die Zuhörer allmählich, was sie im neuen Roman ihrer Lieblingsautorin erwartet, wobei Petra Durst-Benning äußerst wenig verriet, um die spannende Handlung nicht vorwegzunehmen. Nur Radfahrszenen hatte sie sich aus dem 496  Seiten starken Werk herausgepickt. „In vieler Hinsicht ist dieses Buch ein wahrer Paukenschlag“, ist sich Katja Roth sicher. Irgendwann habe Petra bei einem Gespräch erklärt, dass der historische Roman, so wie er sich zurzeit präsentiere, ausgedient habe. „Es fehlt der frische Wind. Schau dir doch die Cover und Titel in den Regalen der Buchhandlungen an“, lamentierte sie demnach vor geraumer Zeit. Was habe also bei dieser Erkenntnis nähergelegen, als das ganze Genre zu revolutionieren?

Dass dies mit der Trilogie „Jahrhundertwind“ gelungen ist, davon sind nicht nur Freundin Katja und die Autorin überzeugt. „Petra Durst-Ben­ning ist die Trendsetterin in der Buchbranche“, erklärte die Moderatorin. Der erste Teil liegt nun frisch gedruckt vor. Es ist – wie könnte es anders sein – ein historischer Frauenroman, in dem eine starke Protagonistin samt ihren zwei Freundinnen die Handlung bestimmt. Mussten in vorherigen Büchern von Petra Durst-Benning die Heldinnen aus schierer Not heraus in Männerdomänen vordringen, so ist es um die Jahrhundertwende 1900 die Freude daran, einfach neue Wege gehen zu wollen. „Nicht die Not, sondern die Lust auf Neues und Unbekanntes war die Motivation dieser Frauen“, so Katja Roth. Voller Lebensfreude dringen die drei Freundinnen Josefine, Isabelle und Clara im Roman in Bereiche vor, die zuvor noch keine Frau gewagt hat zu betreten. „Damit haben sie ein bisschen Vorbildcharakter, waren sie doch die Wegbereiterinnen für die Emanzipation“, sagte die Moderatorin.

Josefine, Hauptakteurin von Band Nummer eins der Trilogie, entdeckt in Berlin um 1890 die für Frauen geradezu skandalöse Leidenschaft des Radfahrens. Dafür riskiert sie viel und verliert viel. Doch Josefine gibt nicht auf und verwirklicht ihren Lebenstraum, als sie an einem strapaziösen, 1 000 Kilometer langen Radrennen teilnimmt – und die Liebe darf in solch einem Buch natürlich auch nicht fehlen.

„Bei den Recherchen ist mir aufgefallen, wie aktuell das Thema immer noch ist. Freiheiten hatten die Frauen damals nur, solange sie nicht verheiratet waren. Wollten sie arbeiten gehen, brauchten sie die schriftliche Erlaubnis des Ehemanns“, erklärte Petra Durst-Benning. Als die Zuhörer dann erfuhren, dass dieses Gesetz erst 1977 aufgehoben wurde, gab es ungläubiges Kopfschütteln. Die Frauen um 1900 mussten sich jeden Meter Freiheit hart erkämpfen. Das Fahrrad war zunächst ein Luxusgut für reiche Herren, die ihrer Pferde überdrüssig geworden waren. Frauen, die sich aufs Rad schwangen, waren dagegen gesellschaftlich geächtet. „Die Radfahrerinnen wurden diffamiert, beschimpft und sogar mit Steinen beworfen“, erzählte die Autorin. Aus diesem Grund zogen nicht wenige Männerkleidung an, malten sich ein Bärtchen ins Gesicht und radelten früh morgens durch Berlin – was das Rätsel des Titels löst.

Die eifrigsten in Sachen Diskriminierung von Radfahrerinnen waren die Mediziner. Sie schrieben seitenweise zahlreiche Pamphlete, um die Frauen zu diskreditieren, schimpften über unweibliche, verschwitzte, kampfeslüsterne Amazonen. „Die Herren Mediziner haben eine regelrechte Hetzkampagne gegen diese Frauen betrieben“, sagt Petra Durst-­Benning. Die Frage nach dem Grund klärt sie schnell auf: „Es ging um Macht und Kontrolle über die Frauen. Zum ersten Mal waren sie mobil, konnten die eigenen vier Wände verlassen, von A nach B fahren und dann Vergleiche mit ihrem eigenen Leben anstellen. Die Männer wussten nicht, wo ihre Frauen waren und das passte ihnen nun gar nicht – was heute in vielen Fällen auch nicht viel anders ist“, fügte sie süffisant hinzu. Zwar hatten die Mediziner nicht prinzipiell etwas gegen die Leibesertüchtigung der Frauen, doch sie rieten ihnen in Zeitungsartikeln, doch bitte schön, das Spinnrad zu treten anstatt in die Pedale.

Im Einbandspiegel des Buchs hat die Autorin ein paar Leseproben zusammengestellt, die den Zeitgeist widerspiegeln. Eine davon lautet: „. . . so wird konstatiert, dass kaum eine Gelegenheit zu vielfacher und unauffälliger Masturbation so geeignet ist, wie sie beim Radfahren sich darbietet.“

Von solchen Verleumdungen ließen sich die Frauen jedoch nicht kleinkriegen. Immer mehr entdeckten sie diese Art der Fortbewegung für sich. Eine der Wegbereiterinnen war die Journalistin Amelie Rother. „Ihr zu Ehren habe ich als Schauplatz Berlin gewählt“, verriet die Autorin. Dank ihr und vieler anderer couragierter Frauen fanden schließlich auch Radrennen für Damen statt, die der damalige Radsportverband jedoch recht schnell verbot. Erst 1956 wurde es aufgehoben. „Heute sind wir in manchen Sportarten auch nicht viel weiter. Die Skispringerinnen mussten mit den gleichen männlichen Vorurteilen kämpfen und dürfen erst seit Herbst vergangenen Jahres neben den Männern im Weltcup starten“, verwies Petra Durst-Benning auf die Aktualität dieses Themas.

Die Buchpräsentation machte richtig Lust, möglichst schnell nach Hause zu kommen, sich das Buch zu schnappen und die halbe Nacht durchzulesen – ganz so, wie es Katja Roth prophezeit hat: „Das ist eine wahre Achterbahnfahrt. Beim Lesen musste ich immer wieder Petra anrufen und sagen: Was hast du gemacht? – so überraschend waren die Handlungen.“ Man merkt es dem Buch an, dass es Petra Durst-Benning genossen hat, das enge Korsett des württembergischen Königshofs – dem Schauplatz der beiden Vorgängerromane – gesprengt zu haben. Ein wahres Feuerwerk an Wendungen und Fabulierkunst erwartet die Leser. „Statt mit dem Fächer gewedelt, wird jetzt kräftig geschwitzt“, fasste Katja Roth diesen neuen Durst-Benning-Roman zusammen.

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