Lokales

Gefährliche Mixtur

Projekt zur Prävention alkoholbedingter Jugendgewalt (PAJ) wird fortgeführt

Wenn Jugendliche Straftaten begehen, spielt Alkohol häufig eine erhebliche Rolle. Im ­Projekt „next level“ arbeitet die Jugend- und Drogenberatung im Landkreis Esslingen mit den jungen Straftätern. Nach einer zweijährigen Modellphase wird das Konzept nun zum festen ­Baustein der Hilfsangebote.

In den vergangenen zehn Jahren ist die Jugendgewalt in Baden-Württemberg um 30 Prozent gestiegen. Bei jeder dritten Straftat wir
In den vergangenen zehn Jahren ist die Jugendgewalt in Baden-Württemberg um 30 Prozent gestiegen. Bei jeder dritten Straftat wirkt Alkohol als Katalysator, die das Gewaltpotenzial steigert.Foto: Jörg Bächle

Anke Kirsammer

Kreis Esslingen. Es lohnt sich, in Jugendliche zu investieren, auch wenn sie bereits mit vielen Straftaten aufgefallen sind. Das ist ein Ergebnis des seit 2012 im Landkreis Esslingen erprobten Projekts „next level“ zur Prävention alkoholbedingter Jugendgewalt (PAJ). „Von den 54 Straftätern, die in den vergangenen beiden Jahren daran teilgenommen hatten, wurden bislang lediglich 13 erneut straffällig“, sagte der Gesamtleiter der Jugend- und Drogenberatungsstellen im Landkreis Esslingen, Gerhard Schmid, im Jugendhilfeausschuss des Esslinger Kreistags.

Jugendrichter verhängen das Programm „next level“ beispielsweise als Bewährungsauflage. Vorgeschlagen werden kann es aber auch vom Täter-Opfer-Ausgleich oder der Jugendgerichtshilfe. Die Teilnahme an dem Angebot, das sich über drei bis vier Monate erstreckt und rund 50 Stunden dauert, ist freiwillig. Kooperationspartner der Jugend- und Drogenberatungsstelle sind unter anderem die Polizei, Träger der freien Jugendhilfe und der Kreisjugendring. Zu den sieben Modulen gehören ein erlebnispädagogischer Tag, ein Konfliktfähigkeits- und Coolnesstraining und intensive Gespräche über die eigenen Straftaten sowie den Umgang mit Alkohol. „Notwendig ist eine durchgängige Bezugs- und Vertrauensperson, die die Jugendlichen ernst nimmt, und an der sie sich reiben können“, so Schmid. Um Haltungen ändern zu können, brauche es Zeit für Impulse. In dem Projekt wird den Teilnehmern mit Wertschätzung begegnet. Teilweise setzen sie sich da­rin erstmals ernsthaft mit ihrer Lebenssituation auseinander. Ein junger Mann hatte sich beispielsweise in vier Jahren Haft nie mit den Themen Alkohol und Gewalt befasst.

„Überrascht hat uns die hohe Zahl der Dunkelziffer an Straftaten“, sagte Schmid. So hatte ein Jugendlicher lediglich zwei Anzeigen. In der Gruppe räumte er 20 Körperverletzungen ein. Auffällig sei, dass oft viel Zeit vergehe zwischen der Tat und der ausgesprochenen Auflage „next level“. Von 54 gewalttätigen Jugendlichen waren vor dem Projekt nur sechs für einen Anti-Aggressionskurs vorgesehen, lediglich drei hatten tatsächlich einen abgeschlossen.

Frank Buß (Freie Wähler) würdigte die Erfolgsbilanz und freute sich wie Gerlinde Ziegler (CDU) über die geringe Rückfallquote. Dass lediglich vier Jugendliche das Projekt abgebrochen hätten, spreche für sich, meinte Steffen Weigel (SPD). Grünen-Kreisrat Georg Zwingmann lobte das „tolle Projekt“ und das „tolle Konzept“. Überrascht zeigte sich der Sozialarbeiter jedoch darüber, dass Jugendliche in sozialpädagogischen Kontexten aufwüchsen, der Zusammenhang von Alkohol und Gewalt dort offensichtlich aber nicht angesprochen werde.

„Es ist richtig, das Thema Alkohol aufzugreifen, weil wir wissen, er wirkt als Verstärker und kann zu Gewaltexzessen führen“, sagte Landrat Heinz Eininger. Positiv sei, dass die Ansprechpartner bei der Polizei trotz Reform die gleichen geblieben seien. Wie mit der Justiz organisiere man auch mit der Polizei immer wieder Treffen. „Es ist ungeheuer hilfreich, wenn man weiß, wer am anderen Ende der Leitung sitzt.“

Anerkennung für das Konzept kam nicht nur von der Polizei, sondern auch aus Berlin. Im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs „Vorbildliche Strategien kommunaler Suchtprävention – Alkoholprävention im öffentlichen Raum“ hatte der Landkreis Esslingen das Projekt als eine der Maßnahmen im Gesamtkonzept eingereicht. Im Juni vergangenen Jahres prämierten ihn dafür die Bundesdrogenbeauftragte, das Bundesgesundheitsministerium sowie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Finanziert mit 40 000 Euro aus Mitteln der Landesstiftung, wird die Konzeption aufgrund ihrer Wirksamkeit Anfang Dezember im Stuttgarter Innenministerium vorgestellt.

Der Jugendhilfeausschuss sprach sich dafür aus, das Programm „next level“ vom kommenden Jahr an als Regelangebot weiterzuführen. Für jährlich zwei Gruppen fallen Sachkosten in Höhe von 6 000 Euro an. Zudem sind für das Projekt zehn Prozent einer Stelle gebunden.