Lokales

Grandioses Theater auf der Treppe

„Jesinger Freilichtspiele“ feierten mit der alttestamentarischen „Ester“ Erwartungen weckende Premiere

Kirchheim. Wenn an einem Freitagabend weit über 400 Menschen zur Jesinger Kirche pilgern, um trotz angekündigtem Gewitter eine Veranstaltung unter freiem Himmel zu besuchen, ist das schon erstaunlich.

Wenn mit dem angekündigten Theaterstück „Ester“ ein im Alten Testament festgeschriebener Text im Mittelpunkt eines so großen Publikumsinteresses steht, wird das nicht unbedingt leichter erklärbar.

Wenn ein Ort seiner zunehmenden Brückendichte wegen, aber nicht nur als „Klein-Venedig“ gehandelt wird, sondern der neu gestalteten Kirchentreppe wegen, sich auch noch dem Vergleich mit Schwäbisch Hall stellen muss, wird klar: Hier besteht eindeutig Handlungsbedarf und Präsenzpflicht.

Eins steht nach der gelungenen freitagabendlichen Freilicht-Theaterpremiere auf den Treppe der Petruskirche fest. Venedig hat von Jesingen auch weiterhin nichts zu befürchten, denn Gondolieri auf der Lindach sind derzeit wohl noch keine Option. Nach der am Freitag begeistert gefeierten Premiere der „Jesinger Freilichtspiele“ müssen sich die Verantwortlichen in Schwäbisch Hall tatsächlich warm anziehen. Wenn die „Jesinger Freilichtspiele“ so weitergeführt werden, wie sie bei der Premiere auftrumpften, wird sich der bisherige Treppenmonopolist mehr einfallen lassen müssen, als immer wieder den bewährten „Jedermann“ auf die Treppe zu schicken.

Das 16-köpfige Freilicht-Theaterteam – dem, neben Ortschaftsräten, Mitgliedern Jesinger Vereine und der Kirchengemeinde mit Pfarrer Conzelmann und Ortsvorsteher Möslang, auch die beiden wichtigsten Vertreter der kirchlichen und weltlichen Gemeinde angehörten – meisterte jedenfalls die keinesfalls einfache Aufgabe, mit Alttestamentarischem gut zu unterhalten, mit Bravour.

Entscheidend für den Erfolg war dabei die skrupellose Herangehensweise an den überlieferten Text, der sich in mutiger Übersetzung in die Sprache des hier und jetzt auch noch ständig und fast immer stimmig reimte. Dass hinter diesem Geniestreich nur der mit Kopftuch, Schlabberhose und Rauschebart verkleidete Pfarrer stecken konnte, war klar. Auch wenn Roland Conzelmann in der Maskerade des vermittelnden Erzählers kaum zu erkennen war, wurde er von dem als Gast, Ratsherr und Wachposten agierenden Reinhold Ambacher ungeniert „denunziert“ und konnte sich daher dem zu Recht aufbrandenden Schlussapplaus zugunsten seiner beherzten Mitstreiter absolut nicht mehr entziehen.

Erzählt wird die Geschichte des Königs Ahasveros (Martin Rabel), dessen Frau ihn mit ihrer Weigerung brüskiert, auf seinen Befehl hin eine Männerrunde mit ihrem Bauchtanz zu erfreuen. Die Suche nach einer neuen Frau wird als bohleneske Casting-Show inszeniert, aus der die eher zurückhaltende Ester (Carola Bernauer) erstaunlicherweise als klare Siegerin hervorgeht.

Auch wenn sich der angebliche Herrscher wie eine Marionette seines Beraters Haman (Peter Müllner) verhält und den Juden in seinem Reich das Leben schwer macht, wird er von seiner dem jüdischen Glauben angehörenden Frau Ester erfolgreich zum Umdenken bekehrt. Der verfemte Jude Mordechai (Andreas Schulz) wird zuletzt als Held gefeiert und alles Unrecht wettgemacht.

Die gelungene Aufführung wurde zurecht begeistert gefeiert, denn dass hier eine Amateurtruppe am Start war, die nur insgesamt fünf gemeinsame Proben absolviert hatte, war bei der Professionalität der Darbietung kaum zu glauben.

Maßgeblichen Anteil am Erfolg hatten auch Natalia und Valeri Katnelson, die mit einigen jüdischen Liedern das Publikum von der Jesinger Ortsmitte ins Morgenland entführte. Garant der gelungenen Inszenierung war aber zweifellos der von Roland Conzelmann in treffliche Reime gepackte Text, der einem alttestamentarischen Geschehen neuzeitliche Frische einhauchte und immer wieder für Lacher und Zwischenapplaus sorgte.

Nach dem begeisterten Applaus der gut angenommenen Premiere sind die gefeierten Akteure zweifellos in der Pflicht, im kommenden Jahr wieder in den Ring zu steigen. Notfalls kann ja auch – dem Beispiel von Schwäbisch Hall folgend – auf eine Wiederholung des Erfolgsstücks gesetzt werden.

Da würde Pfarrer Conzelmann aber wohl doch widersprechen und sich lieber erneut der großen Herausforderung stellen, einen schwerfälligen Bibeltext in Reimform und moderner Sprache für die Jetztzeit aufzubereiten.

Auf der Treppe der Jesinger Petruskirche müsste er sich nach der erfolgreichen Premiere von „Ester“ in diesem Jahr natürlich dem Urteil eines ganz besonders erwartungsvollen Publikums stellen.