Lokales

„Hautnah mit Kirchheimer Soldaten an der Front“

Eine kleine Ausstellung in der Stadtbücherei erzählt vom Ersten Weltkrieg – Exponate stammen aus Museum und Archiv

Ausstellung zum 1. Weltkrieg in der Bücherei Kirchheim
Ausstellung zum 1. Weltkrieg in der Bücherei Kirchheim

Kirchheim. „Erlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg hautnah“ – das verspricht eine kleine, aber feine Ausstellung in der Kirchheimer Stadtbücherei. Das Besondere ist, dass alle

Exponate einen Bezug zu Kirchheim haben. Das gemeinsame Projekt „Erzählte Geschichte – 100 Jahre Erster Weltkrieg“ des Kirchheimer Stadtarchivs und des Teckboten hat dazu beigetragen, die Geschichten vieler Weltkriegssoldaten vor dem Vergessen zu bewahren. Fünf dieser Soldaten werden in der Ausstellung näher vorgestellt. Exemplarisch stehen sie für alle 1 467 Soldaten, die aus Kirchheim in den Ersten Weltkrieg zogen, und vor allem für jene 284 Kirchheimer Soldaten, die den Krieg nicht überlebt haben.

Da sind zunächst die Brüder Ernst und Karl Müller. Sie sind beide 1915 im Krieg umgekommen: Ernst am 13. März im Alter von 22 Jahren, Karl am 15. Juli mit 21 Jahren. Zwei gerahmte Gedenkblätter sind in einer der Vitrinen in der Stadtbücherei zu sehen: Zusammen mit Feldpostbriefen und Karten sind diese Gedenkblätter Anfang 2014 als Nachlass einer Kirchheimer Familie in das Stadtarchiv gekommen. Auslöser für die Übernahme der Gegenstände war der Aufruf im Teckboten vom 2. Januar, nach Geschichten und Erinnerungsstücken zu suchen und sich zu melden – bei der Zeitung oder im Archiv.

Ernst Müller ist bei einem Stallbrand ums Leben gekommen, bei Ciechocinek im heutigen Polen. Am 13. Februar 1915 hatte er nach Hause geschrieben, dass er ein Foto von seinem Bruder Karl erhalten habe. „Ich meine, er sei etwas mager geworden, aber auch größer“, schreibt er. Er bittet darum, die Eltern mögen ihm seine Zahnbürste und Zahnpasta schicken. Außerdem berichtet er vom Kriegsalltag und stellt ihn recht gemütlich dar: „Wir sind eben in unserem Unterstand beschäftigt mit Schmalz auslassen. Nachher gibt‘s Goulasch mit Tee. Anschließend wird noch ein Pfeifchen geraucht u. dann geht‘s aufs Strohlager.“

Am 11. März 1915 bedankt sich Ernst Müller schriftlich: „... habe soeben das Paket mit meiner Zahnbürste und Wurst erhalten. Besten Dank“. Zwei Tage später ist er tot. – Einen bewegenden Brief hat daraufhin sein Bruder Karl am 28. März geschrieben: „... habe gestern Abend 2 Pakete u. die schmerzliche Nachricht, dass Ernst soll tot sein, erhalten. Ich kann es gar nicht glauben, aber soviel ihr schreibt, muß es doch so sein.“ Dann bereitet Karl Müller Eltern und Geschwister auch auf sein eigenes mögliches Ende vor: „... sollte ich auch nicht mehr nach hause kommen, so macht euch das Herz nicht so schwer, dann muß es eben so sein, u. ich denke, was Gott tut das ist wohlgetan.“

Dieses Gottvertrauen kommt noch in einem anderen Text zum Ausdruck: in den Worten, die Stadtpfarrer Ernst Dinkelacker 1927 am Grab von Karl Müller senior gesprochen hatte. „Wie schwer war es dem Vater geworden, als der Krieg ihm zwei Söhne nahm“, heißt es da. Und weiter: „Er hat auch diese Last aus Gottes Hand genommen und sich unter die gewaltige Hand des Herrn gebeugt“.

Genau diese Geschichten sind es, die Renate Schattel besonders am Herzen liegen. Als Mitarbeiterin des Stadtarchivs hat sie sich um die Ausstellung in der Bücherei gekümmert. Sie sagt: „In unserem Heimatbuch, in der Stadtgeschichte, ist eher beschrieben, wie sich der Krieg auf Kirchheim ausgewirkt hat. Im Gegensatz dazu sind wir in der Ausstellung direkt mit Kirchheimer Soldaten an der Front.“ Museumsleiterin Stefanie Schwarzenbek, die aus ihrem Fundus ebenfalls etliche beeindruckende Exponate beisteuern konnte, ergänzt: „So kann man dem Ganzen Gesichter geben. Das macht es ergreifender.“

Die Zusammenarbeit zwischen Museum und Archiv war im Fall des Soldaten Hermann Haas besonders fruchtbar: So kamen Fotos, Schreiben und ein Aquarell des Schreiners zusammen. Das Aquarell zeigt einen „Schützengraben mit Stollen im Kreidefelsen“ in der Champagne. Hermann Haas war bei Kriegsausbruch 18 Jahre alt, und er kam lebend aus dem Krieg zurück. Deshalb ist sein Bild nicht auf dem Blatt in der Ausstellung zu finden, das viele „Gefallene Söhne der Stadt“ zeigt, unter anderem die beiden Müller-Brüder.

Die anderen beiden Soldaten, auf die die Ausstellung näher eingeht, sind Ernst Ruoff und Christian Hammberger. Über beide hat die Teckboten-Serie „Erzählte Geschichte“ bereits berichtet. Vom Landwirt Ernst Ruoff hat sich ein Schreiben im Archiv erhalten, in dem er sich über die Qualität der Zigarren beschwert, die ihm die Stadt Kirchheim als „Liebesgabe“ an die Front geschickt hatte. Ein kleiner Nachtrag zum Artikel vom 15. Februar ist jetzt noch vorzunehmen: Es ist tatsächlich dieser Ernst Ruoff, dessen Name auf dem Ehrenmal für die gefallenen Soldaten auf dem Alten Friedhof verzeichnet ist. Im Ausstellungstext heißt es, er sei „kurz vor Kriegsende mit 30 Jahren in den Argonnen“ gefallen.

Christian Hammberger wiederum hatte den Ersten Weltkrieg überlebt, um dann 1941 im Zweiten Weltkrieg zu fallen. In seinem Fall gibt es in der Bücherei eine Besonderheit: In einer Vitrine liegt der Zeitungsartikel vom 22. April, mit einem aktuellen Foto. Auf dem Foto hält Helmut Hammberger die Kugel in der Hand, die seinen Vater 1917 fast das Leben gekostet hätte. Genau diese Kugel liegt nun auf dem Zeitungspapier, sodass sie aus dem Foto herauszuwachsen scheint.

Noch viele weitere Gegenstände machen den Krieg lebendig, seien es Handgranaten, ein Bajonett oder ein Helm mit Einschusslöchern. Vom Leben an der „Heimatfront“ wiederum zeugen ein kleines Steingutgefäß mit der Aufschrift „Kriegsbutter“ oder auch etwas ganz Kurioses: In einem Kasten eingerahmt, ist ein Brötchen zu sehen, mit der Aufschrift: „der letzte Wecken“. Als Datum steht dabei: „Februar / im Kriegsjahr 1915.“ Ebenfalls in der Heimat beliebt waren „Nagelungen“. Gegen eine Gebühr konnten die Daheimgebliebenen einen Nagel in ein Bild oder eine Statue einschlagen, um das (Kunst)-Werk auf diese Art zu vollenden. Im Text zum entsprechenden Exponat heißt es: „Die Beteiligten zeigten durch den Akt des Nagelns ihre vaterländische Gesinnung. Die dadurch erwirtschafteten Summen kamen vor allem Kriegswitwen und -waisen zugute.“

Ergänzt wird die Ausstellung aus dem Bestand eines weiteren Kooperationspartners: Die Stadtbücherei hat zwischen die Vitrinen einen Büchertisch gestellt, der einen Teil der umfangreichen Literatur zeigt, die es zum Ersten Weltkrieg gibt. Büchereileiterin Ingrid Gaus zufolge haben sich seit Freitag auch schon viele Besucher in die Ausstellung vertieft, jüngere wie ältere: „Da werden alle Generationen angesprochen.“

Bis 20. November ist die Ausstellung zu den üblichen Öffnungszeiten zu sehen: dienstags und mittwochs von 10 bis 18 Uhr, donnerstags von 10 bis 19 Uhr, freitags von 14 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 13 Uhr.