Lokales

Hölderlins Arbeitszimmer als ZeichenInfo

Claude Horstmann präsentiert „my translators transformers“ in der Galerie im Kornhaus

Die Künstlerin Claude Horstmann arbeitet mit Fundstücken, die sie reproduziert. Foto: Genio Silviani
Die Künstlerin Claude Horstmann arbeitet mit Fundstücken, die sie reproduziert. Foto: Genio Silviani

Kirchheim. Wenige Zentimeter vom Boden abgehoben schwebt vor dem Betrachter eine geometrische, sechseckige Form in leuchtendem Gelb, die Bodenarbeit „H“. Ihre Lage ist

leicht aus der zentralen Achse der Fachwerksäulen gedreht, was ihr etwas Schwimmendes, Bewegliches gibt. Die Fläche stellt maßstabsgetreu den Grundriss des Arbeitszimmers von Friedrich Hölderlin im Haus der Familie des Schreiners Ernst Zimmer in Tübingen dar. Claude Horstmann hat sie den erhaltenen Plänen entnommen und etwas verkleinert nachgebaut. In diesem Raum hat der Dichter 36 Jahre gearbeitet.

Die Künstlerin nimmt diesen mit historischer und kultureller Bedeutung aufgeladenen Raum und verkürzt ihn zu einem Zeichen, indem sie nur die Flächenmaße des Bodens mit seiner eigentümlichen Form in den Ausstellungsraum versetzt und mit der leuchtenden Farbe Gelb präsent macht. Diese gelbe Form scheint nun im Kornhaus über den Boden zu schweben wie einst der geheimnisvolle schwarze Quader in Stanley Kubricks „Odyssee 2001“. Sie visualisiert wie dieser die abstrakte Idee, die hinter der konkreten, alltäglichen Situation, in diesem Fall des Ausstellungsraums, stecken könnte. In der Konfrontation sieht sich der Besucher beidem ausgesetzt: Dem Erleben des tatsächlichen Raums und dem abstrakten Nachdenken über die Idee des Raums.

Diese Bodenarbeit scheint als einziges Werk das Thema des Galerieraums als solchen zu reflektieren, die anderen Arbeiten der sparsam und konzentriert gehängten Ausstellung werden an der langen Wand und einer der Stirnseite vorgebauten Stellwand präsentiert. Die Schaufenster zur Passage hat die Künstlerin nicht genutzt. Dieser auf den ersten Blick traditionelle Umgang mit den räumlichen Möglichkeiten, bei dem die Zeichnungen und Fotos an der Wand hängen, reflektiert und hinterfragt den Raum jedoch in sehr subtiler Weise und erst auf den zweiten Blick. „Diese spezifisch gesetzten Arbeiten gehen jedoch jeweils an dem Ort, an dem sie sind, auf diesen ein“, erklärt die Künstlerin. Das Werk an der Stirnwand wurde wie ein überdimensionierter, waagrechter Pinselstrich direkt auf die Stellwand mit Eisenoxid gemalt, einer Farbsubstanz, die ein samtiges, tiefes Schwarz erzeugt. In diesem „Brushstroke“ repräsentiert sich nicht nur der Duktus der Künstlerin, sondern er nimmt durch seine markanten Proportionen auch die dunklen Fachwerkbalken im Kornhaus auf und abstrahiert damit die besondere Charakteristik des Kornhauses auf subtile Weise.

„Die Elemente, die ich hier einbringe, bringen ihre eigene Abstraktion mit“, erläutert Claude Horstmann. In diesem Sinne hat sie auch die breite Hauptwand an der Längsseite der städtischen Galerie genutzt und durch die Hängung der Ausstellungsstücke auf subtile Weise thematisiert und gebrochen. Auf den ersten Blick scheinen vor allem Papierarbeiten wie bei einer „Petersburger Hängung“ auf der großen Wandfläche verstreut zu sein. Die etwa dreißig Blätter werden jedoch auf unterschiedliche Weise auf der Wand aufgebracht. Sie nutzen damit die Wand auf unterschiedliche Weise als Träger und gehen damit auch in spezifischer Weise auf den Raum ein. Die Arbeiten beschränken sich fast alle auf Schwarz-Weiß und bewegen sich an der Grenze zwischen Schrift und Zeichnung. Sie wirken wie eine westliche Interpretation der Kalligrafie asiatischer Kulturen. Dafür benutzt Claude Horstmann überwiegend gefundenes Material, weggeworfene oder verlorene Zettel mit Notizen, die sie auf den Straßen von Marseille, Straßburg oder Stuttgart gefunden hat. Die Fundstücke werden reproduziert und von zufälligem Beiwerk befreit zu reinen grafischen Zeichen reduziert und auf unterschiedliche Papiere vergrößert.

Auch die Präsentation variiert von voluminösen Glasrahmen über schwarze Papierklammern, von denen die Blätter gehalten werden, bis hin zur direkten Klebung auf die Wandfläche. Manche Arbeiten erscheinen damit provisorisch, etwa wie in einem Studio zur Prüfung an die Wand geheftet, manche als traditionelle Kunstwerke hinter Glas wie in einer musealen Situation. Die Künstlerin Claude Horstmann lebt und arbeitet in Stuttgart und Marseille. Vor allem die französische Hafenmetropole dient ihr als Inspirationsquelle und ermöglicht einen anderen Blickwinkel auf die aktuelle Weltlage, deren komplexe Zusammenhänge dort wie in einem Brennspiegel zusammenkommen.

Parallel zur Ausstellung in der Städtischen Galerie im Kornhaus zeigt Claude Horstmann neue Editionen in der Galerie Gudrun Fuckner, Ludwigsburg.

Am Sonntag, 3. Mai, findet um 15 Uhr eine Performance von Claude Horstmann in ihrer Ausstellung statt.