Lokales

Im Containerdorf liegt einiges im Argen

In Nürtingen üben Ehrenamtliche Kritik an der Verwaltung und deren Umgang mit Asylbewerbern

Seit zwei Wochen sind Flüchtlinge in Containern auf dem Parkplatz der Berufsschule in Nürtingen untergebracht. Seit Kurzem gibt es eine Initiative von Ehrenamtlichen, die sich um sie kümmert. Nicht nur die Asylbewerber werden nass, wenn sie zur Dusche wollen, auch die Ehrenamtlichen fühlen sich von den Verwaltungen im Regen stehen gelassen.

Wenn die Asylbewerber von ihren Unterkünften (links) zu den Sanitäranlagen oder Kochgelegenheiten (rechts) wollen, müssen sie be
Wenn die Asylbewerber von ihren Unterkünften (links) zu den Sanitäranlagen oder Kochgelegenheiten (rechts) wollen, müssen sie bei Wind und Wetter über den Gang laufen.Foto: Jürgen Holzwarth

Nürtingen. Seit dem 26. September sind inzwischen 60 Flüchtlinge auf dem Parkplatz der Nürtinger Berufsschule untergebracht worden. Weitere Container kommen gerade dazu, am Schluss sollen 120 Menschen dort wohnen. Schnell hat sich eine Initiative unter dem Namen Flüchtlingshilfe K4, wie Kanalstraße 4, zusammengefunden, die den Asylbewerbern helfen möchte. Mit beteiligt sind unter anderen der benachbarte Trägerverein Freies Kinderhaus, die katholische Kirche, die Beauftragte für Flüchtlingsfragen im evangelischen Kirchenbezirk Ragini Wahl, Anwohner und Leute, die einfach helfen wollen. Bei einem Treffen waren beinahe 100 Menschen, 28 von ihnen haben sich bereit erklärt, aktiv mitzuarbeiten. Nun haben die Ehrenamtlichen zu einem Pressegespräch geladen, um darauf hinzuweisen, was in den Asylunterkünften im Argen liegt.

Unter den Flüchtlingen sind 27 Kinder. Bald werden es mehr sein, denn einige Frauen sind schwanger. Die Menschen kommen aus aller Welt. Sie leben in Containern von zwölf Quadratmetern Größe. Erst ab fünf Personen soll es einen Doppelcontainer geben. Öffnen sie die Tür, stehen sie unter freiem Himmel, denn ein Dach kann laut Landkreis aus Brandschutzgründen nicht errichtet werden. Das Ergebnis ist, dass viele bereits krank geworden sind.

Ragini Wahl berichtet, dass einige der Flüchtlinge eigentlich zu krank sind, um in den Containern zu hausen. Da ist eine krebskranke Mutter aus dem Irak, eine vierköpfige Familie, ebenfalls aus dem Irak, mit einem frisch operierten Baby und einer hochschwangeren Mutter, außerdem eine sechsköpfige Familie aus Serbien mit einem schwerbehinderten Neunjährigen. Zumindest diese Familien sollen schnell in andere Unterkünfte kommen.

Kommen Besucher, werden sie mit Fragen bestürmt, die oft niemand beantworten kann. Beispielsweise die, wie lange das Provisorium noch bleibt. Auf diese Frage hat auch Peter Keck, Pressesprecher des Landkreises, keine Antwort. Der Kreis habe auf einmal 100 Flüchtlinge zugewiesen bekommen, die innerhalb von anderthalb Wochen untergebracht werden mussten. Das sei zu wenig Zeit gewesen, um bessere Container zu besorgen. Da nicht davon auszugehen sei, dass die Zahl der Flüchtlinge kleiner werde, überprüfe der Kreis gerade alle seine Liegenschaften. Das Nürtinger Containerdorf könnte also erst der Beginn gewesen sein. „Wir kennen das Problem und suchen nach einer Lösung“, versichert er.

Um die sozialen Belange kümmert sich Alexandra Mack, Sozialarbeiterin bei der AWO. Insgesamt 180 Flüchtlinge betreut sie, demnächst mithilfe eines FSJlers. Auch sucht die AWO derzeit nach weiteren Sozialarbeitern. In Stuttgart ist der Schlüssel eins zu 90. Mack kann nicht überall sein. Immer vor Ort sei ein Sicherheitsbeauftragter, eigentlich für den Brandschutz zuständig, aber auch Organisator, Tröster und Mädchen für alles.

Noch fehlt es an vielem, berichten die Ehrenamtlichen. Eine Waschmaschine und ein Trockner sollen nächste Woche kommen. Dann müssen die Menschen ihre Wäsche nicht mehr draußen oder in ihren Containern trocknen. Bald soll auch ein Gemeinschaftscontainer kommen. Auf 24 Quadratmetern haben die Menschen dann eine Möglichkeit, sich im Trockenen zu treffen. Auch organisatorisch sei noch vieles unklar. Zwar übernehme der Kreis die Kosten der notwendigen medizinischen Behandlungen, doch oft stelle sich die Frage, was notwendig sei, und es bestehe die Gefahr, dass die Menschen auf den Kosten für das Rezept sitzen bleiben. Es sei nicht klar, wer ein Taxi ruft, wenn jemand Wehen bekommt, oder den Arzt, wenn etwas passiert. Denn ein Notfalltelefon gibt es nicht. Es sei auch nicht organisiert, wer was wann putzt. Weil sich niemand zuständig fühlt, bilden sich Müllhalden, auch durch Spenden, die einfach abgestellt werden. Wenigstens für die Schulkinder ist klarer, wie es weitergeht. Sie dürfen ab Montag in eine Vorbereitungsklasse der Mörikeschule.

Die Ehrenamtlichen fühlen sich als Lückenbüßer, die an Betreuung abdecken sollen, was hauptamtlich nicht mehr zu leisten sei. Und an den Stellschrauben in der Verwaltung können sie nicht drehen. Ragini Wahl stellt sich einige Fragen. Zum Beispiel nach der Rolle der Nürtinger Stadtverwaltung und von Oberbürgermeister Otmar Heirich: Alle Regeln zum bürgerschaftlichen Engagement seien hier außer Kraft gesetzt. Es habe noch keinen offiziellen Besuch von Stadtverwaltung oder Gemeinderäten gegeben. So bekämen die Anwohner nur mit, dass sich die Politik nicht kümmere. Und die Ehrenamtlichen seien bald gefrustet, weil von der Stadt nichts komme und weil sie das Gefühl bekämen, instrumentalisiert zu werden.