Lokales

„Ja“ zur Gemeinschaftsschule

Handwerkstags-Präsident Möhrle beim Neujahrsempfang der SPD Kirchheim

Lieferte in guter SPD-Neujahrsempfangs-Tradition spannende Denkanstöße: Gastredner Joachim Möhrle, Präsident des Baden-Württembe
Lieferte in guter SPD-Neujahrsempfangs-Tradition spannende Denkanstöße: Gastredner Joachim Möhrle, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages.Foto: Deniz Calagan

Sollte sich die Riege der Gemeinderatskandidaten ähnlich präsentieren wie die Redner beim gestrigen Neujahrsempfang, so dürfte der Kirchheimer SPD im Kommunalwahljahr nicht bang sein: Stadtrat Andreas Kenner und Joachim Möhrle, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages, unterhielten und informierten das Publikum im Alten Gemeindehaus bestens.

Irene Strifler

Kirchheim. Für „Maulfaulheit“ ist er in Kirchheim nicht gerade bekannt, doch gestern brillierte SPD-Stadtrat Andreas Kenner mit einer Begrüßungsrede, deren Würze unter anderem in der Kürze lag.

Zehn Minuten genügten dem sozialdemokratischen Urgestein, um thematisch in der ganzen Welt herumzukommen. So erklärte er den vorweihnachtlichen Besuch der neuen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei der Truppe in Kundus zu seinem persönlichen Bild für das Jahr 2 013: „Direkt von Lagerfeld ins Feldlager“, kommentierte er den Eindruck, als die Ministerin den Hubschrauber verließ, und machte sich Gedanken darüber, ob eine familienfreundliche Bundeswehr bedeute, dass neben der Flak eine Kita stehe.

Im Rückblick auf das Jahr 2 013 erinnerte der Redner ferner an den 50. Geburtstag der Rolling Stones und kam, in Verbindung mit dem 95. Geburtstag von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, zu der überzeugenden Erkenntnis: „Sex and Drugs and Rock‘n‘Roll können wohl doch nicht so ungesund sein.“ Vom Alter an sich schlug Kenner den Bogen zur Pflegebedürftigkeit und zur Zuwanderung. Letztere sei gerade in Zusammenhang mit dem drohenden Pflegenotstand nur zu befürworten: „Die Wahrscheinlichkeit, dass sie hier einmal von einem schwäbischen Pfleger betreut werden, geht gegen Null“, redete er seinen Zuhörern ins Gewissen.

Zwar waren die Kirchheimer Sozialdemokraten und ihre Gäste von Anfang an in rege Gespräche vertieft. Doch was wäre ein SPD-Neujahrsempfang ohne Impulse externer Gäste? Diese Denkanstöße lieferte gestern Joachim Möhrle.

Als Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages ist Möhrle engagiert für 130 000 Handwerksbetriebe im Ländle, die 750 000 Menschen Lohn und Arbeit bieten, also gemeinsam sozusagen der weitaus größte Arbeitgeber sind. Er betonte, im Handwerk habe man das Jahr 2 013 ganz gut überstanden und gehe davon aus, im Jahr 2 014 ähnliche Voraussetzungen zu finden. Spannend ist hier natürlich der Blick auf Weichenstellungen der neuen großen Koalition im fernen Berlin. „Wir haben hohes Interesse am Erhalt von Arbeitsplätzen“, unterstrich Möhrle die Einstellung der Handwerkerschaft. Um den Sozialstaat auf Dauer auf derzeitigem Niveau zu erhalten, dürften keine Arbeitsplätze verloren gehen, Deutschland müsse unbedingt Industriestandort bleiben. Diese Bekenntnisse verknüpfte der Redner mit einer gewissen Enttäuschung über den aktuellen Koalitionsvertrag. Selbiger sei kein großer Wurf, sondern teilweise sogar rückwärtsgerichtet. Besonders das Verschieben von Lasten in die Jahre nach der großen Koalition beobachtete Möhrle mit Kopfschütteln.

Ferner bezeichnete er Aussagen wie die, dass es keine Steuererhöhung gäbe, schlichtweg als falsch. Zum einen laufe die kalte Progression weiter, zum anderen existiere noch immer der einst befristet eingeführte Solidaritätszuschlag. Beides entspräche letztlich einer Steuererhöhung.

Was die Umwälzungen im Schulsystem anbelangt, stellte sich der Handwerkstags-Präsident ganz aufseiten der gastgebenden Partei: „Wir sind der festen Überzeugung, dass die Gemeinschaftsschule die richtige Schule ist!“ Sofern die Zusammenführung mit den Realschulen erfolge, sei die Gemeinschaftsschule der richtige Weg. Wenn nämlich junge Menschen länger gemeinsam lernten, diene dies der Förderung der Schwachen, nicht etwa der Schwächung der Starken. Auch er, einst ein glühender Befürworter des dreigliedrigen Schulsystems, habe dies erst nach eingehender Beschäftigung mit der Thematik erkannt.

Von den allgemeinbildenden Schulen ging die Tour d‘horizon weiter zu den Berufsschulen, die aufgrund der demografischen Entwicklung mancherorts mit Klassenschließungen zu kämpfen haben. Die duale Ausbildung im baden-württembergischen Handwerk würdigte der Fachmann als ausgesprochen positiv, prangerte aber ein gesellschaftliches Problem an: Solange nämlich akademische Abschlüsse deutlich höher eingeschätzt würden, habe es die duale Ausbildung schwer zu punkten.

Angesichts der Europawahl zollte Möhrle der Bedeutung Europas große Achtung und warb dafür, gemeinsam an einem guten Europa zu arbeiten. - Inwieweit die Politik die Menschen bewegen wird, bleibt abzuwarten. Nicht umsonst hatte der Redner anfangs einen Blick auf Google geworfen. Demnach war der meist gegoogelte Begriff des Jahres 2 013 „Helene Fischer“. Auch dahinter folgten keineswegs politische Fragestellungen, sondern Anleitungen zum Küssen beziehungsweise zur korrekten Herstellung eines Krawattenknotens. „Es sind die menschlichen Dinge, nicht die Politik, die die Bürger bewegen“, resümierte Möhrle.