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Kai Wiedenhöfers Fotos aus dem Gazastreifen feierten im Museum der Modernen Kunst in Paris Premiere

Kai Wiedenhöfers Fotos aus dem Gazastreifen feierten im Museum der Modernen Kunst in Paris Premiere

Kirchheim. Fast genau ein Jahr ist es her, dass der in Kirchheim aufgewachsene und jetzt in Berlin lebende Kai Wiedenhöfer mit dem 2009

ins Leben gerufenen französischen Preis für Fotojournalismus, dem mit 50 000 Euro dotierten „Prix Carmignac Gestion“, ausgezeichnet wurde.

Dieser bedeutende Wettbewerb stellt dem jeweiligen Sieger dabei nicht nur viel Geld zur Verfügung. Das Votum der Jury für Kai Wiedenhöfers zwischen 2003 und 2006 entstandene Bilder der Grenzanlage am Gazastreifen war auch mit einem klaren Auftrag verbunden. Der Fotojournalist „entschloss sich“ daher, noch einmal in das ihm vertraute und inzwischen kaum mehr wiederzuerkennende israelisch-palästinensische Grenzgebiet zurückzukehren.

Ziel war es, sich einen Überblick zu verschaffen vom Wiederaufbau nach dem letzten israelischen Angriff im Februar 2009. Entstanden ist dabei eine nur durch Kai Wiedenhöfers Vertrautheit mit diesem Land und seinen Menschen möglich gewordene Dokumentation über die entsetzlichen irreparablen „Kollateralschäden“. Gezeigt werden Landschaften und Gebäude, die genauso unbarmherzig und unwiederbringlich ausgelöscht wurden wie die Zukunftsperspektiven der dem Tod nur knapp entkommenen und vom Krieg gezeichneten Menschen, die nicht wissen, wie sie weiterleben sollen.

Die unkommentiert die Schrecken des Krieges abbildenden und damit zu stumm anklagenden Mahnmalen gewordenen Fotografien Kai Wiedenhöfers sind in einem Bildband mit dem bezeichnenden Titel „The Book of Destruction“ versammelt. In seiner Dokumentation „Gaza – One Year After the 2009 War“ zeigt Kai Wiedenhöfer, warum er eigentlich nicht mehr in diese ihm in fast 20 Jahren so vertraut gewordene Region zurückkehren wollte. Er findet und fotografiert nur noch die grausamen Spuren unsäglicher Gewalt und Zerstörung. Hoffnung sucht man in seinen Bildern und in den Gesichtern der geschundenen Menschen vergebens.

Die schrecklichen Bilder eines Krieges sind dieses Wochenende letztmals im Museum für Moderne Kunst in Paris zu sehen, wo die Besucher vor eine genauso große Herausforderung gestellt werden wie die Betrachter des Bildbandes. Dass auch Kai Wiedenhöfer die Konfrontation mit dem Konflikt immer schwerer erträgt, machte der als „Habib al-Schaab“ als „Freund des Volkes“ berühmt gewordene und inzwischen stark desillusionierte Fotograf schon in einem 2007 geführten Gespräch mit einem Vertreter der „Jüdischen Zeitung“ deutlich. Vier Jahre früher hatte er dem Teckboten gegenüber selbstkritisch festgestellt: „Die emotionale Distanz, die von meinem Beruf verlangt wird – ich habe sie nicht.“ Seine wortwörtlich zu verstehende Arbeit an der Grenze brachte ihm neben dem „World Press Foto Award“ noch zwei weitere der weltweit wohl bedeutendsten Auszeichnungen für Bildjournalisten ein.

In den 90er-Jahren lebte der Arabisch sprechende Fotograf viele Monate im Gazastreifen und legte mit dem alten Motorrad seines Onkels und einer daran befestigten Fahne Baden-Württembergs weit über 20 000 Kilometer „im Feindesland“ zurück, um den palästinensischen Alltag in den israelisch besetzten Gebieten zu dokumentieren. Obwohl ihn alle Kollegen für verrückt hielten und seinen frühen Tod oder schwere Verwundungen prognostizierten, waren Motorrad und Flagge ein wichtiger Teil seines erfolgreichen Überlebenskonzepts. „Bis die Leute sich einen Reim darauf gemacht haben, ob Freund oder Feind, bin ich nahe genug heran, um mit ihnen zu reden.“

Kai Wiedenhöfer verstand sich nie als Berichterstatter, der Kriegen hinterherreist, sondern versuchte, den Alltag der Menschen in Kriegs- und Krisengebieten über einen längeren Zeitraum darzustellen. Wie das aussehen kann, zeigte er 2002 in seinem Bildband „Perfect Peace – The Palästinians from Intifada to Intifada“, dessen noch Platz für vielfältige Hoffnungen lassende Bilder auch schon in der Städtischen Galerie im Kirchheimer Kornhaus zu sehen waren.

In seinem preisgekrönten Buch „Wall“ hielt der Fotojournalist, der an der renommierten Folkwang-Hochschule Essen studiert hat, mit einer Panoramakamera im Negativformat 6 x 17 die dramatischen „Fortschritte“ der Israel und die Palästinensergebiete grausam zerschneidenden Grenzanlage fest. Das vielleicht letzte, zweifellos aber düsterste Kapitel dieser Reihe liegt nun mit dem neu erschienenen und in Paris im Rahmen einer viel beachteten Ausstellung präsentierten „Book of Destruction“ vor.

Schon Anfang der 90er-Jahre war Kai Wiedenhöfer davon überzeugt gewesen, dass ohne Nähe ermöglichende Sprache keine gute Fotografie möglich sei. Der neue Bildband legt aber auch den Umkehrschluss nahe: Seine in Bildern anklagende Fotografie macht zuweilen sprachlos.