Lokales

Keiner schreit „Hier“

Kandidatensuche für die Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 läuft allerorten auf Hochtouren

Sie wachen über die Finanzen und arbeiten sich ins Haushaltsrecht ein, sie entscheiden über Grundsteuer, Baugebiete, Kitaplätze, Sanierungen und mehr. Doch mit Nachfolgern haben sie ihre liebe Not, die Kommunalpolitiker. Am 25. Mai wird gewählt. Die Frage ist: Wer kandidiert? Bis März haben Fraktionen und Gruppierungen Zeit, ihre Listen mit Namen zu füllen.

Wer hier, im Kirchheimer Sitzungssaal, nach der Kommunalwahl im Mai Platz nehmen wird, entscheiden die Wähler. Vorher allerdings
Wer hier, im Kirchheimer Sitzungssaal, nach der Kommunalwahl im Mai Platz nehmen wird, entscheiden die Wähler. Vorher allerdings müssen die Fraktionen ihre Kandidatenlisten zusammenstellen und einreichen.Foto: Jean-Luc Jacques

Kirchheim. Auf dem Land ist die Welt vielfach noch in Ordnung – hieß es einst. Doch wer gern hier lebt, will sich längst nicht automatisch für seine Gemeinde engagieren. 

Das zeigt exemplarisch der Blick auf Ohmden, mit unter 2 000 Einwohnern die kleinste Gemeinde im Verbreitungsgebiet des Teckboten. „Es wird immer schwieriger“, seufzt Dr. Klaus Dolde, der seit 25 Jahren im Rat die Ohmdener Politik mitgestaltet und den Bürgermeister vertritt: „Wir stellen uns auf immense Schwierigkeiten ein.“ „Wir“, das sind alle Ohmdener Gemeinderäte, denn im Dorf gibt es nur zwei Listen, die Unabhängigen Freien Wähler und den Bund freier Wähler. Die Unterscheidung ist eher eine Formalität. Ziel ist, zwei Listen mit je zehn Leuten zusammenzubekommen. Diese 20 Kandidaten fanden sich allerdings schon vor fünf Jahren nicht, sodass man sich seinerzeit auf sieben pro Liste geeinigt hat, um die formale Gleichheit wieder herzustellen. „Es gibt viele Leute, die lieber an Biertischen Politik machen, als sich im Gemeinderat zu engagieren“, klagt Dolde. Ein wenig kann er das sogar verstehen: manchmal werde man von Interessengruppen hart angegangen. Außerdem ließen speziell in Ohmden die Finanzen keinen Spielraum, um tolle Projekte zu realisieren.

Notzingen zählt über 3 500 Einwohner. Drei Fraktionen teilen sich die Sitze im 14-köpfigen Ratsrund, die schon in der Kandidatensuche stecken. Vier Räte stellt die UKW (Unabhängige Kommunale Wählervereinigung). „Wir haben schon mal ein bisschen rumgefragt und sind nicht auf Ablehnung gestoßen“, zeigt sich UKW-Vertreter Hans Prell zuversichtlich. Vorteil einer unabhängigen Wählervereinigung sei, dass ihr nichts Parteipolitisches anhafte, argumentiert er, denn Parteien hätten bei vielen ein schlechtes Image. In Notzingen fielen die Entscheidungen aber sehr sachorientiert. Um die Zukunft des Ratsgremiums und speziell der UKW ist dem Wahl-Notzinger, der erst seit wenigen Jahren im Ratsrund sitzt, daher nicht bang.

Drei Bürgervertreter hat derzeit die SPD. „Kandidaten zu finden, die bereit sind, sich zu engagieren, war schon immer schwierig“, sagt Fraktionsvorsitzende Helga Merz, die auf ein Vierteljahrhundert Ratsmitgliedschaft zurückblicken kann. „Koi Zeit“ sei das am häufigsten gehörte Argument. Helga Merz bedauert das, denn ihre persönliche Bilanz fällt positiv aus. Gerade junge Eltern, die die Adressaten der modernen Politik seien, sollten sich mehr engagieren, lautet ihr Credo. Man müsse den Job ja nicht gleich 30 Jahre lang machen.

Doch das scheint schwierig: „Keiner schreit Hier“ ist eine Erfahrung, die auch Herbert Hiller bestätigen kann, seit 1980 für die CDU im Notzinger Ratsrund und Fraktionsführer. Die meisten würden eher signalisieren: „Macht ihr nur weiter!“ Zwar ist dies einerseits eine Würdigung der Arbeit, dennoch sei hin und wieder ein Generationswechsel angesagt. Deshalb sucht die CDU in Notzingen ganz gezielt Kandidaten. „Manchmal muss man die Leute zu ihrem Glück zwingen“, sagt Hiller. Wichtig sei, als Gemeinderat breite Nerven zu haben und Kritik zu ertragen, berechtigte und unberechtigte. Dass dazu auch heute noch genügend Bürger bereit sind, steht für Hiller außer Frage.

Je größer das Gremium, desto einfacher die Kandidatensuche? Eine Anfrage bei den großen Fraktionen im Esslinger Kreistag legt diese Vermutung nahe. Wie Marianne Erdrich-Sommer, Fraktionsvorsitzende der Grünen, mutmaßt, erleichtert es die Suche, dass das Ergebnis vorab besser kalkulierbar ist. „Im Gemeinderat kann man urplötzlich hochgewählt werden“, gibt die langjährige Kreispolitikerin zu bedenken. Sie ist zuversichtlich, dass die Grünen „ordentliche Listen“ zusammenkriegen. Eine Zeit lang habe bei vielen Lehrern und Lehrerinnen, die ein wichtiges grünes Klientel darstellten, Frust über die grün-rote Schulpolitik geherrscht. Doch jetzt wachse die Unterstützung wieder. „Auch das Regieren muss man eben erst erlernen“, meint Erdrich-Sommer.

Gerade bei den Schulen sieht SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Spohn großes Potenzial. Sie plädiert dafür, Mitsprache in Jugendräten und ähnlichen Gremien zu fördern, denn: „Wenn man vom politischen Bazillus infiziert ist, dann bleibt man dran!“ Das gilt auch für die Kreistagspolitikerin selbst, die in einer kleineren Kommune erste politische Schritte unternommen hat. „Das ist ein guter Einstieg, weil einen die meisten Themen direkt betreffen“, wirbt sie um Interessenten. Allerdings werde hier eben auch häufiger getagt als im Kreistag. Für dieses Gremium ist sie zuversichtlich, eine attraktive SPD-Liste zusammenzubekommen und wünscht sich für die nächste Legislaturperiode vor allem eine Senkung des Altersdurchschnitts.

„Wir haben keine Schwierigkeiten, auf Kreis- und Regionsebene qualifizierte Persönlichkeiten zu finden“,berichtet Alfred Bachofer, langjähriger Vorsitzender der Freien Wähler im Kreis. Das liegt nach seiner Einschätzung an der breiten Verankerung der Freien Wähler in den Gemeinden. Dennoch sieht er allerorten Probleme bei der Suche nach Interessierten an längerfristigem politischem Engagement. Viele Menschen brächten sich heute nur noch „eventbezogen“ in Initiativen ein, seien aber nicht mehr bereit, über Jahre hinweg nachhaltig zu arbeiten. Auch die derzeit groß propagierte Bürgerbeteiligung, so notwendig und richtig sie sei, binde letztlich eine Menge Kräfte. Auf der anderen Seite nehmen die beruflichen Anforderungen zu, so- dass da einfach keine Zeit bleibe für weiteres Engagement.

Martin Fritz, der seit zweieinhalb Jahren Fraktionsführer der CDU im Kreistag ist, empfindet die Sitzungszeiten im Esslinger Kreisparlament als reformbedürftig: „Die Bereitschaft zu politischem Engagement ist schon da“, meint er voller Überzeugung, allerdings sei die Organisation schwierig. Das liege nicht zuletzt daran, dass eine Reihe von Ausschusssitzungen schon nachmittags beginnen, teils schon um 14 Uhr. Das kollidiert nicht nur mit den meisten Jobs, sondern hält auch junge Mütter von der Kreistagsarbeit ab, die sich nachmittags um ihre Kinder kümmern wollen. So grenze sich der Kreis möglicher Kandidaten leider gewaltig ein. Dennoch ist auch Fritz sicher, dass die Wähler am 25. Mai 2014 eine gute Auswahl haben werden.