Esslingen. Grundsätzlich ist der Mensch biologisch gesehen tagaktiv und ruht sich nachts, während der Dunkelphase, aus, erklärt Dr. Eva-Maria Straub, Betriebsärztin beim Landkreis, die auch die Bediensteten des Kreiskrankenhauses Ruit arbeitsmedizinisch betreut. Die „innere Uhr“ im Hypothalamus, einem Abschnitt im Zwischenhirn, gibt uns diesen Rhythmus vor, hält uns tagsüber wach und lässt uns nachts schlafen. Besonders zwischen 2 und 5 Uhr ist der Mensch in der Regel wenig leistungsfähig und das Schlafbedürfnis erreicht seinen Höhepunkt.
Eine wichtige Rolle bei diesem Wach-Schlaf-Rhythmus spielt das Hormon Melatonin. Es reagiert auf Licht, das heißt, der Melatoninspiegel im Blut steigt nach Einbruch der Dunkelheit an und erreicht gegen Mitte der Nacht seinen Höhepunkt. „Dabei kommt es aber auch darauf an, ob der jeweilige Nachtarbeiter eine „Lerche“ oder eine „Eule“ ist“, sagt Dr. Straub. Eulen sind bekanntlich nachtaktiv, der Melatoninspiegel wird durch die Nachtarbeit nicht so gestört. „Eulen können auch tagsüber besser schlafen“, so die Betriebsärztin. „Die Lerchen, also die Frühaufsteher, können das nicht so kompensieren“. Die möglichen Probleme der Nachtschicht entstehen aus dem missachteten Schlaf-Wach-Rhythmus, der nicht mehr mit der inneren Uhr übereinstimmt. „Nachts, wenn der Arbeitnehmer schlafen möchte, darf er nicht und morgens, wenn er schlafen könnte, gelingt es nicht oder nicht in der ausreichenden Qualität, weil die innere Uhr ihn wachhält“. Die Folge davon ist eine verkürzte Schlafdauer. Das kann jeder Nachtdienstler bestätigen. „Die innere Uhr lässt sich zwar umstellen, aber das kann Tage dauern“, erklärt Dr. Eva-Maria Straub.
Außer diesen biologischen Problemen, die schwächer oder stärker sind, je nachdem ob der Nachtarbeiter Lerche oder Eule ist, kann der durch die Nachtschicht gestörte soziale Rhythmus auch Beziehungen und Familienleben beeinträchtigen. Eine Rolle spielt außerdem, wie der einzelne Nachtarbeiter subjektiv seinen Dienst empfindet. Bei Polizisten, Rettungssanitätern, Notärzten, Berufsfeuerwehrleuten und ähnlichen Berufsgruppen im Nachteinsatz kommt noch zusätzlich die Verarbeitung des Erlebten hinzu, etwa nach einem Unfall, einer Schlägerei, einem Überfall oder einem Brand. „Notfalls muss der Arbeitgeber hier professionelle Hilfe anbieten“, so Dr. Straub.
Die Arbeit entgegen dem natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus kann auf jeden Fall zu Schlafstörungen in der Freizeit führen, aber auch zu Müdigkeit, Konzentrationsmangel, depressiven Verstimmungen, zu Magenbeschwerden, Appetitlosigkeit und zu Herz-Kreislauf-Problemen. „Rein arbeitswissenschaftlich sollten die Bediensteten nicht mehr als drei bis vier Nachtwachen hintereinander arbeiten“, sagt Dr. Straub. Der Grund dafür: Der Körper stellt sich nur sehr langsam wieder auf den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus um.
Gerade weil die Nachtschicht zu oben beschriebenen gesundheitlichen Störungen führen kann, empfiehlt die Arbeitsmedizinerin Nachtarbeitern, am Morgen beim Nachhausegehen helles Licht zu vermeiden und eine Sonnenbrille zu tragen, denn Licht ist der natürliche Gegenspieler von Melatonin. Das Schlafzimmer sollte nach der Arbeit ausreichend abgedunkelt und kühl sein. Dem Schlaf nicht unbedingt förderlich ist dabei, wenn der Hund auf dem Bett liegt und die Gören durchs Zimmer johlen.
Dr. Straub rät den Nachtschichtlern auf eine gesunde Ernährung zu achten – „anstelle von fetten Sachen leicht verdauliche Kost zu essen, die Hauptmahlzeiten vor Dienstantritt zu sich zu nehmen und während des Dienstes mehrere kleine Imbisse – zum Beispiel Joghurt, Quark, Obst oder Salate – zu verzehren“. Um Stress abzubauen, rät sie den Männern und Frauen, sich in ihrer Freizeit viel zu bewegen, zu laufen, walken, joggen oder sich durch autogenes Training, Yoga oder Tai Chi zu entspannen. Nicht zu unterschätzen sei außerdem ein stabiles soziales Umfeld.
„Wer nachts arbeitet, sollte über die Risiken Bescheid wissen“, sagt Dr. Eva-Maria Straub. „Wenn die gesundheitliche Belastung zu groß ist, sollte der Nachtarbeiter schau‘n, dass er herauskommt, wenn es mit den betrieblichen Bestimmungen vereinbar ist“. Freilich weiß die Betriebsärztin auch, dass dies in Kleinbetrieben kaum machbar ist. Die entsprechenden arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen sind nebenan aufgeführt.