Lokales

Mehr Freiheit für Flüchtlinge

Nach dem Ende der Residenzpflicht dürfen Asylbewerber über Landkreisgrenzen reisen

Die Landesregierung hat die Residenzpflicht für Asylbewerber aufgehoben. Damit erhalten auch Flüchtlinge, die in Kirchheim leben, mehr Freiheit. Denn während sie den Landkreis vorher nur mit Genehmigung verlassen durften, steht ihnen nun Baden-Württemberg offen.

Aufhebung der Reisepflicht für Flüchtlinge
Aufhebung der Reisepflicht für Flüchtlinge

Kirchheim. In der Alten Wäscherei in der Charlottenstraße spielen ein paar Kinder Tischkicker. Nebenan ist alles für den Kaffeenachmittag gedeckt. Einmal in der Woche lädt der Arbeitskreis Asyl die Flüchtlinge aus der Staatlichen Unterkunft zu Kaffee, Tee und Kuchen ein. Heute bewirtet Renate Hirsch die Flüchtlinge. Nebenbei verwickelt sie die Asylbewerber in Gespräche. „Haben Sie schon gehört, dass Sie den Landkreis künftig verlassen dürfen?“, fragt Renate Hirsch eine junge Mutter, die ihren Kleinen auf dem Schoß hat. Die Frau versteht nicht gleich, aber als Renate Hirsch die neue Regelung erklärt, hellt sich ihr Gesicht auf. „Das ist gut“, sagt sie.

Es gibt viele Gründe, warum ein Asylbewerber den Landkreis, in dem er bis zum Ende seines Verfahrens untergebracht ist, vorübergehend verlassen muss: um zur Anhörung nach Karlsruhe zu reisen, um Verwandte zu besuchen oder um zu einem Anwaltstermin zu fahren. Bisher musste wegen jeder Fahrt über den Landkreis Esslingen hinaus auf dem Rathaus eine Genehmigung beantragt werden.

Darauf haben in der Vergangenheit viele Flüchtlinge verzichtet, oft mit Konsequenzen. „Wenn jemand einmal erwischt wurde, war das eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldstrafe geahndet wurde“, sagt Marianne Gmelin, Kirchenbezirksbeauftragte des AK Asyl. „Das Schlimme war aber, dass es bei mehrmaligen Verstößen ein Straftatbestand war, der sich negativ aufs Asylverfahren auswirken konnte.“ Außerdem hätten die Verstöße sich in der Kriminalstatistik für Ausländer niedergeschlagen und in den Worten von Innenminister Gall zu einer „falschen Wahrnehmung geführt“. Im Jahr 2011 hatten die Behörden im Südwesten 627 Fälle von wiederholten Verstößen gegen die Residenzpflicht verzeichnet.

„Als ich noch im Asylverfahren war, bin ich ein paar Mal schwarz nach Stuttgart gefahren“, berichtet ein ehemaliger Asylbewerber, der früher in der Charlottenstraße gelebt hat und auf einen Kaffee vorbeigekommen ist. „Ich habe jedes Mal Angst gehabt und mich wie ein Verbrecher gefühlt.“ Der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, freut sich über die Aufhebung der Residenzpflicht, auch wenn es ihn selbst nicht mehr betrifft. „In anderen Bundesländern ist das ja schon länger so“, sagt er. Tatsächlich dürfen sich Flüchtlinge in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg schon länger frei bewegen. Die Bundesrepublik Deutschland ist der einzige EU-Staat, der überhaupt so etwas wie eine Residenzpflicht kennt.

Renate Hirsch und Marianne Gmelin sind froh und erleichtert, dass die Residenzpflicht in Baden-Württemberg Geschichte ist. „Das war ein lang gehegter Wunsch aller Flüchtlingsorganisationen, auch des AK Asyl“, sagt Marianne Gmelin. Auch die Verwaltungen würden dadurch entlastet, weil nicht mehr in jedem Einzelfall geprüft werden müsse, ob jemand seine Verwandten in Stuttgart besuchen dürfe oder nicht. Für Renate Hirsch ist die Aufhebung der Residenzpflicht ein „längst fälliger Schritt“. „Diese Regelung“, sagt sie, „war eine Schikane.“