Lokales

Menschenkette für ein Miteinander

In Kirchheim bezogen Christen und Muslime Stellung gegen Gewalt und Extremismus

Rund 1 500 Christen und Muslime reichten sich am Samstag in der Kirchheimer Innenstadt die Hände. Die etwa 800 Meter lange Menschenkette reichte von der Martinskirche bis zur Sultan-Ahmet-Moschee. Schulter an Schulter traten die Teilnehmer für Respekt, Toleranz, Meinungsfreiheit und ein friedliches Zusammenleben ein.

Christen und Muslime Seite an Seite gegen Intoleranz, Gewalt und Extremismus. Foto: Daniela Haußmann
Christen und Muslime Seite an Seite gegen Intoleranz, Gewalt und Extremismus. Foto: Daniela Haußmann

Kirchheim. Die Aktion, die von der Sultan-Ahmet-Moschee, dem Integrationsausschuss, dem christlich-islamischen Gesprächskreis und der Stadtverwaltung organisiert wurde, legte ein öffentliches Zeugnis dafür ab, dass Intoleranz und Extremismus keinen Platz in der Gesellschaft haben dürfen – für viele Aktionsteilnehmer eine wichtige Botschaft. Wolfgang Schinko wies darauf hin, dass er muslimische Freunde habe, die ihn zum Fastenbrechen am Ramadan einladen. Der Kirchheimer sprach sich dagegen aus, allen Muslime wegen Fanatiker mit Misstrauen zu begegnen. „Ich denke, dass die Menschenkette dazu beiträgt, dass sich Menschen begegnen, miteinander sprechen und Freundschaften entstehen. Deshalb finde ich die Aktion wichtig“, sagte Schinko. Eine Ansicht, die viele teilten.

Ömer Erdin verurteilte den Islamismus und die Gewalttaten, die er hervorbringt, aufs Schärfste. „Schreckensereignisse, wie der Anschlag auf das französische Satireblatt ‚Charlie Hebdo‘, haben nichts mit meinem Glauben zu tun“, betonte der Aktionsteilnehmer, der seit den 1970er Jahren in Deutschland lebt. Die Entwicklungen seit dem 11. September 2001 erfüllen ihn mit Trauer. Yakub Kambir fand deutliche Worte für die Taten der Islamisten. „Sie treten den Koran mit Füßen“, so der Vorsitzende der Sultan-Ahmet-Moschee. „Die Gräueltaten, die sie begehen, sind Blasphemie.“ Auch unter Muslimen sorge der Terror, der im Namen des Islam verbreitet wird, für Angst, Sorge und Verzweiflung.

Muslime, die mit ihrer Lebensweise gegen Gewalt eintreten, sind frustriert und traurig darüber, dass sie nicht gesehen und gehört werden, wie Yakub Kambir in seiner Rede deutlich machte. „In Sure 5, Vers 32 heißt es, wenn jemand einen Menschen tötet, ohne dass dieser einen Mord begangen hat, oder ohne, dass ein Unheil im Land geschehen ist, dann ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet“, so Kambir. „Weiter heißt es, wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, dann ist es, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten.“ Im Angesicht dieses Gebots würden alle Interpretationen irgendwelcher Prediger, die keine fundierte theologische Ausbildung erfahren haben, an Bedeutung verlieren.

„Meine Kinder fragen mich, warum die Menschen und die Zeitungen gegen den Islam sind“, berichtete der gebürtige Kirchheimer. „Dass meinen Kinder das Gefühl gegeben wird, dass sie anders sind, ist für mich als Vater schlimm.“ Die scheinbare Lawine negativer Emotionen, die global losgetreten wurde, bedauert Yakub Kambir zutiefst. Er betonte, dass die Menschen in Kirchheim unabhängig von Nationalität und Religion ohne Vorurteile und mit offenem Geist füreinander einstehen. Dies gelte es, auch in Zukunft zu bewahren.

„Toleranz und Weltoffenheit gehören zu Kirchheim, wie die Wertschätzung, der Respekt und das friedvolle Zusammenleben der verschiedenen Religionen, Kulturen und Nationalitäten“, erklärte Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker. Das würden Deklarationen, die gegen Gewalt und Intoleranz verabschiedet wurden und Veranstaltungen wie das gemeinsame Fastenbrechen am Ramadan, die interkulturelle Woche oder die Förderung des nachbarschaftlichen Miteinanders zeigen. Austausch, Vertrauen und Integration innerhalb der Stadtgesellschaft würden so nachhaltig gefördert und gestärkt.

Die Oberbürgermeisterin betonte aber auch, dass der Fanatismus im Namen Allahs ein Problem des Islams darstellt, dem sich die große Mehrheit der friedliebenden Muslime stellen müsse. „Der Islam ist präsent in unserer Stadt. Ich wage aber zu bezweifeln, dass er bereits vollständig heimisch geworden ist“, sagte Angelika Matt-Heidecker. Bei all dem großen Anpassungsdruck, dem sich Muslime in den säkularen Gesellschaften gegenübersehen, sei es wichtig, die Europäisierung des Islams gemeinsam voranzutreiben. „Man kann sich nicht an den Verhaltensmustern des orientalischen Mittelalters orientieren oder am Ehrenkodex patriarchalischer Gesellschaften festhalten“, sagte die Oberbürgermeisterin und fügte an: „Ich bin überzeugt, dass sich das ändern wird.“ Matt-Heidecker betonte auch, dass für den Islam in Deutschland und in der Teckstadt Platz sein muss. Die Gastarbeiter, die hier eine Heimat gefunden und deren Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft inne hätten, hätten eine Anrecht darauf, ihre Bräuche zu pflegen.

Reinhold Jochim, Pastoralreferent und Vertreter der Gesamtkirchengemeinde, wies angesichts der Kriege und der Gewalt in der Welt darauf hin, dass sich in Bibel und Koran wichtige Werte finden. „Das sind nicht Gewalt, Terror, Hass oder Fremdenfeindlichkeit, sondern Gewaltlosigkeit, Barmherzigkeit, Frieden, Freiheit, Toleranz und Menschenfreundlichkeit – Terror hat keinen Gott, wie ein muslimischer Politiker formulierte“, sagte Schinko. Christen und Muslime hätten gemeinsam mit Vertretern anderer Religionen die Aufgabe, diese Wertvorstellungen überzeugend zu leben und für sie zu werben, damit sich ein Zusammenleben in Frieden und Freiheit durchsetze. „Es gibt nur Frieden unter den Völkern durch Frieden unter den Religionen. Und es gibt nur Frieden unter den Religionen durch Dialog zwischen den Religionen“, sagte Reinhold Jochim unter Berufung auf den Theologen Hans Küng.